KVA Horgen will Klima-Pionierin werden

Ausgerechnet die landesweit kleinste Kehrichtverbrennungsanlage in Horgen könnte zur ersten oder zumindest zu einer der ersten klimaneutralen KVA der Schweiz werden. Noch vor Ende Jahr soll die Baueingabe für eine millionenteure CO2-Ausscheidungsanlage erfolgen. Auf das Pilotprojekt warten indes noch etliche Klippen.

Sie gehören zu den grössten Verursachern von Treibhausgasen im Land: die insgesamt 29 KVA, aus deren Kaminen gegen fünf Prozent der CO2-Emissionen der Schweiz in die Atmosphäre entweichen. Künftig aber wollen die Kehrichtverwerter mit neuer Technologie ihren CO2-Ausstoss auf null reduzieren. So sieht es eine zwischen dem Verband der Schweizer Abfallverwertungsanlagen (VBSA) und dem Bund im letzten Jahr abgeschlossene Vereinbarung vor. «Carbon Capture and Storage» (CCS), oder zu Deutsch «Kohlenstoff einfangen und lagern», lautet dabei die Losung. Das bei der Verbrennung anfallende klimaschädliche Kohlendioxyd soll herausgefiltert und verflüssigt werden. Bevor es beispielsweise in ehemaligen Öl- und Gasfeldern unter dem Meer eingelagert wird. Oder damit daraus etwa synthetischer Treibstoff hergestellt werden könnte. Gemäss der Vereinbarung soll spätestens 2030 eine erste KVA mit der neuen CCS-Technologie arbeiten. Weit fortgeschritten sind Planungen dazu in Niederurnen GL bei der dortigen KVA Linth für das Glarnerland und die sankt-gallische Nachbarregion See-Gaster. CO2-frei werden soll etwa auch die Kezo Hinwil mit dem auf 2028 geplanten Neubau.

Baugesuch bis Ende Jahr

Im Wettlauf um die erste klimaneutrale KVA der Schweiz mischt indes auch ausgerechnet die landesweit kleinste KVA mit. Jene des Bezirks Horgen im gleichnamigen Bezirkshauptort. Dort sind die Planungen und verfahrenstechnischen Abklärungen schon so weit gediehen, dass der Zweckverband Entsorgung Zimmerberg als Eigentümer «noch dieses Jahr beim Kanton und der Gemeinde das Baugesuch einreichen» will, wie KVA-Betriebsleiter Romano Wild erklärt. Dabei setzen die Horgner Abfallverwerter auf ein Verfahren, bei dem das CO2 mittels der chemischen Verbindung Amin aus der Abluft gewaschen wird. Dass eine solche Abscheidungsanlage machbar und mit der bestehenden KVA und der daran angekoppelten Fernwärmeversorgung für 2500 Haushalte kompatibel wäre, hat nach einer Grobabklärung nun auch das kürzlich abgeschlossene Detailengineering ergeben. Beides hatte Entsorgung Zimmerberg bei der Hitachi Zosen Inova AG in Zürich in Auftrag gegeben, einer Firma, die ausserhalb der Kehrichtbranche bereits solche Anlagen installiert.

Für Vorreiterrolle prädestiniert

Heute werden in Horgen jährlich gut 35 000 Tonnen Müll verbrannt und energetisch verwertet. «Von den dabei freigesetzten 45 000 Tonnen CO2 könnten wir um die 90 Prozent oder rund 40 000 Tonnen rausfiltern», rechnet Wild vor. Und er gibt zu bedenken, dass rund die Hälfte des CO2, das eine KVA ausstösst, ohnehin biogenen Ursprungs, etwa aus Holz oder Grüngut, und damit klimaneutral sei. Womit rein rechnerisch sogar mehr CO2 eingespart als ausgestossen würde. Zusätzlich könne man eine auf dem KVA-Areal geplante Biogasanlage anschliessen. Als kleinste Schweizer KVA sei die bisher schon sehr innovationsfreudige Anlage in Horgen geradezu prädestiniert für einen Pionierbetrieb, der der gesamten Branche Erkenntnisse und Know-how für weitere klimaneutrale Werke im Land bringen würde, ist der Präsident von Entsorgung Zimmerberg, der Horgner Gemeinderat Markus Uhlmann (GLP), überzeugt: «Denn es braucht dafür deutlich weniger Infrastrukturen und Investitionen als bei einer Gross­anlage und die CO2-Menge ist überschaubar und fände wohl Abnehmer in der Industrie und müsste nicht zwingend gebunkert werden.» 

Unterstützt werden die ambitionierten Pläne auch vom VBSA, der für das 400 000 Franken teure Detailengineering eine Viertelmillion Franken Fördergelder gesprochen hat. Bei Entsorgung Zimmerberg rechnet man sich denn auch gute Chancen aus, dass die eigene KVA «bis in einigen Jahren die erste oder zumindest eine der ersten klimaneutralen KVA der Schweiz» wird. Auf dem Weg dorthin aber gebe es noch viele offene Fragen und Unwägbarkeiten. Etwa bezüglich Ablauf, Dauer und auch Ausgang des Bewilligungsprozederes, zumal man damit Neuland betrete. Und die Finanzierung des nach groben Schätzungen «um die 20 bis 25 Millionen» teuren Unterfangens sei nur realistisch, wenn Bund und Kanton und weitere Interessenten den Löwenanteil übernähmen. 

Die Pionieranlage würde den KVA-Standort Horgen zweifelsohne aufwerten – sie stehe aber in keinem direkten Zusammenhang mit dem Seilziehen um die Betriebsdauer des Werks, betont Uhlmann. Die kantonale Baudirektion will die Kleinanlage am linken Ufer nämlich gegen den Willen der Betreiber zugunsten der übrigen vier Standorte in Zürich, Winterthur, Dietikon und Hinwil stilllegen. Mehrmals schon wurde der Schliessungstermin hinausgeschoben. Von 2018 auf 2030 und dann auf 2033 – bis der Kanton unlängst nochmals eine Fristerstreckung bis 2038 in Aussicht stellte. Betreiber und Standortgemeinde aber fordern stattdessen eine unbefristete Weiterführung und argumentieren mit der hohen Wirtschaftlichkeit und Energieeffizienz ihrer Anlage.

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