Die Bäckeranlage im Rampenlicht

Seit zwei Wochen vergeht kein Tag ohne Berichte, Analysen, Interviews, Fernsehreportagen aus der Bäckeranlage. Es wird an Platzspitz und Letten erinnert, die Zürcher Drogenpolitik wird rekapituliert. Was bringt der Medien-Hype? Gedanken eines Anwohners.

Für mich als direkter Anwohner seit bald 50 Jahren gehört die Bäckeranlage zu den schönsten Stadträumen Zürichs. Im Laufe ihrer 120-jährigen Geschichte  war und ist sie Erholungsraum und Aufenthaltsort für Menschen allen Alters, meistens solche mit kleinem (oder gar keinem) Einkommen, seit 20 Jahren ist die Bäckibeiz Familientreff und über Mittag Bürolisten-Kantine. Und jetzt also: Platzspitz, Drogenhölle. 

Wer an einem sonnigen Nachmittag oder lauen Sommerabend die Bäcki besucht, der wird sich wundern über die Schreckensberichte. SRF sei «an einem schlechten Tag» zum Filmen gekommen, hat mir ein Nachbar gesagt: Der Park zeigte sich völlig friedlich. Tatsächlich hat der Park zwei Gesichter: Das fröhliche, friedliche Taggesicht und das störende, zunehmend bedrohliche Nachtgesicht, genau genommen ab Mitternacht und bis weit in den Morgen hinein.

Drei Problemgruppen mit toxischer Vermischung

 Es sind drei Gruppen von ParkbenützerInnen, die zu den nun medial diskutierten Problemen in und um die Bäcki beitragen. Seit dem enormen Aufschwung der Langstrasse zur überregionalen Ausgehmeile hat die Bäcki immer mehr die Funktion des erweiterten Partyraums angenommen. Insbesondere die Zunahme der 24-Stunden-Shops mit superbilligem hochprozentigem Alkohol macht die Bäcki für alle Ausgehfreudigen mit kleinem Budget zum Openair-Club. Die steile Karriere der günstigen – im Vergleich zu Heroin scheinbar harmlosen – Partydroge Crack zieht in den gleichen Nacht- und Morgenstunden Dealer und Konsument:innen, auch Abhängige anderer Drogen, in die Bäcki. Und eine dritte Gruppe, die sich notgedrungen meist auch tagsüber auf den Parkbänkli aufhält, sind eritreische Jugendliche – mit Blick auf ihre unmenschlichen Notunterkünften begreiflich.  

Die besondere Problematik der Bäcki liegt in der Mischung dieser drei Gruppen: Das feuchtfröhliche Partyvolk mischt sich in die Crackszene, wird auf dem Platz bestens mit Stoff versorgt, die jugendlichen Geflüchteten, fern der strengen Väter, ohne Arbeitsbewilligung,  ohne Perspektiven lernen die Rauschkultur ihrer Altersgenoss:innen kennen, der eine oder andere nimmt auch die Chancen als Kleindealer wahr.

Die Wirkung dieser toxischen Mischung von Parkbesucher:innen belastet Anwohner:innen und zunehmend auch die drei direkt anliegenden Schulhäuser. Schreie, Gegröhle ab Mitternacht bis weit in den Morgen, Streitereien verbreiten eine hektische, aggressive Atmosphäre,  Schlägereien unter den torkelnden Nachtparkgänger:innen zwischen Kindern auf dem morgendlichen Schulweg, zusammengesackte Konsument:innen in den Hauseingängen – und unsäglicher Dreck in und um den Park.

‹Das System› reagiert

Seit mehr als einem Jahr steht mehrmals pro Woche tagsüber für ein paar Stunden ein VW-Bus des Sozialdepartements im Eingang der Bäcki, sinnigerweise angeschrieben mit «Ein Bus». Meistens sind die Sozialarbeiter:innen darin unter sich. Auf meine Frage, wie sie die Situation einschätzen, habe ich die verheissungsvolle Antwort erhalten: «Das System wird reagieren.» Tatsächlich fährt nun tagsüber viertelstündlich ein Streifenwagen durch den Park, von morgens neun bis gegen Abend streifen SIP-Equipen über die Parkwege. Nachts reagiert die angerufene Polizei nun immer schneller mit Streifenbesatzungen. Nach unseren Beobachtungen nützen sich diese Kurzbesuche zunehmend ab. Ist die Streifenbesatzung – meist ohne Aussteigen – wieder weg, geht das Rambazamba ungestört weiter. Den Polizisten fehlen gesetzliche Grundlagen um, wie auch immer, einzugreifen. Für die lärmenden, crackenden, dealenden Parkgäste eine Bestätigung: Alles ok, nur weiter so.

Sozialvorsteher Raphael Golta hat nun im ‹Regionaljournal› sehr zu recht festgestellt: Die belastete Situation kann nicht mit Polizei allein gelöst werden. Es braucht als dringlichste Massnahme eine Wiedereröffnung der Kontakt- und Anlaufstellen K+A im Quartier. Leider hat ‹das System› diese Einsicht sehr spät gewonnen, erst, als die K+A in der Kaserne  wegen Umbau geschlossen wurde. Warum als Sofortmassnahme jetzt nicht ein Container auf der Kasernenwiese aufgestellt wird, bleibt mir schleierhaft.

Aus Erfahrungen lernen

Auch wenn die Bäcki heute niemals mit dem Platzspitz zu vergleichen ist – wer wäre damals tagsüber dort an die Sonne gelegen, hätte mit Kindern gespielt, Kaffee getrunken – die einstigen Erfahrungen im Umgang mit problembedrohten Stadträumen sollten genutzt werden. Das sieht ja auch Golta so mit der Dringlichkeit einer nahgegelegenen K+A.

Ich möchte eine zweite Erfahrung in Erinnerung rufen:  Um damals eine Verlagerung auf die Bäcki zu verhindern, wurde für etwa drei Monate ein ‹mobiler Polizeiposten› eingerichtet, eine permanente, vor allem auch nachts aktive Präsenz. Damit konnte der Deal wirksam verhindert werden, so wie wir das auch erfolgreich praktizierten, als vor der Urania-Hauptwache der erste Zürcher Injektionsraum auf privater Basis (SAH, Rotes Kreuz, Pfarrer Sieber) betrieben wurde: Kein Dealer hat den geschützten Konsumraum je gestört. Das würde den aufsuchenden Sozialarbeiter:innen der SIP auch die nötige Rückendeckung geben, auch nachts vor Ort zu wirken.

Und der Medien-Hype?

Nun also ist die Bäcki auf allen digitalen und analogen Kanälen präsent. Der alarmistische Platzspitzvergleich ist verheerend. Die Wirkung schon spürbar: Familien, ältere Menschen meiden den als so gefährlich präsentierten Park, das Restaurant verliert Gäste. Anderseits machen die Berichte die Bäcki für das abenteuerlustige Partyvolk attraktiv: Gömer Becki, weisch wie geil! Ein Ort, um mal so richtig die Sau rauszulassen und vielleicht interessante Crack-Erfahrungen auszuprobieren.

Gut, dass der Medien-Alarm ‹das System› geweckt hat – besser als die Briefe unseres Anwoner:innengrüpplis. Aber jetzt wäre es Zeit, auch wieder über das friedliche Taggesicht der Bäcki zu berichten, die Menschen einzuladen, diesen wunderbaren Stadtraum zu nutzen, mit Lust, mit Freude, ohne Angst.  Gut, dass am 17. September der Lauf gegen Rassismus dort stattfindet und nebenan Parking Day mit Nachbarschaftsfest.

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