Kontext zur Klimakonferenz

Nochmals? Ich tat meine Meinung in einer kleinen Zeitschriftenschau schon im Vorfeld kund: Dass die nun mit Rekordbeteiligung laufende UN-Klimakonferenz in der protzenden Metropole der Ölförderländer stattfinde, sei eine symbolische Kapitulationserklärung. Die fossile Fortschrittlichkeit werde hier nicht enden und das 2015 in Paris proklamierte Reduktionsziel nicht erreicht.

Doch ich sähe mein Vor-Urteil gern widerlegt, verfolge das Geschehen in Dubai gebannt und missachte damit den eigenen Rat, sich besser auf das konkrete Handeln vor Ort zu konzentrieren, weil auf lokaler Ebene eher Erfolge zu erreichen und Alternativen sichtbar zu machen seien. Aber inzwischen ist in Basel die erste der exemplarisch angeführten ‹Stadtklima›-Initiativen unerwartet deutlich gescheitert. Ob die Resultate in Winterthur und Zürich besser ausfallen? Immerhin scheint ‹umverkehR› zuversichtlich, vor Weihnachten die Unterschriften «gegen den ewiggestrigen Autobahnausbau» zusammenzubringen. Umfragen lassen danach eine schwierige nationale Referendumsabstimmung erwarten. Auf allen Ebenen scheint der Stopp des verhängnisvollen Trends nun wieder fraglich, obwohl die Dringlichkeit steigt.

«Wie oft komme ich mir in dieser Welt verloren vor, wenn ich zu Fuss oder mit dem Fahrrad unterwegs bin und von der fossil betriebenen Mobilität zugedröhnt werde», lese ich im Bändchen, das mir als präzis passende Lektüre für diese Tage in die Hand kam: «Zeitkollaps» von Boris Previšić. Der an der Uni Luzern als Professor für Literatur- und Kulturwissenschaften wirkende Autor kennt und benennt in seinem im besten Sinn weitschweifenden Essay das Ohnmachtgefühl angesichts der dramatischen Lage. Die von einer eigentlich kleinen Minderheit der Weltbevölkerung ausgelöste Klimadynamik wird beim Erreichen mehrerer Kipppunkte unberechenbar und es drohen «Garanten unserer Lebensgrundlagen wegzubrechen». Allein schon das Artensterben ist tragisch rasant; durch geologisch wirksame Faktoren bekommen die Veränderungen erdgeschichtliche Dimensionen. Wie all das allen verständlich erklären? Wie die Alternativen dazu beschreiben, damit endlich ein adäquates Handeln folgt?

Der als Bauernsohn und Musiker spürbar vielseitig geprägte Verfasser versucht es. Er verknüpft die Erkenntnisse der Klimaforschung mit unterschiedlichen Lösungsansätzen, ohne sich auf einen – etwa den wiederholt angeführten «ökomodernistischen» – zu fixieren. Klar ist einzig, dass sehr rasch sehr viel geschehen und die Alternative radikal sein muss. Das geht nicht ohne Kompromisse. Und «das mit Verve verfasste Übereinkommen von Paris» war ein Kompromiss. Es brachte in seinem «schwammigen Juristen-Jargon» zum Teil konträre Positionen und Ideologien zusammen, «um vielleicht gerade dadurch den Grundstein für ein verbindliches Handeln zu legen». Eine gründliche Analyse des durch «Offenheit und Verbindlichkeit» geprägten Papiers macht diese positive Interpretation plausibel. Mit guten Gründen wurde der Durchbruch von allen gefeiert, die sich seit Langem einen «Meilenstein» erhofften. Zum zwingend zu erreichenden Klimaziel kam deutlich genug noch das Gebot der Gerechtigkeit.

Dass dieser Aspekt in Dubai gleich am ersten Tag aufgegriffen wurde und zum ersten Beschluss führte, vermeldeten die meisten Medien als Überraschungserfolg. Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate schufen mit Einlagen von je 100 Millionen Dollar die Basis für den «Fonds zum Ausgleich von erwärmungsbedingten Schäden» im globalen Süden. Dass angesichts der dort akuten Probleme eher entsprechende Milliardenbeträge angemessen wären, ging in der Begeisterung unter. Beim brisanten Entscheid, künftig ganz auf fossile Energie zu verzichten, dürfte es der mit diesem Business verknüpften Tagungsleitung weniger leicht fallen, sich günstig freizukaufen.

Das alljährliche Megatreffen habe einen schlechten Ruf in der Öffentlichkeit, merkt der jüngste TA-‹Celsius›-Newsletter zur Klimakonferenz an: «Forschende fragen sich, was es denn noch zu verhandeln gibt. Der Fall sei klar: Aus den fossilen Energien aussteigen!» Dies sei aus wissenschaftlicher Perspektive ein berechtigter Einwand. Geopolitisch wirke die Sache weit weniger einfach. Regierungen müssten Grundsatzentscheide fällen – sich ernsthaft zum Ende des fossilen Zeitalters bekennen oder weiter gute Geschäfte mit Kohle, Erdgas und Erdöl zulassen.

Vorerst wurde vor allem nach vervielfachter Produktion alternativer Energie gerufen. Von der AKW-Lobby besonders laut. Vom schon zitierten Professor, auch Gründungsdirektor des Urner Instituts Kulturen der Alpen, kommt dazu kein kategorisches Nein. Für die akute Krise gebe es keine atomare Lösung. Doch vielleicht sei die Kernfusion in dreissig Jahren weit genug entwickelt, «dass sie als sinnvolle Energiequelle nutzbar wird». Dann liessen sich Anlagen der «alpinen Photovoltaik», die im Schlussabschnitt der Schrift als besseres Beispiel beleuchtet sind, sogar wieder zurückbauen. Jetzt sind sie notwendig, es wäre falsch, deren Realisierung mit konservativen Naturschutzreflexen zu blockieren. Wir müssen «ins Handeln kommen» – auch hier! Die wie in andern Fällen abwägende Argumentation hat mich zum Nachdenken gebracht, obwohl mir auch diese Grosstechnologie in der Solarexpress-Strategie nicht geheuer ist.

Wenigstens fliessen bei Previšić sorgsame Überlegungen etwa zu Erhalt und Förderung der Biodiversität mit ein. «Biotreibstoff»-Produktion auf Landwirtschaftsflächen ist Irrsinn. Fleischerzeugung, zumal mit importiertem Futter, gehört nicht gefördert. Differenziertheit plus der Lage angemessener Klartext machten die Lektüre auch zum Kontrastprogramm zu den ersten Nachrichten aus dem neuen nationalen Parlament, wo die gestärkte Geld- und Gülle-Koalition ihren agroindustriellen Kurs rücksichtslos fortsetzt. Vorschriften für zusätzliche Ökoflächen werden erneut hinausgeschoben. Gleichentags kam aus unserer nördlichen Nachbarschaft die Botschaft, im Streit ums neue Budget seien selbst längst verplante Gelder für den Klimaschutz gefährdet. Der «freiheitlich»-gelbe Teil der an sich rotgrün dominierten Ampel sehe da wie im Sozialbereich noch Sparpotenzial.

Also rundum Grund zum Verzweifeln. Mögen weitere Überraschungen der Weltkonferenz wider Erwarten das politisch triste Klima unserer nächsten Umgebung erhellen.

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