«Kohle machen mit der Kohle ist ein dreckiges Geschäft»

Was hat das CO2-Gesetz, über das wir am 13. Juni abstimmen, mit der Offenlegung von klimabezogenen Finanzrisiken in den Bilanzen von Finanzmarktakteuren zu tun? Rolf Kurath, ehrenamtlicher Präsident des Vereins Actares, AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften, bringt im Gespräch mit Nicole Soland Licht ins Dunkel.

 

Sie sind Organisationsentwickler, waren unter anderem von 2000 bis 2007 Leiter Employment Relations bei der Swisscom und von 2011 bis 2013 Leiter Personal- und Organisationsentwicklung bei der Schweizerischen Post. Heute sind Sie freischaffend und engagieren sich ehrenamtlich beim Verein Actares, AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften, dessen Präsident Sie seit Oktober 2020 sind: Was hat Sie zu diesem Engagement bewogen?

Rolf Kurath: Vor zwei Jahren sah ich im P.S. ein Inserat von Actares. Der Verein suchte neue Vorstandsmitglieder und Mitglieder von Arbeitsgruppen. Erstaunlicherweise hatte ich nie zuvor von diesem Verein gehört, obwohl Actares bereits im Jahr 2000 gegründet wurde, obwohl ich 67 Jahre alt und seit ewig politisch interessiert bin, seit 1974 in der SP, Gewerkschafter etc. … Nun aber stellte ich nicht nur fest, dass es «AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften» gibt, sondern dass Actares genau das anbietet, wonach ich lange gesucht hatte: Meine Partnerin und ich halten einen Teil unseres Alterskapitals in Aktien. Damit wir wissen, wie wir uns bei den Abstimmungen an den Generalversammlungen der Unternehmen verhalten müssen, brauchen wir Unterstützung. Bevor ich bei Actares war, musste ich mich selber darum kümmern. Meine Motivation ist somit ganz einfach die, dass ich als Kleinaktionär wissen möchte, wie ich ethisch korrekt abstimmen kann.

 

Ist das der Hauptgrund, weshalb jemand bei Actares mitmacht, oder bloss ein Grund unter vielen?

Ich bin damit jedenfalls ein typisches Mitglied: Rund die Hälfte unserer gut 1000 Mitglieder, Einzelpersonen und Organisationen aus der ganzen Schweiz, hat Aktien, wobei die meisten KleinaktionärInnen sind. Es hat aber auch ein paar darunter, die über recht saftige Volumina verfügen. Sie alle brauchen Stimmrechtsberatung und eine Organisation wie Actares, die Einfluss nimmt auf acht Firmen des Schweizerischen Marktindexes SMI. Das erreichen wir via Kontakte zu den Präsidenten der Verwaltungsräte dieser Firmen. Actares engagiert sich somit seit 21 Jahren für die Durchsetzung der Konzernverantwortung. Unsere Arbeit wird durch zwei Dutzend Freiwillige und eine kleine, Spenden-finanzierte Geschäftsstelle geleistet. Wir betreiben Analysearbeit, Stimmrechtsberatung, Stimmrechtsvertretung, Dialog mit Unternehmen, Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit und leisten Beiträge für Projekte und Kampagnen der nationalen Politik.

 

Wie ist Actares entstanden?

Der Verein hat seine Wurzeln in verschiedenen Bewegungen der 1970er-Jahre. Der eine oder die andere erinnert sich vielleicht an die Kampagne «Nestlé tötet Babies» einer Gruppe, die das (un)ethische Verhalten dieses Grosskonzerns unter die Lupe nahm. Eine andere Gruppierung kümmerte sich um das Südafrika-Geschäft der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG), heute UBS. Aus diesen Bewegungen bildeten sich die Convention d’ Actionnaires Nestlé (CANES) und der Verein kritischer AktionärInnen der Bankgesellschaft (VKA). Diese beiden Vereine haben im Jahr 2000 den Verein Actares gegründet. Actares schaut sich heute Firmen im Hinblick darauf an, ob sie sich ethisch korrekt und nachhaltig verhalten oder «Greenwashing» betreiben, also nicht ‹grün› geschäften, sondern sich bloss ein grünes Mäntelchen umhängen. Wir überprüfen das, was Schweizer Unternehmen diesbezüglich versprechen, darauf, ob sie es auch tatsächlich einhalten.

 

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Wir erstellen Analysen und entwickeln Standards und, darauf basierend, strenge Abstimmungskriterien: Handelt das Unternehmen nachhaltig, wie steht es bezüglich Vergütungen und Boni da, besteht der Verwaltungsrat ausschliesslich aus Männern oder sind die Geschlechter angemessen vertreten? Auch bei der Entlastung des Verwaltungsrats sind wir einiges schärfer unterwegs als Ethos, der grosse Stimmrechtsberater der Pensionskassen.

 

Sie arbeiten aber mit Ethos zusammen, nehme ich an?

Ethos ist insofern ein Partner von uns, als dass sich ein Teil unserer Analysen auf jene von Ethos stützt. Im Unterschied zu uns hat Ethos, die schweizerische Stiftung für nachhaltige Entwicklung, jedoch einen grossen Einfluss: Sie hat an den Generalversammlungen eine Stimmkraft von über fünf Prozent. Wir bündeln zwar auch Stimmrechte: Etwa 200 Mitglieder übertragen ihr Stimmrecht bei Nestlé an Actares, bei Novartis sind es knapp 150. Damit bewegen wir uns aber lediglich in der Grössen­ordnung von einem Promille. Aber immerhin: Ich habe als Kleinaktionär nirgendwo sonst die Möglichkeit, meine Stimme gebündelt mit den Stimmen anderer KleinaktionärInnen abzugeben und so etwas mehr Einfluss zu haben und etwas besser gehört zu werden.

 

Präsident eines Vereins zu sein, dessen Einfluss auf seinem Kerngebiet recht begrenzt ist – das tönt nicht sehr sexy: Was motiviert Sie dazu, sich trotzdem dafür zu engagieren?

Ich möche sicherstellen, dass meine Investments nachhaltig angelegt sind. Ich kenne die Berichterstattung über die Erderwärmung seit dem «Club of Rome» und habe entsprechend gelebt, fast ohne Flüge, Auto und so weiter. Doch dann las ich die Artikel von David Wallace-Wells, einem amerikanischen Journalisten, der vor ein paar Jahren unter anderem den Essay «Die unbewohnbare Erde» publiziert hat. Seine Texte haben mich aufgerüttelt und aufgeschreckt, und es wurde mir rasch klar, dass wir klotzen müssen statt kleckern, wenn wir die Erderwärmung noch aufhalten wollen. Wir müssen unser Verhalten ändern, und zwar in jedem Lebensbereich. Damit das rasch genug passiert, steht jedes einzelne Unternehmen in der Verantwortung, sich in Richtung Netto-Null zu bewegen, und zwar, sofern es nicht bereits gestartet ist, unverzüglich. Nur so können wir es noch schaffen, die Erderwärmung auf eineinhalb Grad Celsius zu begrenzen.

 

Actares setzt sich für ein Ja zum CO2-Gesetz ein, über das wir am 13. Juni abstimmen: Bietet es wirklich einen ausreichend starken Hebel, um den sofortigen Aufbruch der Unternehmen in Richtung Netto-Null zu erreichen?

Die Klima-Allianz, deren Mitglied wir sind, hat in einer grossen Recherche dargelegt, dass die vom Schweizer Finanzplatz gesteuerten Aktivitäten ein Zwanzigfaches der gesamten einheimischen Treibhausgasemissionen verursachen. Das entspricht über zwei Prozent der weltweiten Emissionen. Die Klima-Allianz kommt zum Schluss, dass die Finanzakteure insgesamt 1100 Millionen Tonnen CO2 verantworten. Es besteht somit enormer Handlungsbedarf. In Art. 66 des neuen CO2-Gesetzes wird nun eine erste Grundlage geschaffen, um den grossen weltweiten Klima-Fussabdruck des schweizerischen Finanzplatzes zu reduzieren.

 

Was muss man sich unter diesem «weltweiten Klima-Fussabdruck» vorstellen, beziehungsweise was macht der Schweizer Finanzplatz falsch?

Der CO2-Ausstoss und als Folge davon der zu grosse Klima-Fussabdruck entsteht dadurch, dass die Finanzdienstleister weltweit zum Beispiel Darlehen für Investitionen in die Kohleindustrie gewähren oder Unternehmen finanzieren, die im Bereich der fossilen Energie tätig sind oder Aktien von Unternehmen halten, die mit fossiler Energie handeln. Auch wenn Käufer von Aktien und anderen Finanzprodukten sowie die verschiedenen Investoren diese Treibhausgasemissionen nicht allein verantworten, ist es doch, wie die Klima-Allianz betont, ihr Kapital, das klimaschädigend ‹arbeitet›. Kohle machen mit der Kohle ist ein dreckiges Geschäft. Actares fordert die Banken deshalb auf, nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren.

 

Und worin genau besteht die Grundlage zur Reduzierung des Klima-Fussabdruckes, den das neue CO2-Gesetz bietet?

Es schafft die gesetzliche Grundlage dafür, dass die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) endlich Transparenz über die Risikosituation schaffen: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte müssen die Finma auf betrieblicher Ebene und die SNB auf volkswirtschaftlicher Ebene dafür sorgen, dass die klimabedingten Risiken der Finanzbranche überprüft werden können und dass darüber Bericht erstattet wird. Das ist für Actares wichtig, denn dadurch werden die Klimarisiken transparent gemacht. Diese Offenlegungspflicht, die der Artikel 66 beinhaltet, betrifft zudem nicht nur die neun grössten Banken und Versicherungen, sondern alle, auch die vermeintlich ‹kleinen Fische›. Dadurch, dass im Zuge dieser Pflicht wissenschaftsbasierte Szenarien hinterlegt werden, entsteht zudem viel Know-how darüber, wie der Finanzplatz effektiv schaltet und waltet.

 

Wird das Gesetz angenommen, ist somit alles bestens?

Leider nein. Wir haben dann eine gute Grundlage, wir haben endlich eine Norm, doch im Vergleich mit dem, was andernorts gilt, ist diese Norm relativ schwach. Es ist absehbar, dass sie schon bald von den Regeln überholt wird, die die EU voraussichtlich ab 2024 auch von Drittstaaten einfordern wird. Die würden beinhalten, dass jede kleine Vermögensverwalterin ihre KundInnen regelmässig bezüglich allfälliger Klimarisiken aufdatieren und jedes Finanzprodukt mit einem Klimarisiko-Label kennzeichnen müsste. Es müsste zum Beispiel bei jedem Fonds offengelegt werden, wie ‹grün› er tatsächlich ist.

 

Was genau muss man sich unter «Klimarisiken» von Finanzprodukten vorstellen?

Ein Beispiel: In Zürich haben die Stimmberechtigten vor fünf Jahren entschieden, dass die Stadt aus der Atomenergie aussteigen, sprich, ihre Beteiligungen an AKW verkaufen soll. Seither hat sich der Stadtrat redlich bemüht und auch viel Geld (2,2 Millionen Franken) investiert, um die städtischen Beteiligungen auf den Markt zu bringen – ohne Erfolg. AKW-Beteiligungen will niemand mehr kaufen, die Stadt bleibt auf ihren Investitionskosten sitzen und erleidet im schlimmsten Fall einen Wertverlust. Kurz: Ohne Abschreiber kann sie nicht aussteigen, und das macht die Sache schwierig.

 

Und die Sache ist in jedem Fall schwierig?

Die Pharma-Arbeitsgruppe von Actares hatdie Firma Novartis begleitet und festgestellt, dass es in der Pharmaindustrie relativ einfach ist, auf Netto-Null zu kommen, was die eigene Produktion und die Energiebeschaffung betrifft: Erneuerbare Energie für die eigene Produktion, Optimieren der Lieferkette, Videokonferenzen statt Flugreisen fürs Kader, Recycling und Wiederverwertung von Materialien, das ist heutzutage alles machbar. Doch die Pensionskasse von Novartis mit ihrem diversifizierten Portfolio kann nicht einfach autonom aus allen Beteiligungen aussteigen, die sie als nicht nachhaltig genug einschätzt.

 

Warum nicht?

Die Pensionskassenaufsicht verlangt, gestützt auf das Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG), einen Anlagenmix, der im Endeffekt die bestmögliche Rendite gewährleisten soll, damit die Pensionskassen ihren Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nachkommen können. Das heisst, dass die Pensionskassen, auch jene der Novartis, zwar einen Ausstiegspfad beschliessen müssen, doch aktuell gibt es noch fast keine grössere Pensionskasse, bei der bereits klar ist, wann sie das Netto-Null-Ziel erreichen wird. Das zeigt das Pensionskassen-Rating der Klima-Allianz gut auf.

 

Wenn Acatares sich, wie Sie gesagt haben, seit 21 Jahren für die Durchsetzung der Konzernverantwortung engagiert, geht Ihrem Verein die Arbeit also noch lange nicht aus?

Das ist so. Doch nach dem Nein zur Konzernverantwortungsinitiative wird nun immerhin der Gegenvorschlag des Bundesrats in Kraft treten. Der ist zwar bei Weitem nicht das Gelbe vom Ei, aber besser als nichts, und momentan läuft auch noch die Referendumsfrist. Angenommen, es ergreift niemand das Referendum, haben wir aber dank dem Gegenvorschlag neu die Artikel 964bis-septies im Obligationenrecht – und damit die zwingende Pflicht für die Unternehmen, eine Risikoanalyse zu erstellen und an jeder Generalversammlung über ihre klima- und sozialpolitischen Bemühungen Bericht zu erstatten. Somit würde der Gegenvorschlag das ergänzen, was die Unternehmen bei einem Ja zum CO2-Gesetz künftig leisten müssten. Beides zusammen wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz und zu einem klimafreundlicheren, nachhaltigeren Finanzplatz und einer ebensolchen Wirtschaft.

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