Knatsch um Konzeptförderung

Vorstösse und Nachtragskredite hin oder her: Richtig viel zu reden gab im Zürcher Gemeinderat für einmal nur die Kultur.

Die letzte Doppelsitzung des Zürcher Gemeinderats vor den Sommerferien war «bis nach 23.30 Uhr» angesagt – und dauerte bis nach halb eins. Die Sitzung an diesem Mittwochabend begann mit dem letzten Auftritt von Walter Angst (AL), der nach 21 Jahren aus dem Rat zurücktritt (siehe auch Rücktritts-Interview mit ihm im P.S. vom 9. Juni).  Auch Wahlen standen noch an, insbesondere die Ersatzwahl des zurückgetretenen Datenschutzbeauftragten Marcel Studer. Die Geschäftsleitung hatte Patrizia Schwarz und Tobias Naef vorgeschlagen. Gewählt wurde mit Patrizia Schwarz die stellvertretende Datenschutzbeauftragte der Stadt Zürich.

Erstmalige Vergabe

Die erste Serie Nachtragskredite gibt bisweilen viel zu reden. Doch am Mittwochabend warf sie keine hohen Wellen, und selbst das Thema Schulpavillons regte niemanden gross auf: Die Debatte des Abends bildete die Vorlage zur Konzeptförderung Tanz und Theater, konkret die Genehmigung der sechsjährigen Konzeptförderbeiträge 2024–2029 und die Aufteilung des Rahmenkredits. Mit diesem Sammelantrag unterbreite der Stadtrat dem Gemeinderat die Vergabe der sechsjährigen Konzeptförderbeiträge an neun Institutionen zur Genehmigung, führte Kommissionssprecherin Maya Kägi Götz (SP) aus. Diese neun Beiträge beliefen sich gesamthaft auf 3,89 Millionen Franken, womit der zur Verfügung stehende Anteil des Rahmenkredits Konzeptförderung für die sechsjährigen Konzeptförderbeiträge an Institutionen von 3,9 Millionen Franken eingehalten werde. Sie erwähnte weiter, dass die Stimmberechtigten den Rahmenkredit Konzeptförderung von insgesamt 6,5 Millionen Franken am 29. November 2020 bewilligten und somit die Grundlage schufen für die Einführung des neuen Fördersystems Tanz und Theater. «Zentrales Instrument dieses neuen Fördersystems ist die Konzeptförderung. Sie ist eine auf die gesamte professionelle Tanz- und Theaterlandschaft der Stadt ausgerichtete mehrjährige Förderung von Institutionen sowie Gruppen oder Einzelpersonen der freien Szene», heisst es dazu in der Vorlage (siehe auch P.S. vom 21. April). Konkret ging es um Beiträge für Winkelwiese, Theater Stadelhofen, Rigiblick, HORA, Zirkusquartier Zürich, PurPur, Zürich tanzt, sogar Theater und Millers. Die Unterstützung der Kleintheater Stok und Keller 62 hingegen wird nicht weitergeführt.

Vorab: FDP, GLP und Mitte-EVP-Fraktion unterlagen mit ihrem Rückweisungsantrag, womit die Vorlage wie geplant behandelt werden konnte. Einen Überblick über die hauptsächlich debattierten Punkte bieten die Fraktionserklärungen: Für die SP sprach Maya Kägi Götz von «mehr Mitteln für Innovation und eine dynamische Weiterentwicklung der Tanz- und Theaterlandschaft». Die SP-Fraktion orientiere sich an den rechtlichen Rahmenbedingen, führte sie weiter aus, «und hat zur Kenntnis genommen, dass das Sprechen von Beiträgen an nicht berücksichtigte Institutionen im Rahmen der nun vorliegenden Weisung nur auf Antrag des Stadtrats erfolgen kann und eine entsprechende Korrektur im Dispositiv nicht in der Kompetenz des Gemeinderats liegt».

Zirkusquartier eckt an

Das war auf die FDP und die GLP gemünzt: Kommissionspräsidentin Yasmine Bourgeois (FDP) sprach davon, die Konzeptförderung sei «gescheitert». Der FDP erschliesse sich nicht, wie das Zirkusquartier den Weg ins Fördersystem gefunden habe, denn «zirzensische Künste» seien weder in der Vorlage, den Kommissionsberatungen noch in den Abstimmungsunterlagen zum neuen Fördersystem erwähnt: «Die FDP stellt deshalb mehrere Dispoanträge zur Weisung, um das Zirkusquartier aus der Förderung zu entlassen und das dafür frei werdende Geld an die beiden Theater Stok und Keller 62 sowie einige andere Theater zu verteilen.» Zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Flurin Capaul hatte sie zudem ein Begleitpostulat eingereicht, das die «Unterstützung im Rahmen eines eigenen Kulturressorts für das zeitgenössische Zirkusschaffen» verlangte. Für die GLP stellte Ann-Catherine Nabholz fest, «der Applaus bleibt aus». Die Grünliberalen nähmen das Resultat der ersten Vergaberunde «mit grosser Ernüchterung» zur Kenntnis. Auch sie zeigte sich erstaunt darüber, dass «ein spartenfremder Zirkus» dereinst im Koch-Areal einziehen könne und die «Innovationsversprechen des neuen Födersystems» also mit dem Zirkusquartier eingelöst würden, während im Stok und im Keller 62 «der Vorhang für immer fallen» werde: «Ob das mit dem Ja der Stimmbevölkerung zum neuen Förderkonzept für Theater und Tanz im Einklang steht, wird sich weisen.» Mit ihrem Rückweisungsantrag forderten sie den Stadtrat auf, «das Zirkusquartier über ein eigenes Kulturressort ‹zeitgenössischer Zirkus› zu unterstützen»≠.

«Treppenwitz der Geschichte»

Urs Riklin (Grüne) erklärte, seine Fraktion stehe «im Grundsatz hinter der neuen Förderpolitik», doch der Entscheid, die beiden Kleintheater Stok und Keller 62 nur noch für zwei weitere Jahre zu unterstützen, sei «schwer nachvollziehbar und unhaltbar». Deshalb forderte Urs Riklin den Stadtrat mit einem zusammen mit Roger Föhn (EVP) eingereichten Begleitpostulat auf, «die bereitstehenden Abfederungsbeiträge in der Höhe von 600 000 Franken zugunsten der beiden Kleintheater voll auszuschöpfen, damit ihr Betrieb bis auf weiteres gesichert ist».

Roger Bartholdi (SVP) sprach davon, die «Vertreter der rotgrünen Mehrheitsparteien» hätten eine «enthusiastische Aufbruchstimmung» vorgegaukelt, doch nun erhalte ein bereits zuvor subventionierter Zirkus seine Gelder weiterhin, nur aus einem neuen Topf. «Zwei Mini-Theatern» jedoch, die «programmatisch hin und wieder etwas aus der Reihe tanzen», würden die Fördergelder gestrichen. Auch die Mitte-/EVP-Fraktion kommt zum Schluss, «dass die Erwartungen zu hoch waren», wie Roger Föhn (EVP) ausführte. Für die AL sprach Moritz Bögli hingegen von einem «zu erwartenden Ergebnis». Die AL habe bereits bei der Debatte zur Einführung der Konzeptförderung im Sommer 2022 davor gewarnt, dass es ein klares Ziel des Präsidialdepartements sei, die Anzahl der Theaterhäuser zu reduzieren: «Wenn nun die SP und die Grünen, die damals dem Stadtrat die absolute Entscheidungshoheit gewähren wollten, heute das Mitspracherecht des Gemeinderats nutzen wollen, um einen Entscheid zu revidieren, so ist das gewissermassen ein schlechter Treppenwitz der Geschichte.»

Wie zu erwarten war, zog sich nach geschlagener Redeschlacht auch das Abstimmungsprozedere in die Länge, deshalb nur soviel: Die rotgrüne Mehrheit setzte sich durch, das Begleitpostulat der FDP wurde abgelehnt und jenes von Grünen und EVP angenommen.

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