Klarer Ausgang mit unklaren Folgen

Der Ausgang der Wahlen ist klar: Dank den Erfolgen der SVP gibt es einen Rechtsrutsch, der aber die Dimension von 2015 nicht erreicht: FDP und SVP erreichten damals im Nationalrat eine Mehrheit, die ihnen nach diesen Wahlen mit 90 Stimmen fehlt. Auch wenn sich die beiden einig sind, werden sie zumindest eine weitere Fraktion gewinnen müssen.

Fest stehen auch die beiden Verlierer: Die GLP, die mit viel Pech  6 Sitze verlor und die Grünen, die den Verlust auf 5 Sitze limitieren konnten und somit – um die Relationen zu wahren – ihr deutlich zweitbestes Ergebnis erreichten. Zusammen mit dem Gewinn von 2 Sitzen der SP hält sich der Verlust von Rot-Grün mandatsmässig in Grenzen. Zumal es im Ständerat mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht zum befürchteten Debakel für die SP kommt. Es gab auch in den letzten vier Jahren nur in der Wahlpropaganda der SVP eine Rot-Grüne Mehrheitsregierung.

Die «heimliche» Siegerin – neben der SP, bei der vor allem die Parteiführung gestärkt wurde – ist die Mitte: Ohne sie geht in Bern nichts mehr: Kaum im Nationalrat und erst recht nicht im Ständerat. Die Mitte ist teilweise auch in ihrer Erscheinung im Wandel. Sie ist für Junge wieder wählbar geworden und sie gewinnt Parteimitglieder auch in Städten. Es könnte auch hier wieder «Inwerden,» zur Mitte zu gehören, wie es bei einem Teil des Mittelstandes zum guten Ton gehört, der GLP anzugehören. 

Die grossen Verlierer sind in meinen Augen die Grünliberalen, auch wenn sie recht wenig Wähler:innen verloren. Ähnlich wie im Zürcher Kantonsrat können sie auch in Bern entbehrlich werden, Mehrheiten ohne sie sind gut möglich. Da ihnen, anders als den traditionellen Parteien, eine verbindende Grundideologie fehlt, könnte der relative Machtverlust durchaus zum Beginn des Endes führen. Dass Tiana Angelina Moser eine gute Chance hat, Ständerätin zu werden, widerspricht diesem Befund nur sehr bedingt. Sie ist wie früher Verena Diener die Einzige weit und breit, die in dieser speziellen Situation eine Majorzwahl gewinnen kann.

Damit zu den statistisch grossen Verlierern, den Grünen. Der zentrale Grund für ihr relativ schlechtes Abschneiden liegt so auf der Hand wie der Grund für den Erfolg der SVP. Es gibt sehr viele Deutungen und ganz viele Rechercheteams beigen Zahlen, suchen und finden Gründe. Der für mich Einleuchtendste: Wer die Migration als grosses Problem empfindet, wählte SVP, wer die Krankenkassenprämien als belastend betrachtet, wählte keineswegs zwingend SP. Hier boten auch andere Lösungen an. Die SVP besitzt punkto Mi­gration eine Alleinstellungsposition; zumindest für jene, die hier etwas ändern möchten. Die Kunst der Partei lag darin, vielen einzureden, dass derzeit in der Schweiz ein Asylchaos herrsche, das es aufzuräumen gelte. Es gehört zu ihren Fähigkeiten, eine Botschaft, die Ängste auslösen könnte, so zuzuspitzen, dass sie brennend erscheint und entsprechend medial aufgenommen wird – sei es auch nur als Analyse. Für mich ein Paradebeispiel: Die Schlägerei zwischen Eritreern wurde zu einem Grossereignis aufgebauscht, obwohl sie nur für die Betroffenen gefährlich war und die Allgemeinheit kaum berührte – ausser als Schauergeschichte.

Der Erfolg der Grünen (und auch der GLP) vor vier Jahren basierte auf einer ähnlichen Basis, wenn auch ohne Manipulation: Die Klimaerwärmung war 2019 keineswegs neu und unbekannt, aber sie trat damals dank des Hitzesommers und der Klimajugend so richtig ins Bewusstsein von vielen. Wer damals dringend etwas für das Klima bewegen wollte, wählte Grün, weil sie dieses Alleinstellungsmerkmal hatten. Dieses Monopol haben sie verloren, da alle Parteien Lösungen oder zumindest Problembewusstsein anbieten.

Dazu kommt ganz banal auch eine Enttäuschung. Mit der Klimapolitik ging es nur langsam vorwärts. Auch wenn die Grünen dafür nicht die Hauptverantwortung tragen, weckten sie vor vier Jahren Hoffnungen, die zu oft verblassten. Im Falle des CO2-Gesetzes auch aus eigenem Verschulden. Statt sich für die wichtigste Vorlage dieser Periode mit aller Kraft einzusetzen, verzettelten sie sich mit chancenlosen Initiativen. Diese Niederlage brachte beim Klima die SVP wieder ins Spiel. Die Klimakleber hingegen schreckten kaum zur Wahl der Grünen ab.

Dazu tappten sie in die Bundesratsfalle und scheuten in der Ukrainefrage die offene innerparteiliche Diskussion. Dass die Grünen nach ihrem Erfolg 2019 eine Kandidatin für den Bundesrat aufstellten, war völlig legitim. Dass aber das Thema und erst noch mit dem Nebenthema, ob man allenfalls auch einen SP-Sitz angreifen könnte (warum um Himmelswillen nicht), die mediale Diskussion über die Grünen beherrschte, war und ist Verhältnisblödsinn. Die Parteizugehörigkeit eines Bundesrats interessiert – um es leicht überspitzt zu formulieren – ausser Bundesbern und die Medien kaum jemanden wirklich (abgesehen von den Wochen vor der Wahl), wohl aber die Fähigkeiten der Bundesrät:innen. Die haben mit der Parteizugehörigkeit oft wenig zu tun. Ich jedenfalls (und vermutlich viele andere) wähle nicht SP oder Grün, damit sie eine Bundesrätin erhalten, sondern damit sie fürs Klima oder die Gesundheit sorgen und bei entsprechenden Vorlagen sich mindestens mit ganzer Kraft einsetzen.

Die diesjährigen Wahlen waren medial von einer erdrückenden Präsenz der Parteipräsidien geprägt – wie wenn wir Parteiensysteme wie in Deutschland hätten, bei denen die Präsidien fast ein Weisungsrecht besitzen. Das führt nun zu teilweise absurden Wahlbetrachtungen: Gerhard Pfister ist der grosse Held und glänzende Taktierer, Balthasar Glättli der Loser, der nur denken, aber nicht anführen kann. Was für absurde und zum Teil einfach beleidigende Wertungen. Nach einer Wahl ist es das normalste der Welt, dass der Präsident und die Partei sich überlegen, ob sie weiterfahren wollen. Aber so zu tun, als ob die Grünen mit einem anderen Präsidenten viel besser (oder noch schlechter) abgeschnitten hätten, ist sinnlos zugespitzt, vor allem, wenn der Wahlkampf technisch funktionierte.

Zum Schluss eine Bemerkung. Die SP hat sich als ausgesprochen wahlkampftüchtig erwiesen und in der Stadt Zürich geglänzt. Das ist sicher eine Folge der permanenten Agitation mit Initiativen. Was auch einen Preis hatte: Bei den Neugewählten hatten die ‹seriösen› Politiker:innen des Kantonsrats gegenüber den bunten Faltern das Nachsehen, was als Dauerzustand gefährlich werden kann. Selbst wenn man an den beiden Faltern Freude hat.

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