Ist untergehen besser als retten?

«Wenn Firmen ihre Kunden enttäuschen, wenn ihre Manager sich unverantwortlich verhalten, müssen sie vom Markt verschwinden können. Mitarbeitende und Kapital werden dann frei und können andernorts Wohlstand schaffen.» Schöner als Christoph Eisenring in der NZZ vom 15. April kann man den Wunsch nach einer problemlosen Auflösung auch von systemrelevanten Banken und anderen Firmen kaum formulieren. Vermutlich lässt sich dieser Wunsch, den fast alle Politiker:innen in den letzten Wochen in irgendeiner Weise und oft noch mit einem Rezept formulierten, kaum realisieren. Vor allem nicht ohne Folgen für sehr viele. Der Frust, dass der Staat ein zweites Mal eine Grossbank rettete, war enorm; hatte man doch versucht, mit neuen Gesetzen ein zweites UBS-Debakel zu verhindern, eine geordnete Abwicklung auch einer systemrelevanten Bank zu ermöglichen; nun erwies sich dies als unmöglich. Der Bund rettete die CS mit Notrecht und sicherte mit finanziellen Garantien deren Aufkauf durch die UBS. Der Frust und die Freude am Wahlkampf der SVP, der SP und der Grünen war derart gross, dass sie den dazu nötigen Kredit im Nationalrat ablehnten. Seither streitet man sich auch noch darüber, ob dieses Nein nun praktische Folgen hat oder lediglich ein Ausrufezeichen ist. Jedenfalls stellt sich zusätzlich noch die Frage, wie dies Min Li Marti in ihren Gedanken zur Woche im letzten P.S. andeutete, ob und wie sehr das Regieren mit Notrecht auf die Dauer die Demokratie gefährden kann.

Fast alle politischen und wirtschaftlichen Eingriffe finden ohne den in der Wissenschaft üblichen Blindversuch statt. Wie es ausgegangen wäre, wenn der Bundesrat nicht eingegriffen hätte, wissen wir also mit letzter Sicherheit nicht und auch nicht, wie sehr sein Eingreifen den Gang der Ereignisse beeinflusste. Aus den am Dienstag dieser Woche präsentierten Zahlen der CS lässt sich aber ein bisschen mehr als vermuten, dass der Bundesrat das Notrecht zur Abwendung des sofortigen Konkurses der CS zu Recht anwandte und damit nicht etwas durchsetzen wollte, was er auf ordentlichem Weg nicht durchgebracht hätte. Die Zahlen weisen auch darauf hin, dass die Krise der CS eine ziemlich totale war. Kund:innen aller Kategorien hoben ihr Geld ab. Die Bank hat, um ihre Liquidität aufrechtzuerhalten, einen Grossteil des staatlichen Kredits von 200 Milliarden Franken zeitweise benötigt. Eine Abtrennung des Schweizer Geschäfts hätte diesen Teil der Bank keineswegs mit Garantie gerettet.

«Die Gewinne den Privaten, die Verluste dem Staat.» Diesen Satz zitierten viele Linken für diesen Eingriff. Dummerweise stimmt er praktisch zumindest bisher nur bedingt. Die Rettung der UBS schloss 2008 für den Bund mit einem anständigen Gewinn ab, auch die Darlehen an die Swiss bei Covid haben sich finanziell gelohnt. Bei der CS bluten derzeit in erster Linie die Besitzer:innen von Obligationen und Aktien, darunter arabische Staaten wie auch grosse Pensionskassen. Deren Profis wurden vom raschen Ende der CS ebenso überrascht wie die Politik, sonst hätten sie ihr Geld vorher in Sicherheit gebracht. Im Januar präsentierten Regierungsrätin Carmen Walker Späh und Stadtpräsidentin Corine Mauch die Studie der Fachleute zur Bedeutung des Bankenplatzes Zürich. Von einem Ende der CS wollten sie genauso wenig etwas wissen wie Ueli Maurer, dem nun vorgeworfen wird, er habe wider besseres Wissen Ende letzten Jahres geraten, man müsse die CS nur ein, zwei Jahre in Ruhe arbeiten lassen. Selbstverständlich ist die Forderung berechtigt, abzuklären, ob die Finma und der Bundesrat früher hätten eingreifen sollen oder müssen. Nur: Dass der Bundesrat mit Tempo 100 mit der Finma auf dem Rücksitz mehrere Rotlichter überfuhr, ist sehr unwahrscheinlich. Das rasche Ende kam wohl für alle überraschend.

Ob der Bundesrat in der Not richtig entschied, darüber lässt sich selbstverständlich streiten. Schliesslich wäre auch noch die Möglichkeit der Verstaatlichung der CS infrage gekommen. Praktisch kann ich nachvollziehen, dass er dies nicht wollte: Dazu fehlen ihm wohl die Ressourcen. Aber das kann man anders sehen und das Nein des Nationalrats zum Kredit ist für mich nicht das eigentliche Problem, obwohl man dieses Nein fast nicht anders als Misstrauen gegenüber dem Bundesrat interpretieren kann. Das ist insofern etwas merkwürdig, als mit SP und SVP jene beiden Parteien Nein sagten, die die Mehrheit im Bundesrat haben und die uns im nächsten Herbst sicher eingehend erklären werden, warum ihre vier Bisherigen wieder gewählt werden sollen, obwohl sie nun doch so versagt haben.

Ich würde mir zumindest auch über die Rolle der Finanzdelegation des Parlaments Gedanken machen. Erstens darüber, dass in dieser Notdelegation mit den Grünen und der GLP zwei meinungsstarke Parteien nicht vertreten sind und zweitens darüber, warum ihre einstimmige Zustimmung so wenig Gehör bei der Mehrheit der Nationalrät:innen fand.

Eine unheilige Allianz sehe ich mit SVP, SP und Grünen nicht, wohl aber eine Mehrheit, die nur das Nein aus vorwiegend wahltaktischen Gründen verbindet und weniger eine gemeinsame Alternative. Dass dies die Medien befeuern, gehört dazu, wie nun meine Kritik an den Medien. Aber ich hatte mitunter den Eindruck, die Medien interessierten sich mehr dafür, wie die CS-Krise die Wahlen beeinflussen, als was sie für Folgen für die Schweiz haben könnte.

Ähnlich läuft es derzeit auch bei der Unterstützung der Ukraine ab. Ich bestreite keineswegs, dass die Fragen der Waffenlieferung, der Konfiszierung der russischen Vermögen oder der Neutralität ethisch und praktisch komplex sind und dass man aus guten Gründen zu unterschiedlichen Schlüssen kommen kann. Was aber in Bern bisher abläuft, ist ein internes Schaulaufen, das vorerst dazu führt, dass der Ukraine auf keiner Ebene wirklich geholfen wird und dass wir uns zumindest in Europa isolieren, gute Dienste anbieten wollen, die derzeit niemand benötigt.

«Zu gross, um untergehen zu können.» Das wollen alle zumindest in Zukunft vermeiden. Woher kommt diese Hoffnung und warum ist das so nötig? Und ist die Rettung nicht allenfalls eine Notwendigkeit oder das kleinere Übel? Wenn ein sehr Grosser untergeht, entsteht in der Regel für viele ein grosser Schaden. Nehmen wir an, die nächste Generation der Familie Blocher schafft es durch Misswirtschaft, die Ems Chemie in eine bedrohliche Schieflage zu manövrieren: Sollen da der Bund und der Kanton Graubünden nicht versuchen, das Werk und damit viele Arbeitsplätze zu retten? Werden Mitarbeitende und Kapital bei Misswirtschaft frei, entstehen nicht nur anderswo Wohlstand, sondern oft verlassene Dörfer und verarmte Städte.

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