Geschätztes A-Bulletin,

mit Bestürzung habe ich in deiner Nr. 912 in der Rubrik Büchertipp deine Lobhudelei auf Michèle Binswangers Rachefeldzug in Buchform gegen ­Jolanda Spiess-Hegglin gelesen.

Gerne lege ich offen, dass ich seit einiger Zeit im Vorstand der von ­Jolanda Spiess-Hegglin (JSH) gegründeten Opferschutz-Organisation «Netzcourage» bin. Mit der Causa «Zuger Landammannfeier» befasste ich mich allerdings schon, bevor ich die Geschädigte überhaupt kannte (altgediente P.S.-Leser:innen erinnern sich vielleicht). Ich bin also weder sektiererisch noch blindhörig noch sonstwas, was man jenen gerne vorwirft, die sich mit ihr solidarisieren. Diesen Brief schreibe ich dir ohne Absprache mit dem Verein – ich empöre mich über dein Geschreibs rein privat, als Feministin, Journalistin und Staatsbürgerin.

Dein Buchtipp strotzt leider nur so von Fehl­informtionen. Du glaubst offenbar, alles was zwischen zwei Buchdeckeln daherkommt und sich Recherche nennt, beruhe auf Tatsachen. Allein – Papier ist geduldig. Du sagst es ja selber: Das Machwerk ist vor allem für medien-unkritische Leute ein adäquater Lesestoff, d.h. für jene, die gerne Skandale konsumieren und sich um das Elend, das solch faktenarme Schindluderei auslöst, nicht scheren. Auch deine Wortwahl ist fragwürdig: Vergewaltigung (oder im Falle von Wehrlosen: Schändung) gehört bei dir anscheinend in die Kategorie Sex, während es sich tatsächlich um die Kategorie Gewalt handelt.

Unhinterfragt übernimmst du Binswangers Vorwurf, Markus Hürlimanns Sicht werde medial totgeschwiegen. Du weisst demnach nicht, dass er und JSH schon bald nach dem Ereignis gegenseitiges Stillschweigen vereinbart haben. Nur deshalb hat man von ihm so wenig gehört. Wie das nun zu einem Buch mit Fokus auf seiner Sicht passt, kann ich mir nicht so recht vorstellen. (Es fand sich denn auch kein Verlag, der es publizieren wollte.) JSH jedenfalls hat ihn entgegen deiner Kolportage gerade  n i c h t  der Täterschaft bezichtigt. Unter anderen hielt im Mai 2023 die Basler Staatsanwaltschaft erneut fest, der Vorwurf der Falschanschuldigung sei schon «abschliessend untersucht und zugunsten von Jolanda Spiess-Hegglin entschieden worden». Und im Juli 2023 erhielt einer der Stalker von JSH ein gerichtliches Verbot, diesen falschen Vorwurf zu äussern.

Dass JSH die Öffentlichkeit gesucht haben soll, ist eine weitere Lüge, mit der die Schmutzpresse ihr Gewinnstreben auf Kosten eines Gewaltopfers reinwaschen will. JSH hatte jedoch ihre eigene Geschichte erst aus den Medien erfahren, die durch geleakte Zeugen-, Spital- oder Polizeiinformationen davon Kenntnis erhalten hatten. Sie versucht seither (offenbar erfolglos) gegen die mediale Übermacht ihre Privatsphäre zu schützen. Nun hat ja Hürlimann (möglichereweise durch das Buchprojekt angestachelt?) selber Spiess-Hegglin der üblen Nachrede angeklagt. Interessant dabei: Seine Anklageschrift war in der ‹Weltwoche› zu lesen, bevor die Beklagte davon wusste …

Mir ist schleierhaft, wie du, A-Bulletin, mit deinem an sich menschenfreundlichen Charakter, die sensationsgeile Unterhosenschnüffelei à la Binswanger höher gewichten kannst als das ehr- und redliche Bemühen eines Opfers von Gewalt (durch wen auch immer), diesen Opferstatus abzulegen und sich stattdessen aus eigenen Kräften aus dem Sumpf zu ziehen: eine Opferschutz-Organisation zu gründen, an Schulen Medienaufklärung zu betreiben, Musterprozesse gegen Cyber-Stalking zu führen usw. usf. – damit aus all dem unnötigen Leid am Ende etwas Positives resultiert…

Schäm dich was!

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