Die einen streiten über Details, die andern sparen Geld

Noch gibt es keine Einigung zum revidierten CO2-Gesetz für die Zeit ab 2025. Das Netto-Null-Ziel gilt es aber nach wie vor zu erreichen: Ein kürzlich erschienenes Buch behandelt einen Aspekt im Umgang mit CO2-Emissionen, nämlich das Schweizer Emissionshandelssystem – und geht insbesondere der Frage nach, wer von diesem System profitiert.

In der heute Freitag zuende gehenden Frühjahrssession der eidgenössischen Räte stand erneut das «CO2-Gesetz für die Zeit nach 2024» auf dem Programm: Es ging darum, die Differenzen zu bereinigen, die Stände- und Nationalrat in dieser Frage nach wie vor haben. Am Mittwoch war der Nationalrat am Zug. Das Geschäft geht nun an die Einigungskonferenz: Wie der SDA-Meldung von Mittwochmittag zu entnehmen ist, haben sich die Räte nicht einigen können, «ob der Bund Ladestationen für E-Autos subventionieren soll oder nicht». Dabei gehe es nicht um die Stationen selbst, sondern um «Basisinstallationen in Wohngebäuden mit mehreren Parteien und Betrieben mit mehreren Arbeitsplätzen», schreibt die SDA. Der Nationalrat wollte dafür jährlich bis zu 20 Millionen Franken aus dem Mineralölsteuerertrag ausgeben, der Ständerat stellte sich dagegen.

Weitere Differenzen wurden hingegen am Mittwoch bereinigt: Weil sich FDP und SVP gegen die Kommissionsmehrheit durchsetzten, gibt es keine fixe Quote für die Reduktion des Treibhausgasausstosses im Inland. Und beim Absenkpfad für die Reduktion des CO2-Ausstosses von Personenwagen gibt es keine konkreten Zwischenziele – auch hier folgte der National- dem Ständerat. 

Aktuelles Buch über Dreck als Handelsgut

CO2-Emissionen sind nicht nur der Dreck, der aktuell in die Luft geblasen wird. Sie sind auch ein Handelsgut, oder genauer: Gehandelt wird «das Recht, CO2 auszustossen». So beschreiben es Alex Tiefenbacher und Luca Mondgenast in ihrem Buch «CO2-Ausstoss zum Nulltarif. Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon profitiert». Dem Buch liegt eine Artikelserie zugrunde, die im Online-Magazin ‹das Lamm› erschienen ist. Das Vorwort enthält eine Warnung: «Mehr als einmal haben wir uns während der Recherchen für dieses Buch gedacht: Das kann doch nicht sein, irgendetwas verstehen wir falsch. Irgendetwas übersehen wir. Aber nein. Im Nachhinein hat sich in vielen Fällen herausgestellt, dass wir die Sachlage durchaus richtig verstanden hatten.»  Und sie empfehlen der  am selben Punkt angekommenen Leser:in: «Zweifeln Sie nicht an sich selbst, sondern vor allem am System. Denn so einiges am Emissionshandelssystem scheint unglaublich, ist aber trotzdem wahr.»

Die beiden Autor:innen halten gleich zu Beginn fest, dass «schön klingende Reduktionsversprechen» nicht reichten, «um den Verpflichtungen aus dem internationalen Übereinkommen von Paris nachzukommen» – und auch nicht, «um nationale Klimaschutzziele zu erreichen». Dafür seien verschiedene Systeme entwickelt worden, darunter das Emissionshandelssystem EHS: «Dabei definiert die Politik, wie viele Tonnen CO2 maximal in einem Jahr ausgestossen werden dürfen. Diese als ‹Cap› bezeichnete Obergrenze wird jährlich um einen fix definierten Faktor reduziert. Das Endziel dabei ist, dass der Cap auf Null sinkt und es dementsprechend keine Treibhausgasemissionen mehr gibt.» Unser Emissionshandelssystem ist seit 2020 mit jenem der EU verknüpft.

Und so funktionierts: «Die EHS-Teilnehmer müssen jedes Jahr ihre Emissionen mit Emissionsrechten decken. Sie müssen also für jede ausgestossene Tonne Treibhausgas eine Bewilligung abgeben. Einen Teil der Emissionsrechte erhalten sie gratis zugeteilt, ein Teil wird vom Staat an regelmässig stattfindenden Auktionen versteigert. Zudem sind die Emissionsrechte frei handelbar (Trade). Sie können also zur Deckung der eigenen Emissionen verwendet oder auch an andere EHS-Teilnehmer verkauft werden.» Der Preis für die Emissionszertifikate sollte folglich durch Angebot und Nachfrage entstehen: «In der Theorie soll die unsichtbare Hand des Marktes so aufspüren, wo CO2 am kostengünstigsten reduziert werden kann.» Nur: «Was in der Theorie einfach klingt, benötigt in der Praxis ein Regelwerk, bei dem man schnell den Überblick verlieren kann, und das viel Raum für Hintertürchen und Lobbyarbeit bietet.»

Arme Konzerne…

Die effektive Reduktion von CO2 – zum Beispiel die Reduktion hier und jetzt, nicht irgendwann im Ausland – läuft demnach Gefahr, in den Hintergrund zu geraten, wenn sich mit «Verschmutzungsrechten» Handel treiben lässt. Doch es gibt in der Schweiz noch weitere Instrumente, insbesondere die CO2-Lenkungsabgabe. Die Autor:innen halten dazu fest, «zunächst stellt sich grundsätzlich die Frage, weshalb bei den fossilen Brennstoffen gleich mehrere Instrumente geschaffen wurden». Die Erklärung: «Der Hauptgrund liegt darin: Es gab Bedenken, dass emissionsintensive, international tätige Schweizer Konzerne im Wettbewerb auf dem Weltmarkt nicht mehr mithalten könnten, wenn sie eine CO2-Abgabe bezahlen müssten.» Deshalb habe der Bund 2008 anlässlich der Einführung der CO2-Lenkungsabgabe für Emissionen aus fossilen Brennstoffen «für diejenigen Sektoren mit den höchsten Ausstössen eine Speziallösung entworfen, das Schweizer Emissionshandelssystem».

Man lese und staune: Offenbar würden es die grossen Konzerne finanziell nicht verkraften, wenn sie für den Schmutz zahlen müssten, den sie verursachen, doch, siehe oben: «Der Bund teilt allen Firmen im Emissionshandelssystem kostenlose Emissionszertifikate zu. Viele Konzerne erhalten sogar mehr Gratisrechte, als sie selbst benötigten.» Zudem profitierten die grossen Firmen, die überhaupt in diesem System abrechnen dürfen, zusätzlich direkt von der CO2-Abgabe, die in der Schweiz die meisten Unternehmen bezahlen müssen. Denn sie geniessen ein «Privileg, das unter den EHS-Teilnehmern nur die Schweizer Firmen geniessen: die Rückerstattung der CO2-Abgabe». Kurz: Sie bekommen Geld zurück, das sie nicht zahlen mussten, weil sie stattdessen Zertifikate abliefern durften, von denen sie den grössten Teil geschenkt bekamen.

… mit Privilegien

Das wirft Fragen auf: «Wie viel hätten die Schweizer EHS-Firmen bezahlen müssen, wenn ihnen für jede Emissionstonne die CO2-Abgabe in Rechnung gestellt worden wäre? Wie viel bezahlten sie in den vergangenen Jahren stattdessen für ihre Emissionsberechtigungen im EHS? Und wie viel Gewinn könnten die Firmen machen, wenn sie die Emissionsrechte verkaufen würden, die sie nach der letzten Handelsperiode noch übrig hatten?» Diesen Fragen gehen die Autor:innen im vierten Kapitel nach. Es trägt den Titel, «Klimamilliarden für Lonza, Roche, Holcim und Co.», und es enthält einige krasse Beispiele: «Hätte der international aufgestellte Chemiekonzern BASF in der vergangenen EHS-Handelsperiode in der Schweiz für alle seine Emissionen die übliche CO2-Abgabe entrichten müssen, hätte ihn das für den Standort im aargauischen Kaisten über die gesamte Handelsperiode hinweg fast 23,9 Millionen Franken gekostet. Über das EHS zahlte der Chemiekonzern laut unseren Schätzungen für seine Umweltverschmutzung nur knapp 1,2 Millionen Franken.» Das Kapitel endet mit einem einprägsamen Satz: «So wie das System in der vergangenen Handelsperiode ausgestaltet war, ist das EHS viel eher eine millionenschwere Subventionierungsmaschine für emissionsstarke Unternehmen als ein griffiges In­strument zur Reduktion von Treibhausgasen.»

Dafür haben die Firmen wenigstens genug Geld in der Kasse, um selbst Massnahmen zu finanzieren, könnte man meinen. Doch auch damit ist es nicht weit her, wie die Autor:innen im fünften Kapitel darlegen: «Unsere Recherche förderte viel Greenwashing und wenige wirklich transformative Massnahmen zu Tage und stimmt damit wenig optimistisch.» Zudem sind zu Klimainvestitionen wenig Daten vorhanden. Holcim Schweiz beispielsweise antwortete den Autor:innen, in den letzten Jahren im zweistelligen Millionenbereich in Projekte für Umweltmassnahmen investiert zu haben. Dazu halten die beiden fest: «Unsere Berechnungen zeigen jedoch auch, dass Holcim dank der Teilnahme am EHS von 2013 bis 2020 833 Millionen Franken an CO2-Abgaben einsparte, wenn man davon ausgeht, dass die Abgabe für alle emittierten Treibhausgase angefallen wäre.»

Emissionshandel…

Die Frage laute somit, wann die «Verschmutzungsparty» zum Nulltarif ende, halten die Autor:innen fest. Die EU plane Reformen: «Diese könnten das EHS aus der Geiselhaft der globalisierten Industrie befreien und damit eine tatsächliche Dekarbonisierung einleiten. Eine dieser Reformen ist der CO2-Grenzausgleich in Form einer Zollabgabe.» Doch auch hier gebe es einen «Wermutstropfen», denn dieser Klimazoll werde «sehr langsam» eingeführt werden. Das führt die Autor:innen im siebten und letzten Kapitel zur Frage, «braucht es das Emissionshandelssystem?». Ihre Analyse ergibt, dass die Kritik, beim EHS handle es sich um einen Ablasshandel, zu kurz greife: «Denn bei einem Ablasshandel müsste man immerhin kräftig in die Tasche greifen.» Somit sei das EHS «nicht einmal ein Ablasshandel». Doch auch die «kapitalismuskritische Verunglimpfung des EHS» gehe nicht auf. Die Argumentation, es könne ja nicht funktionieren, Probleme, die ihren Ursprung im Kapitalismus selbst hätten, mit einem marktwirtschaftlichen Instrument lösen zu wollen, übersehe etwas. Nämlich «dass das EHS in der aktuellen Ausgestaltung alles andere als ein Instrument des Marktes ist. Vielmehr ist es eine staatlich kontrollierte Planverschmutzung».

…oder Belohnung?

Funktioniert es denn, auf das Modell «Belohnung für weniger Emissionen» zu setzen? Da gibt es ein Problem: Was ist «weniger»? «Es braucht eine Baseline, sozusagen einen Nullpunkt, an dem die Reduktion gemessen werden kann.» Und das sei alles andere als einfach. Die EU plane die Einführung eines weiteren Emissionshandels für die Bereiche Verkehr und Gebäude: «Da­rin könnte man dereinst belohnt werden, wenn man von einem benzinbetriebenen Auto auf ein Elektroauto umsteigt und so Emissionen einspart (…).» Das klinge zunächst sinnvoll: «Aber was ist mit denen, die erst gar kein Auto haben, die den öffentlichen Verkehr benutzen oder Fahrrad fahren und damit noch umweltfreundlicher unterwegs sind als mit dem Tesla? Erhalten sie ihre CO2-Einsparungen ausbezahlt? Oder gibt es für sie eine andere Baseline, weil sie sich schon vorher ohne Auto fortbewegt haben? Vielleicht hat die Person, die auf den Tesla umsteigt, auch einfach einen längeren Arbeitsweg, der nicht mit dem Fahrrad bewältigt werden kann. Dann wären unterschiedliche Baselines allenfalls gerechtfertigt. Andererseits hat sich die Teslaperson vielleicht selbst dazu entschieden, weiter weg zu wohnen, weil es dort hübsche Häuser mit grossem Garten gibt. Damit wäre die Anwendung verschiedener Baselines wiederum fragwürdig. Vielleicht wurde sie aber auch durch steigende Mieten aus der Stadt gedrängt.»

«Instrument in derselben politischen Liga»

Die Autor:innen kommen zum Fazit, um der internationalen Klimakrise Einhalt zu gebieten, brauche es ein politisches Instrument, «das in derselben internationalen Liga spielt wie die Konzerne». Will heissen: «Das Emissionshandelssystem und ein mit ihm kombinierter Klimazoll sind die einzigen bereits vorhandenen Instrumente, die diesem Anspruch zumindest ansatzweise gerecht werden. Deshalb werden wir das EHS nicht abschaffen können. Es muss aber unbedingt strenger und transparenter werden. Und damit jedes teilnehmende Land darauf vertrauen kann, dass die anderen Länder die Konzerne genauso zur Kasse bitten, muss es einen Mindestpreis auf CO2-Emissionen garantieren.»

Fazit der Leserin: Die Lektüre dieses Buches lohnt sich sehr. Denn die Autor:innen schauen genau hin, sie heben, bildlich gesprochen, jeden Stein auf und gucken drunter, und sie präsentieren das, was sie dabei finden, dank vieler Beispiele, Tabellen und Grafiken sehr anschaulich. Und gut geschrieben ist das Buch obendrein.

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