Gemeinsam

Obs überhaupt eine Rolle spielt, wie es exakt benannt wird, dieses Gefühl der Innigkeit eines Langzeitpaares verkriecht sich als Frage in den Hintergrund.

Erich und Gerda Wyss sind zwei Figuren aus dem (mittlerweile wieder eingestellten) Langzeitplan von Tim Krohn, eine Conditia humana anhand von eintausend Stichworten respektive Regungen zu Papier zu bringen. Aus seiner langjährigen Lebenserfahrung heraus verortete er sämtliche Figuren in einer Wohngenossenschaft im Zürcher Kreis 5. Die beiden 81-jährigen Erich und Gerda sind darin das Paar, «das schon lange auf den Tod wartet, doch dazu noch viel zu lebendig ist». Irina Schönen und Gian Rupf haben daraus den szenischen Lese- und Lebensabend «Erich und Gerda – Der Sommer kommt wieder» geschaffen. Es ist eine zärtliche Vertrautheit in Ritualen, die bereits ihren Anmarsch, also dem sorgsam vorsichtigen, in kleinen Schritten gehen in Filzpantoffeln bis zum zentralen Podest auf der Bühne die gute Stunde vom Fleck weg in eine ausnehmend figurenbejahende Grundstimmung taucht. Geld spielt offenbar nur eine untergeordnete Rolle und dies gerade weil sie davon nicht im Übermass besitzen. Das Wohl des jeweils anderen wird über das eigene gestellt. Und sollte eine Dringlichkeit sich unbedingt Bahn brechen wollen, ist beiderseits langjährig und erfolgreich eingeübt, wie eine Zielerreichung zu bewerkstelligen ist. Das Erinnern ist hier nicht von einem grundlegend verschiedenen Vermögen abhängig, sondern offensichtlich abhängig davon, was und wie vom damaligen Erleben in die subjektive Erinnerung Einzug gefunden hat. Sein Flirt auf der Griechenlandreise mit einer Tavernenbetreiberin vor Jahrzehnten ist Erich dermassen erfolgreich entfallen, dass er standfest negieren kann, noch überhaupt nie Rezina getrunken zu haben, während es gerade diese Leichtigkeit seiner dannzumaligen lockeren Anbandelung und der damit verbundene Stich in ihr Herz ist, den sie dieses Erleben noch in bester Erinnerung halten lässt. Beide malen sich eine Zukunft vor, in der sie dem/der anderen viel lieber den Vorzug darin gäben, sie nach ihm/ihr überhaupt noch alleine erleben zu müssen. Ihre Furcht vor dem Tod äussert sich also als Furcht vor einem Alleingelassensein und der damit einhergehenden Überforderung, sich ein derartiges Dasein als überhaupt lebenswert ausmalen zu wollen. Es kommt dann, wie es kommt. Eine Lebensfeier und ein Treppensturz zeitigen gerade nicht die augenscheinlichsten Folgen, derweil das Zwiegespräch über die Grenzen der verschiedenen Welten hinaus mit gleichbleibender bis sogar noch wachsender Inbrunst fortgeführt wird. Ein Kleinod. froh.

«Erich und Gerda – Der Sommer kommt wieder», 5.2., Sogar Theater, Zürich. 

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