Gegen Not punkten

Mit der Solikarte kann man die beim Migros-Einkauf gesammelten Cumulus-Punkte an Menschen in Not spenden. Nach einem kräftezehrenden Tauziehen mit dem Grossverteiler gehört der Verein Solikarte nun zu den empfohlenen Spendenorganisationen des Cumulus-Programms.

 

Roxane Steiger

Das Konzept hinter der Solikarte ist simpel: Beim Einkaufen in der Migros spendet man seine gesammelten Cumulus-Punkte an Asylsuchende in Notsituationen. Damit unterstützt das Kollektiv verschiedene Projekte und Organisationen wie die Autonome Schule oder das Solinetz Zürich. Mit der Migros hat das Projekt einen steinigen Weg hinter sich. Schlussendlich hat sich die spontan entstandene Idee aber mit einigen Abstrichen als Migros-konformes Sammelsystem durchgesetzt. Hintergrund für die Lancierung der Solikarte ist eine grundlegende Kritik an der Schweizer Migrationspolitik.

 

Am Existenzminimum 

Das Projekt Solikarte nahm 2009 in der Ostschweiz seinen Anfang. «Unter Freund­Innen und Bekannten kursierte ein Cumulus-Strichcode, sodass alle auf ein gemeinsames Konto sammelten», erläutert das Kollektiv auf seiner Webseite. Anstatt für sich selbst, beschlossen sie solidarisch für NothilfebezügerInnen Cumulus-Punkte zu sammeln. Schnell wurde die Idee über die Ostschweiz hinaus bekannt und Solikarten in Zürich und Bern kamen 2011 hinzu. Mittlerweile handelt es sich um ein schweizweites Projekt. Organisiert wird es von einem kleinen Kollektiv, das sich unentgeltlich dafür engagiert. Die gesammelten Punkte werden an verschiedene Projekte und Organisationen in der ganzen Schweiz verteilt. Diese geben die Bons im Anschluss entweder direkt an die betroffenen Personen oder indirekt via Angebote wie Mittagstische oder Deutschkurse weiter. 

Bei NothilfebezügerInnen handelt es sich um Personen mit abgelehntem Asylantrag, die trotzdem in der Schweiz bleiben. Von der Sozialhilfe sind sie ausgeschlossen und arbeiten dürfen sie auch nicht. Stattdessen haben Sans-Papiers Anrecht auf Nothilfe. Diese nehmen jedoch nur rund zwei bis fünf Prozent aller potenziellen NothilfebezügerInnen in Anspruch. «Es besteht nämlich die Gefahr, dass mit der Beantragung der Nothilfe ein Haftbefehl gegen sie erlassen werden könnte, weil sie sich nach dem negativen Entscheid illegal in der Schweiz aufhalten», erklärt das Kollektiv. Nothilfe soll die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Hygiene, medizinische Notfallversorgung und einfache Unterkunft decken. Das Budget liegt je nach Kanton zwischen 4 und 12 Franken pro Tag. «An einem normalen Schweizer Alltag kann damit nicht teilgenommen werden.» Daraus schliesst das Kollektiv, dass die staatliche Aufgabe, Asylsuchenden in der Schweiz ein würdiges Leben zu ermöglichen, nicht erfüllt wird. Deshalb sei es wichtig, politischen Druck auszuüben und den Menschen in dieser prekären Situation zusätzliche Unterstützung zu bieten.

 

Mission Grossverteiler

Die Migros teilte die Begeisterung für die boomende Solikarte anfangs nicht. Sie wurde 2012 auf die hohen Punktebestände der Konten aufmerksam und drohte, die Spendenkarten zu sperren. Daraufhin suchte das Kollektiv das Gespräch, bis es für eine Weiterführung des Projekts grünes Licht erhielt. Im Februar 2013 legte die Migros dem Projekt aber wieder Steine in den Weg: das Sammelkonzept der Solikarte sei nicht mit den bevorstehenden Änderungen des Cumulus-Systems kompatibel (P.S. berichtete). Ihre Bedingung für die Weiterführung des Projekts lautete: in Zukunft müsse jedeR SammlerIn ein persönliches Cumuluskonto eröffnen. Dahinter steckt eine heute gängige Marketingstrategie. Auf der Cumulus-Karte wird das Kaufverhalten von KundInnen abgespeichert. Anhand dieser Daten kann von einzelnen Haushalten ein Konsumentenprofil erstellt und so gezielt Produkte beworben werden. Auf der Solikarte wurden die Cumulus-Punkte anonym gesammelt und anschliessend gespendet. Die Absicht, Daten der KundInnen für Werbezwecke zu verwenden, wurde somit durchkreuzt. Letztendlich liess sich das Solikarten-Kollektiv auf den Vorschlag der Migros ein. «Schliesslich profitieren von der Solikarte immer mehr Menschen und Projekte. Die bis dahin investierte Energie sollte nicht in den Sand gesetzt werden», erläutert das Kollektiv. Im März 2014 verkündete die Mi­gros: « Die Solikarte ist ab sofort eine der von Migros in ihrem Cumulus-Programm empfohlenen Spendenorganisationen.» 

Daraufhin folgten für das Kollektiv hohe finanzielle Einbussen. Bis 2014 hatte es monatlich über 170 000 Franken an Organisationen weitergeben können. Nach dem Wechsel waren es noch 15 000 Franken, und Ende 2014 sackten die Beträge auf 5000 Franken herunter. Nach und nach stieg der Spendenbetrag, seit 2017 sind es wieder rund 15 000 Franken monatlich. Eine Solikarte kann man auf der Webseite solikarte.ch unkompliziert bestellen. Die gesammelten Cumulus-Punkte werden dann automatisch auf das Konto der Solikarte überwiesen. 

Auch die Supercard von Coop geriet ins Visier des Solikarten-Kollektivs. Supercard-Punkte kann man spenden, indem man eine eigene Karte einrichtet und die Punkte auf ein Konto, dessen Angaben das Kollektiv auf seiner Webseite aufgeführt hat, überweist. «Bestimmt werden wir früher oder später auf Coop zugehen, um zu erreichen, dass auch sie wie die Migros mitmachen», versichert das Solikarten-Kollektiv zielbewusst. Denn es weiss: Tatendrang und unermüdlicher Einsatz zahlen sich aus.

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