Für Ärmste, Arme oder alle?

Der Zürcher Gemeinderat stritt beim Neuerlass der Verordnung über die Umsetzung von §49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes hauptsächlich über Einkommenslimiten.

An der ersten Sitzung des Zürcher Gemeinderats im neuen Jahr stand am Mittwochabend der Neuerlass einer Verordnung im Mittelpunkt, der viel zu reden gab. Hintergrund ist die kantonale Abstimmung vom 28. September 2014, als der Paragraph 49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG) mit 58,4 Prozent Ja-Stimmen durchkam. Er ermöglicht es den Gemeinden, einen Mindestanteil an preisgünstigem Wohnraum festzulegen, wenn Zonenänderungen, Sonderbauvorschriften oder Gestaltungspläne zu erhöhten Ausnützungsmöglichkeiten führen. Dazu müssen die Gemeinden Bestimmungen «zur angemessenen Belegung der Wohnräume» erlassen», wie im PBG nachzulesen ist. Die am Mittwoch besprochene Umsetzungsvorlage, der Neuerlass der Verordnung über die Umsetzung von §49b PBG, umfasst vier Kapitel, wie Kommissionspräsidentin Brigitte Fürer (Grüne) ausführte. Darin ist von allgemeinen Bestimmungen über Belegungsvorschriften und Kontrollmechanismen bis zu Investitionskosten und Mietzinse und Schlussbestimmungen alles enthalten, was die Umsetzung ermöglichen soll. Nebst Belegungsvorschriften sah die Vorlage des Stadtrats zusätzlich auch Einkommenslimiten analog zu jenen in der städtischen Vermietungsverordnung vor.

«Kernstück» Einkommenslimiten?

Dieser Punkt stellte sich in der Debatte schnell als zentraler Streitpunkt heraus: SP, Grüne und AL wollten die Einkommenslimiten streichen, die Bürgerlichen wehrten sich dagegen, wobei der Hauptwiderstand von den Grünliberalen ausging. Nicolas Cavalli (GLP) führte aus, in der PVW, der kantonalen Verordnung, seien Belegungsvorschriften enthalten, doch es sei «eine Glaubensfrage, was das bedeutet». Der Stadtrat finde, es brauche Einkommenslimiten, was die Grünliberalen befürworteten. Denn sie seien dafür, dass günstige Wohnungen «zielgerichtet bedürftigen Personen» zugute kämen. Es brauche keine ideologische, sondern eine pragmatische Umsetzung. Auch Claudia Rabelbauer (EVP) betonte namens der Mitte-/EVP-Fraktion, sie könne nicht verstehen, dass die Mehrheit die Einkommenslimite streichen wolle. Diese sei doch das «Kernstück» der Vorlage, die Wohnungen für «Bedürftige» sichern solle. So aber kämen die Wohnungen nicht jenen zugute, die sie nötig hätten. Sie sagte auch, eventuell habe ja die Stimmbevölkerung das letzte Wort…

Patrick Tscherrig (SP) erinnerte die Bürgerlichen daran, dass sie sich seinerzeit bei der kantonalen Abstimmung für den Paragraphen 49b ausgesprochen hätten, die Grünliberalen inklusive, und zwar mit Kostenmiete und Belegungsvorschriften. Beim Kanton seien dann «plötzlich» Einkommens- und Vermögenslimiten reingekommen, doch der Regierungsrat habe sie wieder rausgestrichen. Dies, weil es sich bei den wenigen Wohnungen, die gemäss diesen Vorschriften entstehen würden, nur um solche mit Kostenmiete handle: Es gebe «keinen Einsatz von Steuergeldern».

«Auch Mittelstand wird verdrängt»

Marco Denoth (SP) erklärte, auch Menschen aus dem Mittelstand müssten aus der Stadt wegziehen, weil sie keine bezahlbare Wohnung mehr fänden. Es bestehe zudem keine Gefahr, dass wegen fehlender Einkommenslimiten «Reiche» in solche Wohnungen zögen, das würden die Belegungsvorschriften verhindern. Auch die Durchmischung sei wichtig, fügte er an. Nicolas Cavalli entgegnete ihm, ursprünglich sei es um eine klar definierte Personengruppe gegangen, jene mit bescheidenen Mitteln. Wenn nun auch der Mittelstand zugelassen werden solle, komme das einer Zweckentfremdung der Verordnung gleich. Da es nur um wenige Wohnungen gehe, würde ein «Verteilkampf» entbrennen. Finanzvorstand Daniel Leupi schloss sich Cavalli an: «Ich verstehe nicht, was Rot-Grün da reitet!», sagte er. Fehlende Limiten würden keineswegs die Durchmischung fördern, im Gegenteil, fügte er an.

Cavalli legte nach: Werde die Einkommenslimite rausgestrichen, sei für die Grünliberalen «eine rote Linie überschritten». Auch Patrick Tscherrig wurde grundsätzlich: Er warf den Bürgerlichen vor, sie wollten festhalten, wer nicht «richtig arm» sei, solle auch nicht in den Genuss der Kostenmiete kommen, sondern die Gewinne der profitorientierten Immobilienfirmen finanzieren. «Das wollen wir nicht. Preisgünstige Wohnungen nach Paragraph 49b sollen ein Segment bedienen, das bis in den Mittelstand reicht.» Die Belegungsvorschriften hätten zudem durchaus eine «soziale Steuerung» zur Folge, und es würde einen «unverhältnismässigen bürokratischen Mehraufwand» bedeuten, auch noch Einkommens- und Vermögenslimiten festzulegen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Nicolas Cavalli konterte, Wohnen sei ein Menschenrecht, «günstig Wohnen offenbar auch…» Es gehe jedoch keineswegs darum, «arm gegen ganz arm auszuspielen», indem man Einkommenslimiten festlege. Es nützte nichts: Mit 60 gegen 52 Stimmen setzten sich SP, Grüne und AL durch.

«Augenwischerei vom Feinsten»

Nach erfolgter Detailberatung ging der Streit von vorne los, galt es doch, die derart bereinigte Vorlage zu beraten. An der grundsätzlichen Uneinigkeit änderte sich damit logischerweise nichts: Nicolas Cavalli sprach davon, SP, Grüne und AL hätten mit dem Streichen der Limiten einen «krassen Kollateralschaden» verursacht, und von einem «schwarzen Tag»: «Wollt ihr euch nicht mehr für vulnerable Personen einsetzen?» Brigitte Fürer hingegen befand, es erstaune sie, dass beide liberalen Parteien hier «eine völlig andere Welle reiten als sonst». Es brauche eine «einfache, pragmatische Verordnung, die relativ schnell umgesetzt werden kann». Tatsächlich war es schon auffallend, dass die Bürgerlichen, die sonst stets gegen angebliche «Bürokratiemonster» kämpfen, hier nichts gegen mehr Vorschriften zu haben schienen… Florian Utz (SP) erklärte, die aktuelle Bevölkerung werde «bis in den Mittelstand hinein aus der Stadt verdrängt, und jede Verdrängung ist falsch». Und es könne nicht sein, die Armen gegen den Mittelstand auszuspielen. Er freue sich sehr auf die Volksabstimmung, fügte er mit dem Hinweis an, die Bürgerlichen hätten das Referendum ja «mehr oder weniger angekündigt». Claudia Rabelbauer entgegnete ihm, er betreibe «Augenwischerei vom Feinsten». Sie sei «entsetzt» und «enttäuscht». Andreas Kirstein (AL) befand trocken, es sei «absehbar» gewesen, dass die Grünliberalen die Einkommenslimite zum «Fetisch der Debatte» machen würden. Er sei jedoch überrascht, dass der Finanzvorstand ins selbe Horn blase. Auch er betonte, es sei nicht zu befürchten, dass Reiche in diese Wohnungen zögen. Nach «geschlagener Schlacht» ging die Vorlage an die Redaktionskommission, die Schlussabstimmung folgt später.

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