Es braucht keine fossilen Kraftwerke

Ein Forschungsteam der ZHAW kommt zum Schluss, dass die vom Bund geplanten fossilen Reservekraftwerke für die Stabilität des Schweizer Stromnetzes nicht gebraucht werden. Damit bestärken sie den Klimastreik, der sich gegen die fossilen Ausbaupläne seit längerem wehrt.

Wer im aargauischen Birr den Ton angibt, bleibt der bahnreisenden Besucherin nicht verborgen. Während der Zug langsam zum Stillstand kommt, sticht einem das riesige Emblem des Energiegiganten General Electric (GE) gleich ins Auge. In Birr werden seit Jahrzehnten Turbinen für Kraftwerke getestet, so überraschte es niemanden, als der Bundesrat den Standort für den Bau eines temporären Öl- und Gaskraftwerkes verkündete. Trotzdem war der Wydenhof gegenüber der Industrieanlage von GE an einem Septemberabend bis auf den letzten Platz gefüllt mit wütenden und sich vor den Kopf gestossenen Einwohner:innen. Wie laut das Kraftwerk sein wird und ob nun die Kinder im nahegelegenen Schulhaus unter schlechter Luft leiden müssen, konnten die Verantwortlichen des Bundes nicht beantworten. Es ist das klägliche Resultat einer jahrzehntelangen, bürgerlichen Blockadepolitik in der Energiewende.

Nach den gescheiterten Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU und dem Nein zum CO2-Gesetz sah die fossile Lobby eine Möglichkeit, in der Schweiz neue fossile Infrastruktur zu bauen. Eine Analyse der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) kam dabei zum Schluss, dass im Falle eines fehlenden Stromabkommens mit der EU ab 2025 in einem Ex­tremszenario die potenzielle Gefahr einer Strommangellage bestünde. Über die nächsten Monate schürten zahlreiche Medien und Parteien gezielt die Angst vor einer Strommangellage mit dem Ziel, den Bau von neuen Atom- und Gaskraftwerken salonfähig zu machen.

Aufgrund einer anhaltenden, auffällig einseitigen und dilettantisch schlecht informierten Berichterstattung sah sich der Bund gezwungen, ein Konzept für den Bau von zwei bis drei Gaskraftwerken bis 2026 mit einer Gesamtleistung von 1000 MW zu erarbeiten. Diese Leistung entspricht jener des AKW Gösgen.

Ölkraftwerk dank Einmarsch Putins

Zu diesem Zeitpunkt fanden bereits die ersten Manöver der russischen Armee an den Grenzen zur Ukraine statt und die nach Europa gelieferte Gasmenge wurde von Russland in unregelmässigen Intervallen künstlich verknappt. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sahen sich die westlichen Staaten mit der Gefahr eines totalen Ausfalls des Importes von russischem Gas konfrontiert, das unter anderem für den Betrieb von Gaskraftwerken in Europa benötigt wird. Weil gleichzeitig zahlreiche französische AKW aufgrund technischer Probleme nicht am Netz waren, befürchtete der Bundesrat, dass in den Winter- und Frühlingsmonaten zu wenig Strom zur Verfügung stehen würde. Daher zog er die Pläne für die Reservekraftwerke vor und ordnete den Bau und die Wiederinbetriebnahme von Öl- und Gaskraftwerken an. Mittlerweile wurden in Birr acht mobile Öl- und Gaskraftwerke aufgestellt und der Bund hat mit den Betreibern der bestehenden Gaskraftwerke in Cornaux NE und Monthey VS Verträge abgeschlossen. Im Falle einer sich abzeichnenden Mangellage würden diese Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 336 MW zu Beginn des Winters zum Einsatz kommen und die Wasserkraftreserve erst gegen Ende des Winters.

Während auch die linken und grünen Parteien mit den Gaskraftwerken zeitweise liebäugelten, wehrte sich die der Klimastreik von Beginn weg vehement gegen den Bau und Betrieb von fossiler Infrastruktur. Allein das Kraftwerk in Birrt stösst ähnlich viele CO2-Emissionen aus wie die Anzahl Einwohner:innen der Stadt Zürich im gleichen Zeitraum. Ein Forscherteam der ZHAW hat nun mit einer eingehenden Analyse verschiedener Studien des Bundes zur Stabilität des Schweizer Stromnetzes mehr Licht ins Dunkel gebracht.

Dank Erneuerbaren sicher durch den Winter

Beim Lesen der Studie fragt man sich, wie der Bund ernsthaft den Bau von fossilen Kraftwerken in Erwägung ziehen konnte. Die Öl- und Gaskraftwerke müssten bereits acht Wochen vor einer erwarteten Mangellage in Betrieb genommen werden. Ihre Aufgabe bestünde darin, die Wasserkraft zu entlasten, sodass diese im Notfall genügend Reserve hat, um die Mangellage zu entschärfen. Ein Einsatz bei einem unvorhergesehenen AKW-Ausfall wäre also gar nicht möglich. Doch aus den Studien des Bundes wird nicht klar, wieso diese Aufgabe nicht auch Solar- und Windkraft übernehmen könnte. Die Studienautor:innen weisen darauf hin, dass erhöhte Stromimporte oder das Einsparziel des Stromverbrauchs von zehn Prozent in den Wintermonaten den gleichen Effekt wie der Zubau von weiteren Produktionskapazitäten haben würden. Jürg Rohrer, Mitautor der Studie, stellt dabei klar, dass die Speicherwasserkraftreserve verbindlich sein müsse, sie also nicht auf dem Markt verkauft werden dürfe.

Während die Schweiz zum Glück – dank dem erfolgreichen Referendum von Links – ihren Strommarkt nicht so stark liberalisierte wie andere europäische Staaten, ist die direktdemokratische Mitsprache bei der Stromversorgung trotzdem nur sehr beschränkt möglich. Dies offenbarte sich zuletzt, als die Axpo vom Bund mehrere Milliarden Sicherheitsgarantien erhielt und sich gleichzeitig erdreistet, keinen Beitrag zur Wasserkraftreserve zu leisten. Durch eine direktdemokratische Mitsprache, wie sie der Klimastreik verlangt, könnte sichergestellt werden, dass mit einer klugen Kombination aus Stromeinsparung und Ausbau der Erneuerbaren die Reserven in den Stauseen möglichst lange unangetastet bleiben, und nicht an den Märkten verzockt werden. Gleichzeitig kann auch ausgehandelt werden, welche Bereiche Strom einsparen müssen und im Falle einer Mangellage als Erstes abgestellt würden.

Die Autor:innen kommen dabei zu einem klaren Fazit: «Der rasche Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion und der Energieeffizienz bietet sowohl ökonomisch und ökologisch als auch bezüglich Versorgungssicherheit grosse Vorteile gegenüber der Beschaffung von fossilen Reserve-Kraftwerken.» Eine Ausschreibung von weiteren Reservekraftwerken wäre nicht nachvollziehbar, zumal mit den weiteren Kosten von geschätzten 1,4 Milliarden Franken an Steuergeldern die gleiche Leistung aus erneuerbaren Quellen zugebaut werden könnte. Deren Verfügbarkeit wäre nicht vom Gutdünken Putins abhängig und würde zudem jedes Jahr 100 Millionen Franken an Einnahmen generieren.

* Jonas Kampus ist aktiv im Klimastreik.

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