Steuern flossen wie noch nie
Stadt und Kanton Zürich schliessen die Rechnung 2022 mit grossem Plus ab: 543 Millionen Franken sind es beim Kanton, 297 Millionen bei der Stadt. Budgetiert hatten beide ein beachtliches Defizit. Grund für die Differenz sind vor allem die deutlich höheren Steuererträge.
Der Kanton budgetierte ein Minus von 543 Millionen Franken, die Stadt eines von 192 Millionen Franken. Mit den Nachtragskrediten ergibt dies beim Kanton eine Abweichung zwischen Budget und Rechnung von 1,1 Milliarden Franken, bei der Stadt von 614 Millionen Franken. Diese grosse Differenz zog nicht nur freundliche Kommentare nach sich. Grundsätzlich ist dazu folgendes zu sagen: In Zeiten der Hochkonjunktur – und die herrscht trotz Corona und Ukrainekrieg – ist dies die Regel: Bei den Ausgaben alles berücksichtigen, was mit grosser Wahrscheinlichkeit ansteht, und bei den Einnahmen nur mit den sicheren rechnen. Nach dieser eher vorsichtigen Regel handeln sowohl Ernst Stocker beim Kanton wie Daniel Leupi bei der Stadt. Betrachtet man die Zahlen detaillierter, so müssen sich die Verantwortlichen des Kantons die gut 500 Millionen zusätzlichen Steuereinnahmen von Privatpersonen als Tolggen in der Budgetierung ankreiden lassen, während die Stadt bei der Grundstückgewinnsteuer nicht gerade brillierte. Dabei gilt es auch, den Zeitpunkt der Budgetierung zu berücksichtigen: Diese Budgets entstanden im Sommer und Herbst 2021, also mitten in der Coronazeit. Hätten die beiden Finanzverantwortlichen damals so hohe Steuererträge wie noch nie ins Budget geschrieben, hätten wohl viele an ihrer Urteilskraft gezweifelt.
Mit der Bemerkung, «wenigstens sind wir positiv danebengelegen», fasste Ernst Stocker die Situation gut zusammen. Das «positiv» gilt allerdings für die Einsparungen bei den Ausgaben nur sehr bedingt. Während die Kaumbeanspruchung des Coronaschutzschirms für Veranstalter genauso Grund zur Freude ist wie die rasche Rückzahlung der Pandemiedarlehen, sind vor allem die tieferen Personalausgaben ein Grund zur Besorgnis. Dies zeigt sich bei der Stadt sehr deutlich: Wenn im Spital gut 200, in der Schule knapp 100 und bei der Polizei rund 50 bewilligte Stellen nicht besetzt werden konnten, bedeutet dies in erster Linie, dass die gewünschten Leistungen zumindest teilweise nicht in der verlangten Qualität erbracht werden konnten und dass die übrigen Mitarbeiter:innen mehr leisten mussten als vorgesehen. Was auf die Dauer in die Hosen gehen kann. Hier wurde auch nicht bewusst gespart, sondern die Stellen konnten trotz Anstrengungen nicht besetzt werden. Sind wichtige öffentliche Leistungen gefährdet, schadet dies auch der Wirtschaft.
Entwicklung nach Branchen
Die Finanzsituation von Stadt und Kanton Zürich ist nach acht Jahren hintereinander mit teils hohen positiven Abschlüssen ausgesprochen solide. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Kanton ohne die 700 Millionen Franken von der Nationalbank 2022 ein Defizit geschrieben hätte. Der Kanton besitzt ein Eigenkapital von 11,8 Milliarden Franken, die Nettoschulden betragen 3,9 Milliarden Franken. Die Stadt sitzt neu auf einem zweckfreien Eigenkapital von 2,1 Milliarden Franken und konnte ihre Schulden leicht auf 4,7 Milliarden Franken reduzieren. Die Investitionen bewegen sich bei beiden auf einem hohen Niveau und sie konnten beim Kanton ganz und bei der Stadt zu 80 Prozent aus dem laufenden Budget bezahlt werden.
Daniel Leupi präsentierte eine interessante Steuerertragsentwicklung nach Branchen, die einiges aussag, über mögliche Auswirkungen des CS-Konkurses. Sah es zu Beginn der 2010er-Jahre noch so aus, dass sich zwischen den Banken und den Versicherungen ein Gleichgewicht bei den Steuern einstellte, dominieren die Banken seit 2020 wieder so deutlich, dass man die anderen im Vergleich fast vergessen kann. Von den 908 Millionen der juristischen Personen kam ziemlich genau die Hälfte von den Banken. Daniel Leupi geht davon aus, dass die UBS die CS übernahm, um damit auch Geld zu verdienen. Gelingt dies nur halbwegs, nimmt die Stadt kaum sehr viel weniger Steuern ein, da auch viele Entlassene eine neue Stelle finden werden. Misslingt die Übernahme, könnte es dafür die Stadt hart treffen, wobei sie derzeit ein paar schmale Jahre ohne Paniksparen überstehen kann.
Dass die Steuern vor allem von den Banken kommen, bedeutet im übrigen nicht, dass die Stadtzürcher Wirtschaft schlecht diversifiziert ist und dass andernorts nicht auch gut verdient wird. Das Steuersystem erlaubt beispielsweise den grossen IT-Unternehmen derzeit einfach besser als den Banken, die Steuern für sie günstiger zu verteilen. Und bestätigt einmal mehr, dass die Möglichkeiten bei der Steuerveranlagung viel wichtiger als die Höhe des Steuerfusses sind.
Steuersenkungen
Trotzdem spielt bei den Stellungnahmen der Parteien und Verbänden der künftige Steuerfuss eine zentrale Rolle. Die Ausgangslage ist so, dass der Regierungsrat sowohl bei den Staatssteuern als auch bei den Gewinnsteuern an eine Senkung denkt. Daniel Leupi betonte, dass der Stadtrat sich damit noch nicht befasst hat, aber aus seinen Ausführungen kann man schliessen, dass er lieber Schulden abzahlen als Steuern senken möchte. Vor allem, wenn der Kanton die Gewinnsteuer wirklich senkt, was politisch vom neuen Kantonsrat eher als nicht zu erwarten ist. Im Gemeinderat dürfte eine Steuersenkung kaum eine Chance haben.
Geht man davon aus, dass ein Budget so aussehen sollte, dass damit die beschlossenen Vorhaben gut bezahlt werden können, ist eine Steuerfusssenkung sowohl im Kanton wie in der Stadt rein von den Zahlen her möglich. Ob sie Sinn macht, ist eine Frage der politischen Einstellung. Wenig Sinn macht in meinen Augen allerdings die Überhöhung der Bedeutung des Steuerfusses. Wenn beispielsweise die GLP verlangt, dass nun die Kinderbetreuung gefördert werden müsse, bin ich ganz bei ihr. Nur ist das keine Budgetfrage. Es liegt eine konkrete Vorlage des Regierungsrats vor (Kostenpunkt rund 100 Millionen Franken). Die kann man ganz konkret beschliessen und dann kommt der Betrag ins Budget. Ähnlich ist es auch mit der Verbilligung der Krankenkassenprämien. Die Frage ist doch, wie nötig ist sie und wie setzt man sie konkret um und weniger, was macht man mit dem zu viel an Geld. Ganz abgesehen davon, dass die gute Finanzlage Kompromisse erlaubt, wenn man sich nicht darauf versteift, die Frage der Höhe des Steuerfusses zur zentralen Politikfrage hinauf zu stilisieren.