Der Ukraine-Krieg und die Folgen für die Linke

Mehr als ein Jahr ist es nun her, dass das Regime von Russlands Präsident Putin den Krieg in der Ukraine mit einer Grossoffensive ausgeweitet hat. Wie soll die Linke mit diesem Krieg umgehen? Für mich sind zwei Fragen entscheidend: Erstens, was sagen die Direktbetroffenen, und zweitens, welchen Charakter hat der Krieg? 

Für Linke ist die Sicht der Direktbetroffenen zwar nicht die einzige, aber doch immerhin der erste Hinweis auf eine Position. Diese Idee steckt im Kern der Idee der Selbstbestimmung, die für mich immer noch das Linkssein ausmacht. Bezogen auf den Krieg in der Ukraine ist die Frage schnell beantwortet. Es gibt gerade unter der ukrainischen Linken keine relevante Stimme, die etwas anderes vertritt als die absolute Priorität der militärischen Verteidigung – und zwar durchs Band von anarchistischen bis hin zu sozialdemokratischen Gruppen. Ich habe weder in direktem Kontakt, beim Besuch in der Ukraine noch sonstwo irgendwelche Stimmen gehört, die ernsthaft einen Frieden mit Gebietsgewinnen der Russen akzeptieren wollen, spätestens nicht mehr nach den Massakern von Butscha. 

Ehrlicherweise muss man eingestehen, dass sich hier auch eine historische Schuld der westeuropäischen Linken gegenüber Osteuropa versteckt. Wir haben jahrelang nicht zugehört, wenn vor Putin gewarnt wurde, gerade im Fall der Ukraine. Nicht in böser Absicht, aber in einem naiven Glauben an die Notwendigkeit einer globalen Balance unter Einbezug Russlands. Dieser Blick war, man muss es so hart sagen, arrogant, ignorant, ja teilweise fast kolonialistisch. Genau diesen Blick haben gewisse Linke immer noch, wenn sie glauben, es besser zu wissen als die Ukrainerinnen und Ukrainer.

Kein falscher Antiimperialismus, kein falscher Frieden

Die zweite Frage ist etwas komplexer: Welchen ‹Charakter› hat dieser Krieg? Natürlich überlagern sich in diesem Krieg wie in jedem mehrere Konflikte und Interessen. Sicher, die Amerikaner:innen handeln hier nicht aus reiner Menschlichkeit. Auch sie haben ihre Interessen in Osteuropa und natürlich geht es um geostrategischen Einfluss. Das verleitet (und hat schon in der Vergangenheit) gewisse linke Kreise dazu, die russische Position zumindest teilweise zu verteidigen (und rechte sowieso). Das Argument lautet, dass wir als Linke den schrumpfenden Einfluss der imperialistischen USA als unipolare Weltmacht zugunsten einer multipolaren Welt begrüssen sollten. Die Hälfte davon ist zwar richtig, die andere Hälfte allerdings dramatisch falsch. Natürlich wäre eine Demokratisierung der Weltpolitik zu begrüssen – allerdings nicht unter den aktuellen Vorzeichen. Wenn der Preis für die Multipolarität das Erstarken des Einflusses autoritärer oder sogar faschistischer Regime in Russland, China oder Indien ist, dann kann das keine Perspektive für die Linke sein. Wie die indische Kommunistin Kavita Krishnan richtig ausführt: «Indem die Linke ihre Reaktion auf politische Konfrontationen innerhalb oder zwischen Nationalstaaten als eine Nullsummen-Option zwischen der Befürwortung von Multipolarität oder Unipolarität darstellt, hält sie eine Fiktion aufrecht, die selbst in ihren besten Zeiten immer irreführend und ungenau war. Aber diese Fiktion ist heute geradezu gefährlich, denn sie dient einzig als Erzählung und dramatisches Mittel, um Faschist:innen und Autoritäre in ein schmeichelhaftes Licht zu setzen.»

Putin kaschiert seine eigenen, offensichtlich ebenfalls imperialistischen Ansprüche hinter einer vermeintlich linken, antiimperialen Rhetorik gegen die «westliche Dominanz». Der Versuch besteht darin, die universellen Menschenrechte als westlichen Kolonialismus abzutun, was auf die Forderung nach einer wertfreien Multipolarität hinausläuft. Im Falle Russlands entspricht das laut Krishnan konkret der Freiheit, im Namen des Antiimperialismus gegen die USA «faschistisch sein zu dürfen». Oder wie es die Gruppe Russischer Exillinker in einem Statement im Magazin ‹International Viewpoint› formuliert: «Wenn Putin von der Zerstörung der amerikanischen Hegemonie in der Welt und sogar von ‹Antikolonialismus›(!) spricht, meint er keineswegs die Schaffung einer egalitäreren Weltordnung. Putins ‹multipolare Welt› ist eine Welt, in der Demokratie und Menschenrechte nicht mehr als universelle Werte gelten und die so genannten Grossmächte freie Hand in ihren geopolitischen Einflusssphären haben […] Diese ‹schöne alte Welt› ist ein wunderbarer Ort für Diktatoren, korrupte und rechtsradikale Politikaster. Aber sie wäre die Hölle für Arbeiter:innen, ethnische Minderheiten, Frauen, LGBT-Menschen, kleine Nationen und Befreiungsbewegungen.»

Zur Ideologie und Rhetorik der Gewalt passt bei Putin leider auch die Praxis. Es ist richtig, in Kriegen kommt es sehr oft zu Verletzungen der Genfer Konventionen. Gibt es solche Vorwürfe, müssten sie bei aller klar verteilten Sympathie auf beiden Seiten ernst genommen werden. Das Kriegsvölkerrecht gilt für alle. Aber die russische Seite setzt auf eine Strategie des systematischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung. Einerseits, wenn sie öffentliche, zivile Infrastrukturen bombardiert und so versucht, den Widerstand zu brechen. Andererseits, wenn wir sehen, was die russischen Besatzer anrichten, wenn sie ein Gebiet besetzen und unter anderem systematisch sexuelle Gewalt anwenden. Als brutalstes Mahnmal dafür kann wohl Butscha herhalten. Gerade deshalb warnen Ukrainerinnen und Ukrainer zu Recht vor einem Missverständnis, wenn Putin von «Frieden» spricht. Frieden unter russischer Besatzung bedeutet für die dort lebende Zivilbevölkerung kaum Frieden im eigentlichen Sinn, sondern Unterdrückung. 

Nationalismus = Nationalismus?

Ein weiteres Unbehagen vieler betrifft den Eindruck, zwischen zwei Nationalismen entscheiden zu müssen, dem russischen und dem ukrainischen. Die Frage ist, vereinfacht gesagt, ob es einen Unterschied macht, wo welche Grenze eines Nationalstaates durchläuft, da wir als Linke ganz grundsätzlich nicht die grössten Verfechter nationaler Grenzen sind. Wiederum gilt das gleiche wie oben: Auf dem Papier mag das stimmen, im konkreten Fall ist die Frage allerdings zynisch. Aber lassen wir jemanden dazu sprechen, der sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat, gerade im Kontext der Ukraine und Russland: Wladimir Iljitsch Lenin. Putin hasst Lenin, weil er ihm die Schuld für die Trennung zwischen der Ukraine und Russland zuschreibt. Grund genug, ihn genau zu dieser Frage zu zitieren. Lenin schreibt 1922 zur Frage der Nationalitäten und zum Verhältnis der russischen Mehrheit zu den nationalen Minderheiten in der damaligen Sowjetunion: «Es [geht] nicht [an], abstrakt die Frage des Nationalismus im Allgemeinen zu stellen. Man muss unterscheiden zwischen dem Nationalismus einer unterdrückenden Nation und dem Nationalismus einer unterdrückten Nation, zwischen dem Nationalismus einer grossen Nation und dem Nationalismus einer kleinen Nation […].» 

Natürlich ist Lenin eine historische Figur, die ihre Überlegungen in einer ganz bestimmten Zeit entwickelt. Vieles von dem, für was er stand und tat, lässt sich heute kaum mehr verteidigen, gerade in Bezug auf das Vorgehen der Roten Armee in der Ukraine. Aber der nach wie vor aktuelle Kerngedanke in diesem Zitat lautet: Was wir als Nationalismus einer unterdrückten Nation erfahren, ist meist die Forderung nach dem Recht auf Selbstbestimmung und Gleichheit mit anderen Nationen. Der Gedanke an nationalen Zusammenhalt bildet dabei die Klammer, um unterschiedliche Fraktionen der Gesellschaft trotz unterschiedlicher Interessen (z.B. Unternehmer und ihre Angestellten) zusammen auf ein Ziel einschwören zu können. Diese Form der Einforderung des nationalen Selbstbestimmungsrechts ist eben nicht gleichzusetzen mit dem Nationalismus der unterdrückenden, imperialistischen Nation, oft begleitet von einer rassistischen Überlegenheitsideologie. Lenin entwickelt aus diesem Gedanken seine Theorie zum Selbstbestimmungsrecht, die zur ideellen Grundlage vieler antikolonialer Widerstandskriege werden sollte. Natürlich bleibt dieses Zugeständnis, wie man aus dem Zitat ebenfalls lesen kann, nicht ohne Absicht. Nur der Weg über das Selbstbestimmungsrecht erlaubt es, so Lenin, die Arbeiterklasse unterdrückter Revolutionen für die sozialistische Revolution zu gewinnen. Man braucht dieses Ziel nicht in seiner Radikalität zu teilen, um sich der Forderung nach Gleichheit der Nationen anzuschliessen. Die Gleichheit der Nationen bildet u.a. die Grundlage der UNO, festgehalten in Art. 2 Abs. 1 der UNO-Charta: «Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.» 

Lenin entwickelt seine Theorie in zweifacher Abgrenzung. Einerseits liefert er sich einen jahrelangen Streit mit Rosa Luxemburg und anderen innerhalb der sozialistischen Bewegung, andererseits natürlich mit den liberal-konservativen Weltmächten und ihren Führern. Oft wird diese Auseinandersetzung mit den Positionen Lenins und Woodrow Wilsons (amerikanischer Präsident von 1913 bis 1921) illustriert. Wilson gilt als Gründervater der liberal-konservativen Vorstellung des Selbstbestimmungsrechts. Rita Augusta Knudsen unterscheidet die beiden Konzepte mit den Begriffen des Rechts auf Selbstbestimmung nach Lenin Freiheit als Gleichheit, jene von Wilson Freiheit als Frieden und Nicht-Intervention. Wenn Lenin mit Selbstbestimmung das Recht der Menschen auf Demokratie und soziale Rechte meint (die eben auch einmal gegen das Friedensgebot erkämpft werden dürfen), so meint Wilson – und mit ihm die folgende liberal-konservative Tradition – vor allem die Souveränität der jeweiligen Regierungen. Selbstbestimmung muss in dieser zweiten Tradition nicht unbedingt mit ausgebauten Rechten im Inneren einhergehen. Linke würden sagen, es sei keine Perspektive «von unten». Frieden meint dann keinen Zustand umfassender positiver Rechte für alle, sondern insbesondere ungehinderten, globalen Handel «von oben». Deshalb ist es eben gerade kein Widerspruch, wenn jetzt Rechtslibertäre in ganz Europa für den «Frieden» mit Russland auf die Strasse gehen. Ihr Frieden würde sich in der Wiederherstellung ungehinderter Warenflüsse erschöpfen. Die «unsichtbare Hand des Marktes» sorgt dann in dieser Idee langfristig für den Durchbruch bürgerlich-demokratischer Ideale (was getrost durch die Realität widerlegt, gelten darf). Dieser Gedanke steckt auch hinter der Neutralitätskonzeption der Rechten hierzulande. Die Neutralität dient der Versicherung, dass keine innere Konstellation eines anderen Staates den Handel beeinträchtigt, z.B. so Dinge wie fehlende Menschenrechte – selbst wenn das auch die Neutralität gegenüber der «Freiheit, faschistisch zu sein» bedeutet. Das ist der Nationalismus der entwickelten Nationen, hierzulande vertreten von der SVP, der dazu dient, die Ausbeutung anderer Völker zugunsten eines national-egoistischen Wohlstandsmodells zu rechtfertigen.

Was heisst das alles für die Linke?

Für die Linke bedeutet dies im doppelten Sinne das, was Etienne Balibar als Strategie der «unity of opposites», also der Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Ziele und Strategie, bezeichnet. Dieser erste Gegensatz meint die Notwendigkeit, die Ukraine mit allen möglichen Mitteln in ihrer Verteidigung gegen den russischen Imperialismus zu unterstützen, also auch mit militärischen. Und gleichzeitig bereits an einer Nachkriegsordnung zu arbeiten, die sowohl eine globale Aufrüstungsspirale als eine weitere Zunahme der Dominanz der Nato gegenüber der UNO verhindert. Langfristig kann es eben nur eine Dominanz des Militärbündnisses und damit das Recht des Stärkeren geben oder die Vorherrschaft des Völkerrechts und seiner Institutionen. Genau diesen Gedanken nahm die SP Schweiz auf, als sie vorschlug, den Re-Export von ehemals Schweizer Munition aus anderen Ländern an die Ukraine zu erlauben, sofern eine Mehrheit der UNO-Generalversammlung die Verletzung der UNO-Charta durch Russland feststellt (was der Fall ist). Der Vorschlag erlaubt, weder mit Verweis auf eine vorgeschobene Neutralität passiv bleiben zu müssen noch gezwungen zu sein, das Primat der völkerrechtlichen Weltordnung vor der militärischen Logik aufzugeben. Und hier kommt auch das logische Nein zu weitergehenden, direkten Waffenexporten aus der Schweiz ins Spiel. Diese wären innenpolitisch unter den gegenwärtigen Verhältnissen nur um den hohen Preis einer generellen Liberalisierung der Waffenexporte und Stärkung der Schweizer Rüstungsindustrie zu haben. Und hier hat die Rechte bereits klar gemacht, um was es ihr geht: Nicht um die Ukraine, sondern um die Möglichkeit, wieder und weiter in Staaten wie Saudi-Arabien und andere Diktaturen exportieren zu können. Das würde jeder menschenrechtsbasierten Politik zuwiderlaufen.

Folgt man dem Gedanken einer langfristig auf das Völkerrecht ausgerichteten Politik weiter, wird auch klar, dass die Frage des Re-Exports von Schweizer Munition nicht der entscheidende Faktor ist, mit dem die Schweiz der Ukraine beistehen kann. Viel wichtiger wäre es, dafür zu sorgen, der Finanzierung der Kriegsmaschinerie Putins und auch künftiger, autoritärer Regimes über die Schweiz Einhalt zu gebieten. Dies verlangt nicht nur eine rigorose Regulierung des Finanz- und Rohstoffhandelsplatzes, sondern auch einen konsequenten Ausstieg aus der fossilen Energie, durch deren Kontrolle und Verkauf sich das Regime Putins schlussendlich finanziert. Dass genau dies aber von der Verwaltung und den bürgerlichen Parteien blockiert wird, zeigt, wie scheinheilig deren verbale Unterstützung der Ukraine letztendlich eben oftmals ist.

Zweitens bedeutet es über Balibar hinaus auch eine «unity of opposites», was die Unterstützung der ukrainischen Linken angeht. Diese kämpft nämlich an zwei Orten gleichzeitig: Einmal militärisch mit der Regierung Wolodimir Selenskis um nicht weniger als das Überleben oder zumindest Fortbestehen der Ukraine als Staat. Und ein zweites Mal gegen die Regierung Selenskis um die Frage, wie dieser Staat ausgestaltet werden soll. Natürlich gibt es zwischen diesen beiden Kämpfen eine klare Hierarchie. Man kann keine Auseinandersetzung um einen Staat führen, den es nicht gibt. Aber auch diese Dimension der Auseinandersetzung um die Nachkriegsukraine hat bereits begonnen. Leider spielt die Regierung von Selenksi eine zwiespältige Rolle, teilweise auf Druck westlicher Interessen, aber lange nicht nur. Die Journalistin Anna Jikhareva spricht von einer «Deregulierung im Schatten des Krieges». Der WoZ sagt der ukrainische Energieminister im Rahmen eines Gesprächs am Rande der Wiederaufbaukonferenz in Lugano, an die die Gewerkschaften nicht einmal eingeladen waren: «Das Gute ist», so der Minister zum Schluss, «dass wir als Regierung während des Krieges gesetzlich mehr Macht haben. Die Investoren können mir also einfach sagen, was sie brauchen.» Die Regierung benutzt das Kriegsrecht, um Deregulierungen des Arbeitsrechtes und Privatisierungspläne durchzusetzen, die sie vor dem Krieg nicht durchbrachte. 

Die Linke in Westeuropa und anderswo muss eben auch hier drei Dinge gleichzeitig tun: Die Unterstützung der Regierung Selenskis im Kampf gegen den russischen Imperialismus mittragen, die Emanzipation der Ukraine von den ‹eigenen› Oligarchen vorantreiben helfen und gleichzeitig Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und linke Parteien im Widerstand gegen die neoliberalen Pläne unterstützen. Eine der wichtigsten Forderungen ist dabei der Schuldenerlass für die Ukraine. Vor 70 Jahren trat das Londoner Schuldenabkommen in Kraft. Deutschlands Kriegsfolgeschulden wurden um die Hälfte gekürzt. Erst das erlaubte es dem Land, seine Wirtschaft wiederaufzubauen. Die Ukraine wird ebenfalls einen Schuldenerlass brauchen. Sonst droht die Schuldenlast das Land selbst bei einem erfolgreichen Ausgang der militärischen Auseinandersetzung über Jahrzehnte zu erdrücken. Und was das für die neoliberalen Pläne bedeutet, lässt sich leicht erahnen.

Hier schliesst sich, drittens, der Kreis zur Frage der Verantwortung ‹des Westens›. Auch diese darf die Linke nicht tabuisieren. Es steht ausser Frage, der Krieg in der Ukraine ist Folge des putinschen Imperialismus. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Aber natürlich gibt es eine Vorgeschichte, eine Eskalationsspirale. Wie praktisch immer in Kriegen. Heute ist zum Beispiel unbestritten, dass die Last der Reparationszahlungen infolge Versailler Verträge nach 1918 mithalfen, den Boden für Ressentiments zu schaffen, die die Nazis anschliessend ausnutzten. Niemand würde deswegen den Nationalsozialismus als solchen entschuldigen wollen. Analoges finden wir heute mit einer Eskalationsgeschichte, die mindestens bis zum Fall der Sowjetunion zurückreicht. Es ist kaum ernsthaft in Abrede zu stellen, dass die Nato danach die Rolle der UNO und auch der OSZE zunehmend infrage zu stellen begann und Nato-Staaten Verantwortung tragen für aggressive, militärische Einsätze mit der Folge der Diskreditierung der globalen Sicherheitsarchitektur – als Stichworte reicht der mit blanken Lügen geführte Irakkrieg, der sich eben zum 20. Mal jährt. Und bei allen geostrategischen Debatten über Fehlentscheide und gegenseitige Provokationen, die man führen kann, scheint mir ein zentrales Versagen darin zu liegen, überhaupt erst die Entstehung von Voraussetzungen geschaffen zu haben, die den Aufstieg des mafiösen Komplexes zwischen Putin und der russischen Oligarchie mindestens erleichterten. Dazu gehört erstens der turbokapitalistische Umbau der ehemaligen Sowjetunion mit der dramatischen Abstiegserfahrung von Millionen von Menschen. Und zweitens die selbstverschuldete Abhängigkeit von fossiler, russischer Energie. Naiv hat Europa seine Strom- und Energieversorgung dem Markt überlassen. Der ‹unsichtbaren Hand›. Das hat es Putin einfach gemacht, die Politik hinter den Gas- und Öllieferungen verschwinden zu lassen. Diese Abhängigkeit Europas war einer der offensichtlichen Gründe, weshalb man Putin nicht früher Einhalt geboten hat, obwohl er eine ‹rote Linie› nach der anderen überschritt.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.