Erhobenen Hauptes

German Kral feiert die stoische Kraft, die der Melancholie des argentinischen Tangos erwächst.

Argentinien 2001. Das gemeine Volk ist über Nacht mittellos. Die Krise schwelt bereits mehrere Jahre, als sich der Schuster und Bandoneonist Julio (Diego Cremonesi) dazu durchringt, alles Bisherige aufzugeben und auf ein neues Leben in Deutschland zu setzen. Der Laden und das Auto sind das einzige, was er zu Geld machen kann. Die US-Dollars für den Laden verschwinden im Schwarzen Loch der Bank, aus dem Auto wird im Handumdrehen Altmetall, weil ihn Mariela (Marina Bellati) mit ihrem Taxi abgedrängt und in den Brückenpfeiler manö­vriert hat. «Adiós Buenos Aires» von German Kral ist eine Ode an den Kampfgeist der argentinischen Bevölkerung und deren Fähigkeit, im Sarkasmus einen Rettungsring zu erkennen. Die Wut gegen die korrupte Elite findet ihr Ventil in den Texten der «Nachbarn von Pompey», Julios Band. Der Sänger ist schon weg. Entlang der Schicksale der übrigbleibenden Bandmitglieder zeichnet das Drehbuch von Stephan Puchner, Fernando Castets und German Kral für «Adiós Buenos Aires» ein tragikomisches und schmerzhaft süsses Abbild der Lebenssituation der Argentinier:innen dieser Tage. Der Geiger Atilio (Manuel Vicente) ist sozialistisch gefärbt kategorisch, der Bassist Tito (Rafael Sprengelburd) findet philosophische Endungen für jede Ausweglosigkeit, und der Pianist Carlos (Carlos Portaluppi) erkennt in jeder Lottozahl ein (schlechtes) Omen. Der Wirt ist Spezialist für Paralleluniversen. Auch eine Art imaginäre Rettung. Denn gegenüber der elendiglichen Korruption der Hausse sind alle machtlos. In den grossen Linien ist die Kopf hoch!-Maxime durchs Band präsent. Zusammen mit der Musik, die mitunter ungemein klassenkämpferische Töne anschlägt, entsteht eine melancholische Mélange, die auch als Fatalismus durchginge. Die älteren Herren finden im noch viel älteren, ehemals landesweit berühmten Sänger Ricardo Tortorella (Mario Alarcón) den Schlüssel für bezahlte Engagements. Zuerst aber auch nur, weil er wegen unbezahlter Rechnungen aus dem Altersheim fliegt. Es sind die Miniaturen der einzelnen Szenen und die bissigen Dialoge, die den Ton eines Lebensgefühls treffen, deren musikalische Entsprechung nur der Tango sein kann. Niemand sucht nach beschwichtigenden Worten für die herrschende Misere, und der Humor, mit dem die bestimmt eintreffende nächste Panne gemeistert wird, verströmt Boshaftigkeit. Nur den Stolz lässt sich keiner nehmen, selbst wenn dies Lieben kosten sollte. Weil das ganze Land zeitgleich Oberkante Unterlippe im Dreck steckt, entwickelt sich sogar etwas wie ein solidarisches Grundrauschen. Eines wovon man sich als Publikum gerne verzaubern lässt. froh.

«Adiós Buenos Aires» spielt im Kino Movie.

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