Emotionen

Vier Frauen liebende Frauen mit Geburtsjahr in den 1930ern erzählten der Historikerin Corinne Rufli ihre Geschichte.

Das Projekt dauert an, insbesondere interessieren sie Geschichten von Frauen liebenden Frauen über 80 mit Migrationshintergrund – für ihre Dissertation. Seit einem Jahr tourt die Audiocollage «Die Liebe in meinem Leben» mit der Livezeichnerin Anja Siedler durch die Kleintheater, worin drei Stimmen im Originalton und gelesene Tagebucheinträge der vierten Einblicke in komplett verschiedene Lebensläufe ermöglichen, die verblüffen. Insbesondere, weil sich die Hemmnisse, Sorgen und Nöte über die Jahrzehnte gar nicht so kolossal verändert haben. Je nach Eigenpositionierung, von der ehemaligen Aktivistin bis zur sich überhaupt nicht als lesbisch identifizierenden Frau und je nach Alter, in dem dieser seit Kindertagen empfundenen oder erst neu erfahrenen gleichgeschlechtlichen Anziehung, in dem sie zu einer insgeheim gelebten oder laut vor sich hergetragenen Liebesbeziehung geführt hatte, bieten sämtliche Lebensberichte Anknüpfungspunkte für eine individuelle Identifikation. Die meisten waren verheiratet und sind Mütter, was bei keiner als Ausflucht oder Unterwerfung vor gesellschaftlichen Konventionen empfunden wird. Stets waren sie und sind es beim Erzählen noch immer, selbstständige Individuen mit genau solchen Knörzen. Das euphorische Erweckungserleben ist für die eher extrovertierte, dramatisierende Person im tiefen Erleben dasselbe, wie das verstohlen gelebte, lang nachwirkende Glückserleben im Stillen für eine eher zurückhaltend distanzierte Persönlichkeit. Die Zweifel bezüglich des titelgebenden Gefühlsrausches, der mitunter nur einmal, mitunter regelmässig bis häufig als Lebensbereicherung mit allfällig im Schlepptau befindlicher Verkomplizierung der bisherigen Lebensumstände daherkam, sind in der Summe so universell, dass sich darüber gar die Erwähnung einer Besonderheit der geschlechtlichen Anziehung auch erübrigen könnte. Die Regisseurin Ruth Huber inszeniert mit der Musikspur von Fatima Dunn auch eine formal abwechslungsreiche Mischung. Mal zeigt der Hellraumprojektor Diapositive, die die Zeichnerin auf einer anderen Glasplatte mit der erzählten/beschriebenen Wunschvorstellung zu einem neuen Ganzen komplettiert, mal zeigt die Projektion die Leerstelle, die ein Hinschied oder eine Trennung erwirkt haben, und die Anja Siedler verleiht dem nurmehr ersehnten Vis-à-vis eines inneren Zwiegespräches mittels weniger Striche eine vorübergehend fassbare Körperlichkeit. Die Stimmung der Fünfviertelstunde ist hauptsächlich frohgemut und dankbar und insbesondere gelacht wird sehr viel.

«Die Liebe in meinem Leben», 16.3., Sogar Theater, Zürich.

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