Elastizität

Die Neuverortung der aktuellen Unsicherheit von Renato Kaiser weist Parallelen mit Francis Picabias Bonmot auf.

Grosser Bahnhof in der Bayerischen Staatskanzlei, endlich ist das behördliche Gendern dezidiert untersagt und die Welt kann bleiben, wie sie schon immer war. Problem erkannt, Problem gebannt. Womit zeitgleich eine Beweisführung unternommen ist, der Kopf wäre nicht rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann, wie Picabia das für sich reklamiert hatte, sondern er sei allein deshalb rund, damit Hohlraum und Hutschnur ein symbiotisches Dasein ermöglicht würde. Jetzt ist es aber so, dass die Deutungshoheit nicht mehr nur von denen kontrolliert wird, die dies seit jeher für sich reklamierten, sondern dass neben Satiriker:innen und Kabarettist:innen auch das ganz ordinäre Volk, insbesondere der darunter fälschlicherweise zur Minderheit reduzierte Teil wie beispielsweise – Achtung! – die Frau, für sich beansprucht, die eigene Lebensrealität als die entscheidende anzusehen, diese Meinung auch kundzutun und dafür einzustehen. Jetzt erscheint Renato Kaiser optisch eher als cis-weiss-gelesener Heteromann, wodurch er in seinem aktuellen Programm «Neu» gezielt das Wagnis eines Shitstorms eingeht, weil er sich mittels althergebrachten menschlichen Regungen wie Einfühlungsvermögen für Anliegen in die Bresche wirft, die höchstens in ihrer Konsequenz einen positiven Impact auf sein eigenes Dasein erfüllen. Ob ihm daraus ein Strick der sogenannten kulturellen Aneignung gedreht werden könnte, scheint er für das potenziell sehr viel geringere Übel zu halten, als dass er einfach schweigen oder sogar den verbal lautesten Empörungen alias Spaltabsichten den Mund reden würde. Für jede seiner Übergrifflichkeiten findet er total banal klingende ergo brutal einleuchtende Beispiele. Zur Verdeutlichung seiner Fragestellungen stellt er sich mit Vorliebe als besonders blöd zur schau, was sich rückblickend aber als naheliegend offenbart, weil sich Logik und Naturgesetze nicht immer unbedingt mit einer vehement vorgetragenen Maximalparole decken. Sofern beispielsweise aus der Perspektive von Fundi-Abtreibungsgegner:innen das Leben bereits im Spermium seinen Anfang nimmt, wie stellt sich diese Warte eigentlich zur Tatsache, dass selbst beim Beischlaf mit der Absicht zur Fortpflanzung nur eines von dreissig Millionen überhaupt ans Ziel gelangt ergo überlebt? Renato Kaisers neckische Gedankenelastizität streift entlang sämtlicher Wahnsinnsprobleme, die den Untergang des Abendlandes zu forcieren scheinen und entlarvt sie als boshaft umgeworfenes Deckmäntelchen des angriffslustigen Dreckschleuderns, um vom Pech beim eigenen Denken abzulenken.

«Neu», 20.3., Kaufleuten, Zürich.

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