Einmal keine, einmal mehr

Der Zürcher Gemeinderat befasste sich unter anderem mit dem Kibag- und dem Josef-Areal, beziehungsweise mit den unterschiedlichen Auffassungen darüber, was dort gebaut werden sollte und was nicht.

Zu Beginn der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend stand der antisemitische Anschlag vom letzten Samstag im Mittelpunkt (siehe dazu auch den Kantonsratsbericht nebenan). Anders als im Kantonsrat gab es jedoch keine Provokationen, im Gegenteil: Erst redete Stadtpräsidentin Corine Mauch, dann verlas Florian Utz (SP) eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionen von links bis rechts. Corine Mauch sprach von einem «Mordversuch» und einem «schrecklichen und feigen Gewaltverbrechen», das sie «tief betroffen, traurig und auch wütend» mache. Sie dankte aber auch den Zürcher:innen für die «Solidarität und das Zusammenstehen» und versicherte den Jüd:innen, «Ihre Sicherheit hat für den Stadtrat höchste Priorität».

In der gemeinsamen Fraktionserklärung heisst es unter anderem, «wir verurteilen diesen fürchterlichen Angriff auf unseren jüdischen Mitmenschen aufs Schärfste». Die Attacke sei «ein Schock für uns alle und darf sich nicht wiederholen».

Keine teuren Wohnungen

Unterschiedliche Wahrnehmungen auf bürgerlicher und auf linker Seite prägten die Debatte um den «Masterplan Seeufer Wollishofen», den die Stadt der Quartierbevölkerung letzten Herbst präsentiert hatte (siehe P.S. vom 8. September 2023). Einerseits beantragte der Stadtrat Zustimmung zu diesem Masterplan, andererseits die Abschreibung der diesem Plan zugrunde liegenden dringlichen Motion von Gabriele Kisker und Luca Maggi (beide Grüne, erstere nicht mehr im Rat). Die beiden hatten eine Gebietsplanung rund um die Rote Fabrik «unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Stadtbevölkerung nach Erholung, Freiraum und preisgünstigem Wohnraum» geforfert. Kommissionssprecher Jürg Rauser (Grüne) verwies auf die Testplanung, die bis Ende 2022 gedauert hatte und unter Einbezug einer «breiten Öffentlichkeit» erfolgt sei, inklusive Mitwirkungsverfahren. Daraus entstand der Masterplan, demgemäss unter anderem die Savera-Wiese erhalten, die Rote Fabrik und das Gemeinschaftszentrum «gestärkt» werden sollen, während die Wohnnutzung «fallen gelassen wurde»: Jürg Rauser verwies dazu auf die «Strasse im Rücken», sprich den Lärm, der «schlecht vereinbar mit einer Wohnnutzung» sei. Zudem werde dort das Interesse an Frei- und Grünraum «höher gewichtet». Zum «Haken» am Ganzen sprach er auch noch, der auf dem gleichnamigen Areal ansässigen Betonproduzentin Kibag: Sonderbauvorschriften, die seit 2009 in Kraft sind, sehen dort eine Wohnzone W4 vor, doch sie sollen aufgehoben werden, weil sich seither unter anderem das kantonale Planungs- und Baugesetz geändert habe, womit Anpassungen der Vorschriften im Uferbereich nötig würden.

Claudia Rabelbauer (EVP) erklärte, ihr sei «sauer aufgestossen», dass der Schutz von privatem Eigentum hier «allzu leicht verletzt» werde. Sie warf dem Stadtrat vor, ihm fehle der «gute Wille», für mehr Wohnungen zu sorgen, dabei brauche es diese dringend. Flurin Capaul (FDP) sagte, was hier vorgesehen sei, entspreche einer «materiellen Enteignung der Kibag». Reto Brüesch (SVP) erklärte, seine Fraktion werde dem Masterplan nicht zustimmen, denn es gebe dort deshalb keine Wohnungen, «weil ein Privater bauen will». Jürg Rauser erinnerte Flurin Capaul daran, dass Enteignung ein Thema sei, «doch die Sonderbauvorschriften wurden vor der Einführung des Mehrwertausgleichs beschlossen», die Umwandlung des einstigen Industriegebiets in eine Wohnzone W4 sei somit noch nicht abgegolten. Zudem habe die Motion «günstigen Wohnraum» gefordert, also nicht das, was sich die Kibag vorstelle. Karen Hug (AL) lobte den partizipativen Prozess wie auch den Einbezug eines Planungsteams, das mit der lokalen Bevölkerung ins Gespräch gekommen sei. Auch Mathias Egloff (SP) sprach von einem «sehr gelungenen Verfahren» zu diesem «empfindlichen Ort, wo öffentliche Interessen im Vordergrund stehen». Hochbauvorsteher André Odermatt fügte an, dass es Gespräche zwischen Kibag und Stadt gegeben habe, die Kibag jetzt aber den Rechtsweg beschreite. Das absehbare Ja zum Masterplan sei deshalb «der Beginn eines langen Prozesses». Mit 76 gegen 42 Stimmen (von SVP, FDP und Mitte/EVP) nahm der Rat Kenntnis vom Masterplan, und mit 118 gegen 0 Stimmen erfolgte die Abschreibung der Motion.

Mehr Wohnungen auf dem Josef-Areal

Die dringliche Motion der AL-, Grüne-, GLP-, SP- und Die Mitte/EVP-Fraktion für die «Realisierung von gemeinnützigen Wohnungen und Gewerberäumen mit ausreichendem Grün- und Freiraum zusätzlich zu den Alterswohnungen auf dem Josef-Areal» wollte der Stadtrat nur als Postulat entgegennehmen. Karen Hug stellte aber klar, dafür sei das Vorhaben «zu wichtig», denn «wir wollen mehr» – namentlich mehr gemeinnützige Wohnungen. Das sei auf dem Areal möglich, und die dafür nötige Umzonung sei «eine Frage des politischen Willens». Sie liess auch das Argument des Stadtrats nicht gelten, das Gewünschte sei nicht innert der Frist von zwei Jahren zu schaffen, innert derer eine Motion beantwortet werden muss: Fristerstreckungen seien kein Problem.

Stadtrat Odermatt sagte, es gelte zu bedenken, wo es Dichte vertrage – und wie viel. Zürich West sei bereits dicht bebaut. Weiter gab er zu bedenken, der Richtplan sehe auf dem Areal öffentliche Infrastruktur vor. Wenn diese dort nicht gebaut werden könne, müsse man sagen, wo sie denn zu erstellen sei. Zudem brauche es zu Wohnungen immer auch die nötige Infrastruktur, zum Beispiel Grünraum und Schulen.

Reto Brüesch machte es kurz: Die SVP fordere per Änderungsantrag, auf den ursprünglich geplanten Werkhof zu verzichten und dafür mehr Alterswohnungen zu bauen. Lisa Diggelmann (SP) gab bekannt, dass ihre Fraktion als Mit-Einreicherin der Motion nun für die Umwandlung in ein Postulat sei. Sie begründete das unter anderem mit der «enormen Dichte» und damit, dass es nicht möglich sei, die Motionsfrist einzuhalten. Zudem sei ein Postulat ausreichend, denn der Stadtrat wolle ein solches ja prüfen. Weil aber die AL gegen die Umwandlung in ein Postulat sei, werde sich die SP in der Abstimmung der Stimme enthalten. Gut möglich, dass die SP unterdessen ihrem Stadtrat Odermatt zugehört und erkannt hat, dass sich die in der Motion geäusserten Wünsche wohl doch nicht so einfach erfüllen lassen… Nach ausführlicher Debatte lehnte der Rat den Änderungsantrag der SVP ab und überwies die Motion mit 70 gegen 12 Stimmen (der SVP) bei 31 Enthaltungen (der SP).

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