Eine richtige Amerikanerin

Sie sagte, jetzt sei ich eine richtige Amerikanerin und lachte. Ich lachte auch und freute mich fest. Eine richtige Amerikanerin. Ich! 

Anlass zur Freude gab es freilich nur insofern, als dass ich halt gerade sehr gerne eine gewesen wäre, die Umstände aber waren weniger heiter. Es ging nämlich darum, dass ich verkündete, ich würde «deswegen» nun sicher nicht zum Arzt gehen, das sei zu teuer und zu kompliziert. Das ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert für mich und vor allem eben typisch amerikanisch. Aber der Reihe nach. 

«Deswegen» heisst, dass ich im Laufe meines Amerikajahres irgendwann einen vielleicht neuen dunklen Punkt auf meinem Arm entdeckte, so sicher war ich nicht. Jetzt muss man wissen, dass ich früher eine wirklich aussergewöhnlich krasse Hypochonderin gewesen bin (dazu später). Was ich auch heute noch für mich in Anspruch nehmen kann, ist, dass ein Onkel an Hautkrebs gestorben ist und mein Vater fast und ich selbst über so viele Sommersprossen verfüge, dass das unmöglich im Alleingang zu überblicken ist, weshalb mir Dermatolog:innen dringend raten, alle sechs Monate einmal zur Kontrolle zu kommen. Dass ich das nun nicht machte und mich auf später vertröstete, wenn ich wieder in der Schweiz wäre, hatte damit zu tun, dass die Jahreskontrolle bei der amerikanischen Gynäkologin dermassen astronomisch teuer ausgefallen war, dass ich noch immer unter Schock stand. Die Abrechnung mit der Schweizer Krankenkasse war eine Odyssee, immer fehlten Dokumente, Belege, Berichte und die Aussicht darauf, dass das mit einem Besuch bei einer Dermatologin genau gleich ablaufen würde und ich es am Ende dann doch selbst zahlen musste, war so furchtbar, dass ich beschloss, «deswegen» nun nicht zum Arzt zu gehen. Wie eine richtige Amerikanerin eben. 

Das alles fiel mir wieder ein, ihr werdet es längst vermutet haben, als die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli am letzten Sonntag sehr laut über die Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung nachdachte. Es ist erstaunlich, dass sie wirklich meint, damit Geld zu sparen und ich unterstelle ihr Unvermögen oder Zynismus und bin mir nicht mal sicher, was besser wäre. 

Anders als ich dachte, als ich noch in der Schweiz lebte, ist das amerikanische Gesundheitssystem nicht grundsätzlich schlecht. Es kommt einfach darauf an, in welchem Stadium des Krankheitszustandes man damit in Kontakt kommt. Hat man also beispielsweise Krebs, kann man auf absolut topausgebildete Ärzt:innen zählen, auch dann, wenn man jetzt nicht so wahnsinnig viel Geld hat. Weil man mit nicht so wahnsinnig viel Geld aber eben nicht zum Arzt geht, bis es unumgänglich ist, kosten die Behandlungen dann schlussendlich Unsummen. Mit Vorsorgeuntersuchungen, wie sie in der Schweiz von der Krankenkasse bezahlt werden, können viele schlimme Verläufe verhindert werden. In den USA wird aus finanziellen Gründen wenig verhindert. Unter dem Strich ist das natürlich nicht günstiger, als wenn man den Zugang zum Gesundheitssystem schon vorher allen ermöglicht. Und das ist jetzt erst die ökonomische Argumentation, von der menschlichen haben wir noch gar nicht gesprochen.

Um auf meine Vergangenheit als Hypochonderin zurückzukommen: Auch ein weiterer, allerdings älterer Vorschlag der Gesundheitsdirektorin ist leider Unsinn. Im Interview mit der ‹Sonntagszeitung› brüstet sie sich damit, bereits als Nationalrätin einen Vorstoss eingereicht zu haben, der forderte, dass man für das Aufsuchen des Notfalls eine Gebühr bezahlen muss. Damit soll verhindert werden, dass man wegen jeder Bagatelle gleich ins Spital rennt. Auch hier erreicht man nichts, oder verschlimmert. Keine Hypochonderin dieser Welt lässt sich von einer Gebühr von einem Notfallbesuch abhalten, schliesslich meint sie, dass sie stirbt, wenn nicht jetzt gleich, dann später. Was ist da schon Geld dagegen! Hingegen wird es genau jene am nötigen Handeln hindern, die so schon jeden Franken umdrehen müssen. Sie können sich die Früherkennung nicht leisten und müssen warten, bis sie dermassen todkrank sind, dass der Staat für sie aufkommt. 

So, wie das richtige Amerikaner machen und zynische Gesundheitsdirektorinnen fordern. 

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