«Im Asyl sehe ich grossen Handlungsbedarf»

Ob Daniel Jositsch sich um einen Bundesratssitz bewirbt, entscheidet sich im September. Sicher ist, dass er, der in fünf Kommissionen des Ständerats arbeitet, weiter politisch gestalten will. Das Gespräch mit ihm führte Koni Loepfe.

Falls Sie wie erwartet am Rennen als Bundesrat teilnehmen, sind die Ständeratswahlen für Sie eine Art Testvolkswahl auf kantonaler Ebene für den Bundesrat. Da würde eine klare Wahl schon im ersten Wahlgang sicher helfen.

Daniel Jositsch: Die Abfolge der Wahlen und der mediale Fokus auf Personen und Zuspitzungen führen dazu, dass die Ständeratswahl diese Komponente hat. Trotzdem: Es geht am 22. Oktober vor allem darum, den Ständeratssitz in Zürich für die SP zu behaupten. Selbstverständlich wäre eine Wahl im ersten Wahlgang wünschenswert, aber davon auszugehen, dass mir dies einfach gelingt, ist etwas anmassend. Vor acht Jahren schaffte ich es knapp, vor vier Jahren half mir die polarisierende Kandidatur von Roger Köppel. Dieses Mal ist die Konstellation anders: Mit Gregor Rutz kandidiert für die SVP einer, der bei der FDP keine Abwehrmechanismen provoziert, die Mitte präsentiert mit Philipp Kutter einen starken Kandidaten und Daniel Leupi, Tiana Angelina Moser und Regine Sauter können Wähler:innen breit mobilisieren. Selbstverständlich wird mein Abschneiden im Zusammenhang mit der Bundesratswahl kommentiert, aber ich bin überzeugt, dass die Wähler:innen am 22. Oktober über den Ständerat für Zürich abstimmen und nicht über eine mögliche Bundesratskandidatur von mir.

Damit zum Fazit der letzten vier Jahre. Meine Wertung: Die Schweiz kann Krise recht gut, die Lösung langfristiger Probleme weniger.

Es war fast eine verlorene Legislatur. Die grossen Fragen Europa, Stabilisierung der Sozialwerke und Migration stehen immer noch fast unverändert auf der Liste. Während in der Krise vor allem der Bundesrat gefragt ist und Alain Berset die Corona-Zeit bei aller Kritik an Einzelheiten hervorragend managte, fehlt im Parlament oft der Wille zum Kompromiss und zum Konsens. 

Aus meiner Sicht ist eine innenpolitische Einigung zur EU am schwierigsten.

Ich glaube nach wie vor, dass wir bei den insti­tutionellen Fragen zu einer Einigung mit der EU kommen müssen. Das damalige Rahmenabkommen hätte im Parlament eine Chance zur Mehrheit gehabt; wenn es um ein Ja oder Nein gegangen wäre, hätten sich viele überlegt, ob sie das Rahmenabkommen wirklich abschiessen wollen. Jetzt ist es ganz schwierig. Ich bin in der aussenpolitischen Kommission und wir haben mit vielen Parlamentarier:innen der EU gesprochen. Alle haben sinngemäss gesagt: Ihr seid Nette, aber ihr seid zu wenig wichtig und ihr habt die Verhandlungen abgebrochen. Für uns interessiert sich in der EU vor allem Deutschland, für die restlichen Länder sind wir vernachlässigbar. Solange wir uns wie jetzt wie jemand benehmen, der in einer stärkeren Position ist, es aber nicht ist, kommen wir nicht weiter. Wir werden nicht darum herumkommen, zu einem konkreten Abkommen mit Vor- und Nachteilen Ja oder eben Nein zu sagen.

Bei den Sozialwerken dürfte es dank des Drucks etwa der steigenden Krankenkassenprämien etwas einfacher sein, eine Lösung zu finden.

Ohne auf Details einzugehen: Zweidrittel der Gesundheitskosten verursachen der medizinische Fortschritt und das zunehmende Alter. Dies nicht allen zugute kommen zu lassen, will eine Mehrheit sicher nicht. Mit mehr Effizienz und mit einem Abbau des Systems der vielen konkurrierende Krankenkassen liegen einige Verbesserungen drin. Sie für eine Volksabstimmung mehrheitsfähig zu gestalten, ist sehr anspruchsvoll. Bisher sind jedenfalls einige hochkompetente Bundesrät:innen daran gescheitert.

Kommen wir zur Migration und dem Asyl.

Was sich in Europa derzeit abspielt, ist ein humanitäres Desaster, an dem wir beteiligt sind. Unser Gesetz enthält ein Recht auf Asyl, aber man muss den Antrag an der Landesgrenze stellen. Praktisch bedeutet dies, dass man sich meist illegal und gefährlich zur Schweizer Grenze durchkämpfen muss. Das Dublin-Verfahren ist ein Schönwettersystem, das nur mit kleinen Flüchtlingsströmen funktioniert. Wir und Europa hatten seit 2015 Zeit, eine bessere Lösung zu finden und haben beide wenig bis nichts getan. Und nun sind wir auf bestem Weg, in eine Notfallsituation zu geraten, die dann der Bundesrat wieder mit Notrecht bewältigen muss. Auch weil wir in der Migrationspolitik vor allem mehr an innenpolitischen Markierungen als an Problemlösung orientiert sind. Vielleicht wird das nach den Wahlen etwas besser, wenn FDP und Mitte sehen, dass ihr Rechtsrutsch ihnen nichts gebracht hat.

Sie sind in fünf Kommissionen. Was läuft in den anderen?

In der Rechtskommission geht es um die Umsetzung der Konzernverantwortungsinitiative, die wir ja an der Urne faktisch gewonnen haben. Und dann bin ich noch in der CS-PUK. Dort suchen wir in einem sehr hohen Rhythmus in zwei Jahren weniger Schuldige als Möglichkeiten, Rahmenbedingungen zu finden, die mindestens eine Grossbank erhält, ohne dass die Steuerzahler:innen für Missmanagement und exzessive Boni bei Verlusten geradestehen müssen.

Zuletzt: Sie haben sich im letzten Dezember bei der Nachfolge von Simonetta Sommaruga einige Gegner:innen geschaffen. Wie sehen sie dies heute?

Mir war damals klar, dass die SP zwei Frauen auf ihr Ticket setzen wird, wenn sich gute Kandidatinnen melden, was ja auch der Fall war. Ich wehrte mich dagegen, dass Männer von vornherein aus der Bewerbung ausgeschlossen werden. Das bezeichnete ich als Diskriminierung, und diesen Begriff würde ich angesichts der realen Diskriminierung vieler Frauen nicht mehr verwenden. Ich habe aber das Ticket der Fraktion sofort akzeptiert. Ich wusste, dass rund 60 Rät:innen im ersten Wahlgang als Protest für mich stimmen würden und dass sich diese Stimmen ab dem 2. Wahlgang auf die beiden offiziellen Kandidatinnen verteilen würden. Ich habe dies zwei Tage vor der Wahl dem Fraktionschef Roger Nordmann so mitgeteilt. Es wurde mir nachher vorgeworfen, dass ich nach dem ersten Wahlgang nicht ans Rednerpult gegangen bin. Ich hielt die Situation aber für ungefährlich und dachte: Wäre ich nach dem ersten Wahlgang ans Rednerpult gegangen, hätte es geheissen, der Jositsch macht sich wieder wichtig.

Ständeratswahlen 2023

P.S. hat die Kandidat:innen von Links bis Mitte dazu befragt, warum gerade sie den Kanton Zürich im Ständerat vertreten sollten. Den Anfang macht Daniel Jositsch (SP).

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