Ein Zuhause an reizarmem Ort

Hoch über Herrliberg im Rütibühl eröffnet die Martin Stiftung Anfang Juni ein in seiner Art im Kanton Zürich wohl einzigartiges Wohnheim. In die Neubausiedlung für rund 26 Millionen Franken einziehen werden vor allem Menschen, die aufgrund ihrer spezifischen kognitiven Behinderungen auf eine besonders reizarme und ruhige Umgebung angewiesen sind. 

Die vier kreisförmig angeordneten, je zweigeschossigen Häuser mit anthrazitfarbener Holzfassade stehen bereits im Rohbau. Drinnen sind die Handwerker noch mit dem Innenausbau beschäftigt und im Freien sind Umgebungsarbeiten für den künftigen Innenhof und «Dorfplatz» und für einen speziellen «Silent Garden» im Gang: Anfang Juni, gut zwei Jahre nach dem Baustart, soll die kleine, weilerartige Siedlung in ländlicher Umgebung am Waldrand im Rütibühl hoch über Herrliberg bezugsbereit sein. Für 25,9 Millionen Franken erstellt und später dann auch geführt wird sie von der gemeinnützigen Martin Stiftung, die an diversen Standorten am rechten Zürichseeufer Menschen mit Behinderung ein Zuhause und diverse Arbeits- und Tagesgestaltungsmöglichkeiten anbietet (siehe Infobox).

Betreuungslücke schliessen

Einziehen werden im Rütibühl 32 Männer und Frauen unterschiedlichen Alters mit einer kognitiven Behinderung. Und wovon viele auch eine demenzielle Entwicklung oder aber ein sogenannt «herausforderndes Verhalten» aufweisen. Gemeint sind damit vor allem Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung eine besonders intensive Begleitung und Unterstützung brauchen, wie Nicole Rode, Mitglied der Baukommission und der Geschäftsleitung der Martin Stiftung erklärt. Menschen mit diesen besonderen Einschränkungen sollen hier an abgeschiedener Lage im Grünen nebst geeigneten Wohn- und Tagesgestaltungsplätzen insbesondere auch das finden, worauf sie ganz besonders angewiesen sind: «Nämlich eine ausgesprochen reizarme, ruhige und geschützte Umgebung, wo sie sich geborgen fühlen», wie Nicole Rode betont. 

Dringend nötig sei das neue Wohnheim für Menschen mit Behinderung und herausforderndem Verhalten, weil es für sie auch im Kanton Zürich zu wenig geeignete Angebote mit entsprechend spezifischer Betreuung und Infrastruktur gebe, sagt Nicole Rode. «Oft stossen diese Menschen deshalb auf verschlossene Türen oder landen notgedrungen in einer improvisierten Betreuung, wo sie selber, aber auch das Personal dann häufig überfordert sind.»

Endlosflure und «Silent Garden»

In der alten, verschachtelten Heimstätte im Rütibühl, die dem Neubau nun Platz machen musste, erschwerten enge und verwinkelte Gänge sowie Treppen die Orientierung und Fortbewegung und sei eine sinnvolle Umnutzung für die heutigen Erfordernisse nicht möglich gewesen, heisst es bei der Martin Stiftung. Im neuen Heim mit seinen hellen, wohnlichen und behindertengerechten Räumlichkeiten wird es beispielsweise auch Endlosflure und Rundwege geben, damit sich etwa Bewohner mit demenzieller Entwicklung und grossem Bewegungsdrang nicht verlaufen können. Eine einfache Raumanordnung, spezielle Signaletik und unterschiedliche Farbgebungen sollen den Bewohner:innen helfen, den Weg von ihrer Wohngruppe in die Ateliers, Seniorenclubräume, den Mehrzweckraum oder die Caféteria zu finden. Draussen laden ein «Dorfplatz» und ein «Silent Garden» zum Verweilen ein. In diesem Garten sorgen Sträucher und Bäume für eine natürliche Begrenzung, sodass sich dort auch Menschen mit demenzieller Entwicklung selbstständig aufhalten können. Zusammensein und Rückzug – beides soll für die künftigen Rütibühlianer:innen möglich sein. 

Schlussspurt für Spenden

In die fast 26 Millionen Franken teure Neuüberbauung investiert die Stiftung sechs Millionen Franken Eigenmittel, die ihr vom ehemaligen Verein Rütibühl übertragen wurden. Sieben Millionen übernimmt der Kanton. Nach Beiträgen von Gemeinden von insgesamt 775 000 Franken sowie von Hypotheken und Darlehen bleibt eine Finanzierungslücke von sechs Millionen, welche die Stiftung über Spenden abdecken möchte. 4,52 Millionen von Stiftungen, Kirchen, Unternehmen und Privatpersonen sind bislang zugesichert. Bei der Stiftung ist man daher zuversichtlich, dass dank eines Schlussspurts bis Ende Jahr auch noch die restlichen 1,48 Millionen zusammenkommen. 

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