Helft dem Arbeitgeberverband

Wer ist schuld am Scheitern des Rahmenabkommens mit der Europäischen Union: Die Gewerkschaften, natürlich. So geht jedenfalls die Erzählung, die mindestens medial verbreitet wird. Tatsächlich mag es innerhalb der Gewerkschaften Personen geben, die nicht unbedingt eine Lösung suchen. Und es ist auch so, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen nicht immer so kommunizierten, dass man sie als normal informierte Menschen nachvollziehen kann. Oder haben Sie verstanden, warum diese Acht-Tage-Regel so wichtig ist? Aber es ist nun mal die Aufgabe der Gewerkschaften, den Lohnschutz zu verteidigen und zumindest eine Kompensation herauszuholen, wenn aufgrund der Bilateralen 3 (wie das Rahmenabkommen neu heisst) Elemente des Lohnschutzes abgebaut werden. Auch jetzt ist die Erzählung wieder schnell da, dass die Gewerkschaften eine Einigung verhindern. Das stimmt sogar zum Teil: So zeigte sich der Gewerkschaftsbund unzufrieden mit den Verhandlungen, die bis jetzt mit dem Arbeitgeberverband stattgefunden haben. Ebenso damit, dass das Verhandlungsmandat des Bundesrat schon verabschiedet wurde, ohne dass bereits innenpolitische Lösungen gefunden wurden, wie der ‹Tages-Anzeiger› berichtete.

Soweit ist die Geschichte bekannt. Es lohnt sich aber, auch einmal die andere Seite zu betrachten. Was die Gewerkschaften tun, ist klassischer Verhandlungspoker. Im Wissen um ein starkes Blatt, versuchen sie noch weitere Vorteile herauszuholen wie beispielswiese Mindestlöhne oder mehr Gesamtarbeitsverträge. Ihre Gegenspieler wollen zwar die Weiterentwicklung der Bilateralen, aber sonst nichts weiter. Roland Müller, Direktor des Arbeitgeberverbandes, verkündete dem ‹Tages-Anzeiger› schon vor einem Jahr, dass er nicht wüsste, «ob und wann der Tag für Geschenke» an die Gewerkschaften komme. Ein Jahr später meint Roland Müller in einem Interview mit der NZZ, es nerve ihn, wenn man ständig von der Vetomacht der Gewerkschaften rede, auch wenn er nicht in Abrede stellt, dass es schwierig wäre, ein Paket gegen den Widerstand der Linken und der SVP durchzubringen: «Vielleicht. Aber deswegen müssen wir nicht im Vorneherein alle ihre (der Gewerkschaften) Forderungen erfüllen. Wir sind heute nicht am Punkt, an dem sich solche Fragen stellen.» Im Übrigen hofft er auf den Bundesrat: «Wenn es nach den Verhandlungen immer noch hart auf hart geht, muss der Bundesrat irgendwann entscheiden, was notwendig ist, um eine Mehrheit zu überzeugen.» Darauf zu hoffen, dass der Bundesrat die Probleme löst, scheinen auch die Bürgerlichen. Die Mitte ist zwar für das Verhandlungsmandat, laut Medienberichten tat sich aber ausgerechnet Mitte-Präsident Gerhard Pfister in den vorberatenden Kommissionen als Skeptiker und Kritiker hervor. Die FDP hat zum Verhandlungsmandat lediglich kommentiert, man warte darauf, was komme, und lasse dann die Basis entscheiden. 

Das Problem: Eine mehrheitsfähige Lösung gibt es nur mit Kompromissen. Dazu genügt einfache Arithmetik: Wenn wir davon ausgehen, dass die SVP sowieso gegen eine weitere Annäherung mit der Europäischen Union ist, dann bräuchte es für eine mehrheitsfähige Koalition die Linke. Die Position der SP muss nicht zwingend deckungsgleich mit den Gewerkschaften sein, aber die SP wird einen Konflikt mit den Gewerkschaften nicht riskieren, wenn sie nicht einigermassen handfeste Trümpfe spielen kann. Cédric Wermuth meinte denn auch in einem Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger›: «Das Verhandlungsmandat ist nur die halbe Miete. Das Gesamtpaket ist entscheidend, zusammen mit den Massnahmen im Inland.» Und entscheidender: «Im Moment sehen wir von den Unternehmerverbänden und der FDP nur Schritte, die eine Einigung verhindern, nämlich Angriffe auf Mindestlöhne und den Schutz der Arbeitsrechte. Der FDP-Präsident hat bereits angekündigt, dass er sich nicht in der Verantwortung sieht und die Delegierten entscheiden lässt. Mir fehlt derzeit schlicht ein bürgerliches Gegenüber, das Interesse daran zeigt, das EU-Paket ernsthaft auf gute Bahnen zu bringen.» 

Und zur Erarbeitung der innenpolitischen Massnahmen wären eben eigentlich die Sozialpartner zuständig. Für eine funktionierende Sozialpartnerschaft braucht es neben dem Willen zur Partnerschaft auch starke Partner. Das erstere scheint schon mal fraglich zu sein. Beim zweiten hapert es auch. Die Gewerkschaften konnten mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente einen historischen politischen Erfolg erzielen. Der Arbeitgeberverband verantwortete die Gegenkampagne. Die Kampagnenführung musste aber mangels eigener Kompetenzen die Economiesuisse vertreten. Der Sozialpartnerschaftskompromiss bei der Beruflichen Vorsorge, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverband zusammen ausgehandelt haben, hatte im Parlament bei den Bürgerlichen keine Chance. Und auch die Kinderbetreuung, in die der Arbeitgeberverband unter dem vormaligen Präsidenten Valentin Vogt einiges politisches Kapital investiert hat, steht auf der Kippe. Das einzige noch chancenreiche Modell, das die bürgerlichen Ständeräte konzipiert haben, ist ausgerechnet jenes, dass die Arbeitgeber nicht wollen: Nämlich eine Betreuungszulage, die mit Lohnprozenten finanziert werden soll. 

Nun ist Pierre-Yves Maillard längst nicht der Supermann, zu dem er medial emporstilisiert wird. Aber er ist ein gewiefter Politiker, der an den wichtigen parlamentarischen Schaltstellen sitzt. Und er hat mit Daniel Lampart einen starken und erfahrenen Sekretariatsleiter an seiner Seite. Beim Arbeitgeberverband sind weder Direktor noch Präsident in der Politik aktiv und man fragt sich zuweilen, ob sie Politik überhaupt ansatzweise verstehen. Zum Beispiel, wenn man das Interview des neuen Präsidenten Severin Moser liest, das er der CH Media erteilt hat. Zur 13. AHV-Initiative meint er: «Ich tue mich schwer damit, dass man den Leuten nicht gesagt hat, was das kostet und wie man es finanziert. Die Initianten waren nicht ehrlich. Wir sollten uns überlegen, ob Initiativen mit so hohen Kostenfolgen ohne Finanzierungsvorschlag überhaupt dem Volk vorgelegt werden dürfen.» Nun kann man mit Fug und Recht gegen eine Initiative sein, nur ist einfach falsch, dass die Initianten kein Wort über die Kostenfolgen und Finanzierung verloren haben. Dazu genügt ein Blick ins Argumentarium der Initiative. Dummerweise hat das Stimmvolk auch Nein gesagt zu einer Erhöhung des Rentenalters, was Moser nicht davon abhält, das auch gleich wieder zu fordern. Natürlich kann man das Gleiche auch noch einmal versuchen, Erfolg hat es meistens nicht. Und schlechte Verlierer sind selten beliebt. Nun könnte man sich über die Schwäche des politischen Gegners freuen. Nur eben bräuchte es für gute Lösungen auch ein gutes Gegenüber. Der Arbeitgeberverband hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er inhaltlich zu guten Lösungen Hand bietet. Es nützt einfach wenig, wenn man sie politisch nicht umsetzen kann. Dazu bräuchte der Arbeitgeberverband dringend Hilfe. Nur von wem? Der Bundesrat wird es nicht richten. 

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