Effizient abgewürgt

Die aktuell gewählte, sehr stark verkürzte Präsentationsform der entstandenen Arbeiten während der einjährigen Schreibwerkstattb «Dramenprozessor» führt im Resultat weder für ein Publikum noch für die Autor:innen zu einem befriedigenden Ergebnis.

Seit der Gründung der Schreibwerkstatt für Nachwuchsdramatik im Jahr 2000 lief die Abschlusspräsentation immer gleich ab: Während rund Dreiviertelstunden inszenierte ein:e Regisseur:in eine Strichfassung der Texte als szenische Lesung, die bezüglich der Gesamthandlung, des Spannungsbogens, des Sprachrhythmus und notabene auch der potenziellen Aufführbarkeit eine verlässliche Einschätzung zuliess. Zugegeben, inklusive einer Stunde Essenspause waren die Abschlusspräsentationen mit ihren insgesamt fünf Stunden Dauer eine Herausforderung. Dafür war eine inhaltliche und/oder formale Würdigung jeder der präsentierten Arbeit am Wort möglich. Das aktuelle Leitungsteam – Hannah Steffen und Fadrina Arpagaus – hat aus nicht zwingend ersichtlichen Gründen entschieden, die Lesungen auf je 25 Minuten zu kürzen, was der Möglichkeit, einen Gesamteindruck zu erlangen, entschieden zuwiderläuft. Kian Amadeus H. erklärte auf Anfrage, diese Präsentation gäbe nur rund dreissig Prozent des Textes wieder. Eine solch punktuelle Form verunmöglicht einen Eindruck von Handlungsentwicklung. Die leitungsseitige Einladung, ich könne die Texte ja auch in ihrer vollständigen Form zu lesen bekommen, ist nicht der springende Punkt. Die Frage richtet sich vielmehr danach, ob eine dermassen effizient zurechtgestutzte respektive regelrecht abgewürgte Präsentationsform, die kaum über eine Oberflächenstreifung hinausgeht, überhaupt noch irgendeinen Sinn ergibt.

Kollision mit der Vergangenheit

«Brennendes Haus» von Anaïs Clerc lebt stark von bildhaften und symbolschwangeren Beschreibungen, die auch Prosa sein könnten. Die Autorin lässt Welten und Zeiten aufeinander prallen. Eine ländlich-bäurische, traditionell einfache und verbal sehr karg bis verschwiegene Welt der Kindheit, die die zentrale Figur sichtlich erfolgreich und glücklich darüber hinter sich gelassen hat, holt die mittlerweile im urban-künstlerischen, expressiv achtsamen Milieu des Stadttheaterbetriebes lebende Person ein, weil gestorben wurde und sie jetzt erbt. Die Fokussierung darauf, was hinter den Dialogen letztlich überhaupt als Kern des Konflikts hervorlugt, wird in einer Art Puzzle eines sich nur bruchstückhaft zusammensetzenden Gesamtbildes beschrieben. Möglicherweise ein Krimi, möglicherweise eine Selbstfindung, möglicherweise eine Zeitgeistanalyse.

«Hund und Trägheit» von Kian Amadeus H. vermengt in kreisförmigen Loops die Perspektive von französischen Emissären der Weltsicht der französischen Revolution mit der alle Schuld von sich weisenden Beschwichtigung eines Plantagenbesitzers also Erbprofiteurs in der x-ten Generation von Sklavenhaltung. Hinzu kommt die Metaebene von Stimmen etwa des kollektiven Bewusstseins, des Zweifels und eines Märtyrers. Worauf das letztlich hinausläuft, ist erahnbar, aber nicht automatisch absehbar. Während der Präsentation nahm die Metaebene in einer gleichfalls erzählerischen Weise einer Art Rahmenhandlung einen sehr gewichtigen Teil ein, gefolgt von sogenannt allgemeingültigen Feststellungen über die Unvereinbarkeit der Weltsichten verschiedener Jahrhunderte wiewohl derer an den jeweils entgegengesetzten Positionen innerhalb der Arbeits-/Nahrungs-/Wohlstands- also auch Machtkette.

Die Zukunft war früher besser

«Herz aus Polyester» von Sarah Calörtscher schickt die Zukunftsverheissungen von anno dazumal wie die Weltraumsonde Voyager in einer personifizierten Form auf die Bühne, die von sprechendem und primär rachelüstern wirkendem Mikroplastic und einem noch nicht vollends ausgereiften Algorithmus begleitet eine Menschendelegation einer Prüfung unterzieht, deren Preis noch einigermassen unklar ist: Entweder sie ereilt eine ominöse Krankheit der vollständigen Plastifizierung oder dann ermächtigen sie ihre Antworten, ebendieser Ansteckung zu entgehen. Die Übermacht der Technik ist augenscheinlich als Synonym für ein grosses Unwohlsein die treibende Kraft dieser Farcefantasie oder Zukunftsdystopie, in der noch nicht abschliessend abzulesen ist, inwiefern sarkastischer Witz diese potenzielle Anklage noch in ein Unterhaltungsstück zu verwandeln in der Lage sein könnte.

«The Girl» von Hanna Röhrich erinnert gerade in den ausufernden Regieanweisungen an eine Variation von Fatih Akins «Der goldene Handschuh». Drei totalkaputte Frauenfiguren fluchen über und verachten ihr eigenes Leben in einer ungemein derben Sprache, die jeden Ansatz von Feminismus oder Selbstermächtigung offenbar Lügen strafen oder zumindest als ein Konzept ausserhalb jeder für sie greifbaren Reichweite beschreiben. Sie werden als überaus faul, besäufnisbegeistert und mit einem sehr entrückten Eigenköpergefühl beschrieben, derweil ein männlicher Totalproll als ihr Gegenüber ihnen ein Leben an seiner Seite nach seiner Fasson als ein paradiesnächstmögliches Dasein anpreist. Der Text könnte in diese oder jene Richtung kippen. Gekämmt ist er offensichtlich lustvoll gegen den Strich.

«Abschlusspräsentation Dramenprozessor 2022/23», 16.6., Lokremise, Theater St. Gallen.

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