Echte Lösungen statt Schaumschlägereien

Der Inklusion weht ein starker Wind entgegen. Ganz besonders dann, wenn es um die Volksschule geht. Warum das so ist und welche Massnahmen ergriffen werden müssten, um bei der Chancen­gerechtigkeit tatsächlich einen Schritt weiterzukommen, wird im folgenden Beitrag skizziert.

Vor 20 Jahren wurden in der Volksschule Schulleitungen eingeführt, Blockzeiten, Schulevaluationen, Elternmitwirkung und integrativer Unterricht, also Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in der Regelschule. Dieser kann als integrative Förderung oder als integrierte Sonderschulung erfolgen. Für die integrative Förderung erhalten die Schulen einen pauschalen Beitrag. Demgegenüber wird für die integrierte Sonderschulung den Schülerinnen und Schülern individuell Unterstützung zugesprochen. In beiden Fällen werden heilpädagogische Fachpersonen für die Förderung eingesetzt.

Fehlanreize im Finanzierungssystem

In der Schweiz wurde ein duales System zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen eingeführt. Nebst dem integrativen Unterricht sind weiterhin separative Formen wie Kleinklassen oder externe Sonderschulen möglich. Dies ist im internationalen Vergleich eine teure Lösung: Einerseits müssen heilpädagogische Fachpersonen sowohl in der Regelschule als auch in der Sonderschule arbeiten, und andererseits besteht ein Anreiz dazu, zusätzliche Ressourcen über die Zuschreibung eines Sonderschulstatus bzw. durch die separierte Sonderschulung ins System zu bringen.

Weitere Problemfelder

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Lehrpersonen stark belastet sind und dass ein Lehr- und Fachpersonenmangel auf uns zukommt. Gegen beides wurden keine wirkungsvollen Massnahmen ergriffen. Im Kanton Zürich wurde zwar der Schulversuch «Fokus starke Lernbeziehung» (FSL) durchgeführt. Dessen Ziel war es, die Anzahl Personen, die mit den Kindern arbeiten, zu reduzieren und damit auch die Lehrpersonen zu entlasten. Doch 2018 zeigte sich, dass die Ziele nicht erreicht werden konnten und der Versuch wurde beendet. Die Lehrpersonen sind nach wie vor belastet und Fachpersonen fehlen noch immer. Zusätzlich werden unausgebildete Personen als Notfallmassnahme in der Schule zugelassen. Sie werden durch das vorhandene Personal eingearbeitet und begleitet.

Die Schaumschlägerei

Die Belastung der Lehrpersonen ist hoch. Bürgerliche Parteien fordern mit einer kürzlich lancierten Initiative Förderklassen. Doch das ist keine Lösung, sondern einfach heisse Luft. Im Kanton Zürich können alle Gemeinden, wenn sie wollen, solche Klassen führen. Sie tun es aber nicht, weil sie wissen, dass es in Förderklassen mehr Lehrpersonen braucht, die aber fehlen. Da mehr Lehrpersonen benötigt werden, würden die Förderklassen zudem das Budget stärker belasten. Dieses Geld fehlt dann an anderen Orten. Und wer wissenschaftliche Studien zur Kenntnis nimmt, weiss zudem: Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen lernen in Klein- und Sonderklassen nicht besser. Ihre Chancen, später einen Beruf im ersten Arbeitsmarkt zu erhalten, sind geringer, als wenn sie in den Regelklassen unterrichtet werden. Gleichzeitig können bei den anderen Schülerinnen und Schülern der Regelklassen keine Leistungseinbussen festgestellt werden. Klein- bzw. Förderklassen sind also eher ineffektiv, sie schmälern die Chancengerechtigkeit und sind, weil teuer, ineffizient. 

Echte Lösungen

Um die gegenwärtigen Probleme der Volksschule tatsächlich anzugehen, müssten aus wissenschaftlicher Sicht folgende Massnahmen ergriffen werden: Statt Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in kleinen Klassen zusammenzutun, sollten diese erstens, so die aktuelle Studie von Eugster et al. (2022), gleichmässig auf die Regelklassen verteilt werden. Zweitens braucht es eine starke Erhöhung der pauschalen Ressourcen und gleichzeitig eine Senkung der individuell verteilten Ressourcen für die integrative Förderung. So können mehr Mittel für die Entwicklung der Volksschule, die Weiterbildung der Lehrpersonen, für Teamteaching und die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Eltern eingesetzt werden. Drittens brauchen wir flexibel gestaltbare, berufsbegleitende Ausbildungsgänge für Lehrpersonen an den PHs, in denen auch Diagnostik und inklusive Didaktik erlernt wird, und viertens ist es angebracht, das teure, duale System aufzuheben und diesen Fehlanreiz zu eliminieren.

* Monika Wicki ist Professorin an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik und SP-Kantonsrätin

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