Viel Mühe für den Spatz in der Hand

Die Session und damit auch die Legislatur sind zuende, und das «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», der sogenannte Mantelerlass, ist unter Dach und Fach. Damit sollte der Weg frei sein für mehr im Inland produzierten Strom mit Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen – oder etwa doch nicht? Auf der Webseite des Verbands Freie Landschaft Schweiz, der gegen den Bau von Windturbinen kämpft, trägt der erste Artikel in der Rubrik «News» den Titel «Naturschutz vor Untergang», und der Lead lautet wie folgt: «Bundesrat Albert Rösti bestätigt, dass der Mantelerlass den Naturschutz praktisch abschafft. Staatsrechtler Prof. Alain Griffel beurteilt die Vorlage als klar verfassungswidrig. Freie Landschaft Schweiz verlangt das obligatorische Referendum gegen den verfassungswidrigen Mantelerlass Strom und prüft das Ergreifen des fakultativen Referendums.»

Ob es tatsächlich dazu kommt, wird sich weisen. Fest steht hingegen, dass in der letzten Diffenzbereinigungsrunde im Nationalrat «viele pragmatische Voten» zu hören waren, wie es in der SDA-Meldung heisst: «Trotz Mängeln in der Vorlage, die vor allem die Wortführer der Grünen und der SVP betonten, wurde von keiner Seite mit dem Referendum gedroht.» SP-Sprecherin Nadine Masshardt (BE) zeigte sich gemäss SDA erfreut, dass nun eine Vorlage stehe, die sowohl Nutz- als auch Schutzinteressen berücksichtige. Weiter heisst es in der Meldung, Energieminister Rösti habe zusammengefasst, er hoffe, das sei jetzt «die mittlere Zufriedenheit». Dies bedeute meist, dass in verschiedenen Bereichen Kompromisse gefunden worden seien.

Dies beisst sich allerdings mit einer Passage aus einem Artikel in der NZZ vom 25. September. Zitat: «Röstis Kalkül: Wenn die Naturschützer, die sich bis weit ins bürgerliche Zentrum formieren, weiterhin den Ausbau der Wasser-, Wind- und Solarkraft blockieren, sattelt er in einigen Jahren um auf die Kernkraft.» Ob Röstis das auch so sieht, lässt die NZZ offen. Wie auch immer: Lassen wir also das Parlament mehr als zwei Jahre lang streiten, lassen wir vor allem Rot-Grün viele Kröten schlucken, feiern wir schliesslich den Kompromiss der «mittleren Zufriedenheit» – dabei wollten offenbar SVP und Teile der FDP nie etwas anderes als Nebelpetarden abschiessen und Zeit gewinnen. Gemäss ihrer Agenda scheint die Grundfrage nämlich ganz einfach zu lauten, wie sie «das Volk» dazu bringen können, möglichst rasch den Entscheid gegen neue AKW und für mehr erneuerbare Energien rückgängig zu machen.

Für die Beratung des Mantelerlasses im Parlament galt denn auch das, was eigentlich immer gilt: Was die bürgerliche Mehrheit will, kommt durch, während Grüne und Linke alle Hände voll zu tun haben, mindestens den grössten Schaden abzuwenden. So gibt es nun statt Solarpanels auf allen Dächer und über Parkplätzen nur eine Pflicht für Dächer mit mehr als 300 Qudratmetern Fläche – dafür in allen Stromproduktionsbereichen einen Vorrang gegenüber dem Naturschutz. Im Fokus stehen zudem 16 Wasserkraftprojekte. Wir erinnern uns: Rot-Grün wies von Anfang an darauf hin, dass das Potenzial der Wasserkraft bereits ziemlich ausgeschöpft ist, jenes der Solarenergie jedoch noch gross. Wasserkraft lässt sich fast nur noch an heiklen Orten ausbauen, während es auf grossen wie kleinen Dächern noch sehr viel Platz hat. Doch Rot-Grün hat bekanntlich keine Mehrheit.

In der SDA-Meldung vom 26. September tönt es so: «Das Parlament versuchte zu verhindern, dass ein Referendum aus mehreren politischen Ecken zustande kommt, welches die Vorlage als Ganzes gefährden würde. Die Räte stellten sich im Sinne der Bürgerlichen gegen eine breite Solarpflicht und zeigten dafür Verständnis für etwas strengere Restwasserregeln im Sinne des Umweltschutzes.» Weniger Restwasser bei Wasserkraftwerken ist nun nur zulässig, wenn ein Strommangel droht – aber neue Wasserkraftanlagen sollen nicht von vornherein ausgeschlossen werden, «wenn die entstehende Restwasserstrecke durch ein Schutzgebiet von nationaler Bedeutung verlaufen würde», schreibt die SDA. Und weiter: «Eine rot-grüne Minderheit wehrte sich vergebens dagegen. Energieminister Albert Rösti sagte, dass ohne diese Bestimmung Projekte nicht einmal angeschaut werden könnten. Anschauen heisse nicht ‹bereits bewilligt›.» Zu den Parkplätzen ohne Solarpflicht schreibt die SDA, «die Bürgerlichen warnten erfolgreich vor Eingriffen ins Privateigentum».

Parkplätze sind also schützenswertes Privateigentum, und man kann niemanden zwingen, sein Auto unter einem Solarpanel an den Schatten zu stellen. Warum nur verstehe ich das nicht? Aber in Gebieten, die sich für die Nutzung von Solar- und Windenergie eignen und die entsprechend in den kantonalen Richtplänen ausgeschieden werden sollen, hat die Nutzung der Solar- und Windenergie künftig Vorrang gegenüber anderen nationalen Interessen. Klarer Fall: Es ist ein Kompromiss! Ernsthaft: Wäre ich Parlamentarierin, mich würde ehrlich gesagt die Zeit und Mühe reuen, die es gebraucht hat, um auf diese «mittlere Zufriedenheit» zu kommen… Denn erstens ist wie gesagt das Referendum trotz des ganzen Eiertanzes noch nicht vom Tisch. Zweitens wollen die Bürgerlichen nie etwas ändern, wenn es nicht unbedingt sein muss – für sie reichen Wasserkraft und AKW, bis in alle Ewigkeit, Amen. Und drittens haben sie alles so eingerichtet, dass es mit oder ohne Referndum in ihrem Sinne herauszukommen droht. Denn die Grünen und die Roten, die wirklich mehr Erneuerbare wollen, haben jetzt die hübsche Aufgabe, den Menschen zu erklären, warum wir «ums Verrecke» das letzte Tröpfchen Wasserkraft aus schönen Berglandschaften quetschen müssen, statt erst mal eine ganze Menge Panels auf die Dächer zu legen. Da sie selber ursprünglich letzteres vorgeschlagen hatten, fällt ihnen das sicher ganz leicht… Und das Fieseste daran: Wahrscheinlich ist die rot-grüne Meinung verbreiteter, als es den Bürgerlichen im Parlament lieb ist, aber das braucht ja nicht an die grosse Glocke gehängt zu werden. Ein Beispiel: Auf der Webseite der IG Saflischtal, die sich gegen die Anlage in Grengiols wehrt, heisst es in einem Statement wörtlich, «einverstanden, Solarenergie wo auch immer, aber an den teuersten und landschaftlich heikelsten Orten erst nachdem man die billigen und bereits zerstörten Flächen im Land gut dafür nutzte». Kurz, es läuft wie immer: Die Bürgerlichen verhindern gute Lösungen, und die Rot-Grünen sind daran schuld, dass das gemacht wird, was sie nicht wollten. Der einzige Trost dabei: Den bürgerlichen AKW-Turbos kampflos das Feld zu überlassen, wäre noch viel frustrierender.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.