Die Kolonialware Kaffee

«Kaffee – Eine Geschichte von Genuss und Gewalt» ist ein ausserordentliches Buch, spannend zu lesen. Woher kommt er, wie wird er angebaut und aufbereitet, was ist die Umweltproblematik. Die Geschichte ist auch ein Lehrstück über Zwangsarbeit und Sklaverei, Völkermord und unverbrämten Kapitalismus, erzählt in vielen Beispielen.

Auch wer Kaffee liebt, soll sich nicht davon abschrecken lassen, die Wahrheit über das Genussmittel zu erfahren. Am Ende der Lektüre ist geklärt, was umwelt- und sozialverträglichen, aber auch, was guten Kaffee ausmacht. Kaffee ist eng mit der Geschichte des Kolonialismus verbunden. Eine Pflanze wird in ein Gebiet eingeführt, wo es sich möglichst günstig produzieren lässt – und was ist günstiger als Sklavenarbeit. «Kaffee wird auf Armut angebaut» – sagt man in Zentralamerika, und die Landarbeiter:innen dort wissen, wovon sie reden. Verfasst wurde «Kaffee» vom Autorenkollektiv des Büros Latinomedia in Tübingen und San Salvador, Toni Keppeler, Journalist und Autor, Laura Nadolski, Klima- und Umweltwissenschafterin und Cecibel Romero, Journalistin und Kaffeesommelière mit langjähriger Erfahrung auf einer kleinen Plantage. Es ist ein Buch, das ausführlich Wissen vermittelt, Hintergründe erläutert, Anekdoten erzählt, hier für die Besprechung nur einige aus dem Buch gegriffene Beispiele – verkürzt und als Empfehlung zur ausführlichen Lektüre gedacht.

Umweltproblematik

Kaffeepflanzen sind anspruchsvoll. Sie brauchen viel Wasser und gedeihen am besten auf vulkanischen Böden, in Höhenlagen mit tropischem Klima. Kaffeepflanzen wuchsen ursprünglich im Wald, unter einem Blätterdach. Der Ertrag unter diesen Bedingungen war gering.  Dem Waldkaffee nachempfunden sind Methoden, bei denen die Kaffeepflanzen unter Bäumen stehen, aber genügend Licht haben und deshalb mehr Blüten und Früchte bilden können. Die Bäume schützen vor Hitzestress und tropischem Regen. Am ertragreichsten sind wiederum Monokulturen in praller Sonne, auf diese Weise wird vor allem in Brasilien Kaffee produziert. Es fehlt diesen Pflanzen an natürlichen Nährstoffen, deshalb benötigen sie viel chemische Düngemittel, welche den Boden belasten und Flora und Fauna zerstören. 

Diese Art von Plantagen verursachen eines der grössten Umweltprobleme in Zentralamerika, nämlich Erosion. Wind und Regen sorgen dafür, dass die Erde in grossen Mengen weggeschwemmt wird. Je weniger Schattenbäume, desto mehr Erosion. Und dort, wo die Plantagen stehen, wurde meist ein Wald gerodet, abgebrannt und damit das im Wald gespeicherte Kohlendioxid freigesetzt. Monokulturen sind besonders anfällig für Krankheiten wie den Kaffeerost, ein Pilzbefall.  

Ein anderes Umweltproblem entsteht bei der Aufbereitung. Die Kaffeebohnen – jeweils zwei – müssen für die Aufbereitung aus den Kaffeekirschen gelöst werden. Am schonendsten ist die trockene Aufbereitung. Die Kaffeekirschen werden in einer dünnen Schicht ausgelegt und in der Sonne getrocknet. Das kann bis zu vier Wochen dauern, nachts müssen sie abgedeckt werden, damit sie nicht den Morgentau aufnehmen, also sehr aufwändig. Es gibt Maschinen, welche die getrockneten Früchte zerreiben und die Bohnen herauslösen, auch das Fruchtfleisch kann weiterverwendet werden. Die häufigste und billigste Methode ist die Nassaufbereitung. Die reifen Kaffeekirschen werden sofort nach der Ernte für zwei Tage in ein Wasserbecken gelegt, dann werden die Bohnen in einer Entpulpungsmaschine getrennt. Das Hauptproblem dieser Methode ist, dass das Aufbereitungswasser, also Abwasser, direkt in die nächsten Gewässer gelangt, ungeklärt, weil es in den armen Ländern, wo der meiste Kaffee produziert wird, kaum Kläranlagen gibt. Dieses Abwasser ist mit vielen Schadstoffen belastet und kann für Fische, Amphibien und Kleintiere tödlich sein, ist auch für Menschen gesundheitsbelastend. 

Kolonialismus, Sklavenarbeit

Die ersten Kaffeebohnen kommen aus Äthiopien, dort wuchsen Kaffeebäume wild im Wald. Es waren ideale Bedingungen, vor den hohen Bergen im einstigen Königreich Kaffa im Südwesten von Äthiopien stauten sich die Regenwolken und sorgten für das richtige Klima. Noch heute wächst dort in Höhenlager wilder Kaffee. In ganz Äthiopien wurden rund fünftausend Arabikavarianten entdeckt. Von Äthiopien wurden die Kaffeepflanzen auf die arabische Halbinsel gebracht, wann und wie ist nicht bekannt, vielleicht mit dem Proviant der Sklaven. Im 16. Jahrhundert soll es in Kon­stantinopel schon über 600 Kaffeehäuser gegeben haben. Über die arabische Welt gelangte der Kaffee nach Asien und von dort nach Lateinamerika, die heute wichtigste Anbauregion. Kaffee wurde von den Kolonisatoren in Gebiete eingeführt, wo es sich möglichst günstig produzieren lässt, von Sklaven oder in Fronarbeit von Einheimischen. Im von Holland eroberten Java zum Beispiel mussten die Pflanzer einen Grossteil der Ernte als Tribut abliefern, und als der Bedarf wuchs, wurden die einheimischen Familien gezwungen, Kaffeepflanzen anzubauen und die Ernte den Kolonisatoren zu geben.  «Die Einnahmen aus den südostasiatischen Kolonialwaren machten Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu einem Viertel des holländischen Staatshaushaltes aus; rund achtzig Prozent davon wiederum wurden mit Kaffee erzielt.» 

Eine Lektion in Sachen Kapitalismus wird aus Saint Domingue in der Karibik erzählt, im 18. Jahrhundert eine französische Kolonie. Ein Kapitän schmuggelte laut einer Legende Jungpflanzen aus der jemenitischen Stadt Mokka nach La Réunion, zwanzig Pflanzen überlebten und wenige Jahre später wurde dort bereits in grossem Umfang Kaffee produziert. Dafür wurden von den französischen Siedlern Sklaven importiert. Sie arbeiteten unter den schlimmsten Bedingungen, viele starben, andere verübten Selbstmord. Ständig mussten deshalb neue Sklaven geholt werden, in manchen Jahren mehr als 40 000. 1791 kam es zu einem grossen Sklavenaufstand, der nach einem langen und blutigen Krieg 1804 zur Gründung von Haiti führte, der ersten schwarzen Republik. Ebenso unglaublich ist, was danach geschah: Haiti wurde gezwungen, die Verlierer zu entschädigen und wurde so von Beginn weg zum Schuldnerstaat. Siedler wurden für den Verlust ihres Eigentums und die verlorenen Sklaven entschädigt. Und die Banken profitierten, weil Haiti immer neue Kredite zur Bezahlung der Schulden aufnehmen musste. 1911 zum Beispiel gingen von drei Dollar eingenommener Kaffeesteuer 2,53 Dollar in den Schuldendienst, nach Abzug anderer Kredite blieben dem Staat gerade noch sechs Cents. «Was andere arme Länder in den Bau von Strassen und Häfen, von Schulen und Krankenhäusern investieren konnten, überwies Haiti an Banken in Europa und den USA.» Wirtschaftsexpert:innen errechneten 2022, was dieser Schuldendienst angerichtet hat. Wäre auch nur der niedrigste errechnete Betrag im Land investiert worden, wäre das Pro-Kopf Einkommen in Haiti heute sechsmal so hoch, vergleichbar mit der Dominikanischen Republik. Frankreich hat sich bis heute nicht zu irgendeiner Rückzahlung dieser Reparationszahlungen bereit erklärt.

Das Geschäft mit dem Kaffeeanbau war auch etwas für junge, abenteuerlustige Europäer, die auszogen, um Märkte zu erschliessen. Sie taten dies oft im Auftrag von kapitalkräftigen Unternehmern, welche Krisenjahre überstehen und verarmten Kleinbauern ihr Land abkaufen konnten. Da gab es zum Bespiel den Briten James Hill. Er zog in die weite Welt, nahm Kredite auf, machte Gewinne, dann wieder Schulden – am Schluss gehörten ihm in El Salvador 19 Plantagen und er beschäftigte 5000 Arbeiter:innen. Sie erhielten als Bezahlung zum Teil nur die Mahlzeiten, wurden die Quoten nicht erreicht, mussten sie hungern. Den Lohn zahlte Hill in Token aus, welche nur in den eigenen Läden Gültigkeit hatten. Die Frauen erhielten den halben Lohn wie die Männer. Wer erwischt wurde, wenn er von den Früchten der Bananen oder Schattenbäume ass, musste mit einer Prügelstrafe oder sogar mit Tod durch Erschiessen rechnen.

Und noch eines der Lehrbeispiele: In Guatemala lag die Wirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts am Boden, ein Kunstprodukt konkurrenzierte das Hauptexportprodukt, den roten Farbstoff, der bis anhin aus Cochenille-Schildläusen gewonnen worden war. Der regierende Präsident warb für den Anbau von Kaffee, Zuckerrohr und Baumwolle. Verschiedene Maya-Ethnien lebten an den Vulkanhängen der Pazifikseite, sie bauten vorwiegend Mais und Bohnen für den Eigenbedarf an. Mestizen und Weisse wollten ihr Land, für ihre wirtschaftlichen Fortschrittsmodelle waren die Mayas hinderlich. Man nahm ihr Land, und diejenigen, die nicht flüchteten, wurden als sklavenähnliche Arbeitskräfte gebraucht. Für weisse Einwanderer wurden vorteilhafte Bedingungen geschaffen zur «Verbesserung der Rasse». Darunter waren viele Deutsche, Guatemala war für sie schon früher ein beliebtes Auswanderungsland gewesen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Deutschen immer mächtiger. 1925 kontrollierten die 2500 bis 3000 Deutschen, welche 0,2 Prozent der Bevölkerung entsprachen, 45 Prozent des Kaffeeanbaus und andere Wirtschaftszweige. Guatemala wurde wie andere Länder Lateinamerikas auch ein Hort für Nazis, sie gründeten dort NSDAP-Ableger. Die Protektion endete erst nach 1941, die USA intervenierten, deutsche, italienische und japanische Männer wurden inhaftiert und in Interniertenlager in die USA geschickt – im Austausch für amerikanische Kriegsgefangene.

Klimawandel und gerechte Produktion

Die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen und die zunehmende Verarmung der Bevölkerung werden in Lateinamerika bis zu 70 Prozent Verlust des Kaffeeanbaus zur Folge haben. Wenn es sich nicht mehr lohnt, werden die Plantagenbesitzer in andere Produkte investieren und die Arbeitslosigkeit wird zunehmen und damit die illegale Migration in die USA. Oder die Kaffeebauern steigen auf den Anbau von Kokablättern um, ein Schritt in die Illegalität. Es geht auch anders. 

Einen erfolgreichen Weg hat Kolumbien gewählt, 1927 wurde Fedecafé gegründet, heute hat der Verband über eine halbe Million Mitglieder. Voraussetzung ist der Besitz von mindestens 1500 Kaffeesträuchern. Den Mitgliedern kauft dieser Verband die Ernte ab. Es wurden Kooperativen gegründet, welche den Kaffee einsammeln, aufbereiten, dreschen und einlagern. Vom Verkaufspreis werden je nach Weltmarktlage zwischen 83 und 92 Prozent an die Produzent:innen weitergegeben. Vom Verkaufspreis des Kaffes in Europa kommen unter den Bedingungen des Weltmarktes im allerbesten Fall zehn Prozent bei den Kaffeebauern an. Vom Preis einer Tasse Kaffee in Zürich oder London sind es nicht einmal 0,1 Prozent. Fedecafe baut in vielen Ländern eigene Verkaufsstellen mit eigenem Café auf, ähnlich wie Starbucks. Er forscht auch an neuem Saatgut, welches den klimatischen Veränderungen angepasst ist. 

Peru setzt – wie Brasilien mit den Grossplantagen – auf höhere Erträge durch Ausweitung der Flächen. Die Kaffeebauern wurden von NGOs unterstützt, welchen ihnen zu biologischer Produktion rieten. Das Gütesiegel Max Havelaar wurde eingeführt und etwa fünfzehn Prozent der Produktion als Fair Trade vermarktet. Fair Trade-Kaffee wird von Bauern produziert, welche in Kooperativen organisiert sind. Die wirtschaftlichen Prozesse müssen dokumentiert, die Entscheidungen demokratisch und partizipativ getroffen werden. Es gibt Finanzkontrollen, es dürfen keine gefährlichen Pestizide verwendet, keine Kinderarbeit geleistet werden. Wer so zertifiziert wird (und das Zertifikat ist nicht billig), erhält einen Mindestpreis, der sich nach der New Yorker Börse richtet. Die hohen Kosten stellen für den Beitritt allerdings für viele Produzent:innen eine grosse Hürde dar, viele wären gerne dabei, können es sich aber nicht leisten. 

Und was bedeutet dies für uns als Konsument:innen? ‹Gerechten› Kaffee trinken heisst, auf löslichen Kaffee und Mischungen aus dem Supermarkt verzichten, weil diese immer dort einkaufen, wo der Kaffee gerade am billigsten ist. Fair Trade oder Max Havelaar garantieren den Kaffeebauern Mindestpreise, mit denen sie gerade überleben können, mehr nicht. Am besten sind biodiverse Plantagen, wo der Kaffee im Schatten wächst und dann trocken aufbereitet wird – so werden am wenigsten Treibhausgase freigesetzt. Informationen lassen sich im Internet finden. Spitzenkaffee wird – wie Wein – oft in kleinen Familienbetrieben produziert, zu entsprechenden Preisen. ‹Gerechter› und umweltverträglich produzierter Kaffee ist teurer – bietet aber Qualität und den einen vielleicht ein gutes Gewissen.

Toni Keppeler, Laura Nadolski, Cecibel Romero: Kaffee. Eine Geschichte von Genuss und Gewalt. Rotpunktverlag 2023, 271 Seiten, Fr. 34.90.

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