«Die Initiative ist klar rechts- und verfassungswidrig»

Am 3. März wird im Kanton Zürich über die «Anti-Chaoten-Initiative» und den Gegenvorschlag des Kantonsrats abgestimmt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sieht dadurch die Grundrechte verletzt und hat zur Medienkonferenz gegen Initiative und Gegenvorschlag eingeladen.

Seit 2021 führt Amnesty International eine internationale Kampagne für die Versammlungsfreiheit. Diese ist international unter Druck, wie beispielsweise die Proteste im Iran zeigen. Die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit sind aber auch in der Schweiz nicht ungefährdet, wie Alexandra Karlen, Geschäftsführerin von Amnesty International ausführt. Dies zeige sich an der «Anti-Chaoten-Initiative». Aus diesem Grund engagiert sich Amnesty International in dieser kantonalen Abstimmungskampagne. Am Dienstagmorgen fand dazu eine Pressekonferenz statt. Den Beginn macht Matthias Mahlmann, Rechtsprofessor an der Universität Zürich. Die Versammlungsfreiheit, so Mahlmann, ist eine Fundamentalnorm eines demokratischen Verfassungsstaates. Sie gibt den Menschen die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen für eine Meinung einzustehen. «Die Versammlungsfreiheit ist ein unbequemes Recht», meint Mahlmann», «denn sie kann dazu genutzt werden, anderen auf die Zehen zu treten». Um den Staat zu kritisieren oder die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung. Sie ermöglicht damit aber auch, Dampf abzulassen und Menschen in die Politik zu integrieren. Die Versammlungsfreiheit ist in der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Mahlmann kritisiert insbesondere die zwingende Bewilligungspflicht. Diese verunmöglicht spontane Meinungsäusserungen. Die Initiative sei auch unnötig, weil es bereits heute möglich sei, Kosten zu überwälzen: «Es ist eine Fehldarstellung, dass man heute ungestraft plündernd und brandschatzend durch die Bahnhofstrasse ziehen kann.» Eine nicht bewilligte Spontandemo sei ein verfassungsmässig geschütztes Grundrecht. Die Initiative sei daher klar rechts- und verfassungswidrig. Mahlmann erinnert auch daran, dass während Corona die Versammlungsfreiheit eingeschränkt war. Er wehre sich auch für die Grundrechte von Freiheitstrychlern und Gegnern einer Drag Story Time. Auch diese hätten das Recht zu protestieren, auch ohne vorher eine Bewilligung eingeholt zu haben.

«Faktisch eine Kollektivstrafe»

Auch der Rechtsanwalt Markus Husmann, Mitglied der Demokratischen Jurist:innen Schweiz knüpft bei Corona an. Damals seien alle Demonstrationen unbewilligt und illegal gewesen, weil Demonstrationen ab einer gewissen Grösse grundsätzlich untersagt waren: «Verschiedene Gerichte haben diese Einschränkungen aufgehoben weil sie verfassungswidrig waren.» Er verweist zudem darauf, dass verschiedene internationale Organisationen wie die UNO oder die OSZE die Schweiz darauf hingewiesen haben, dass die Bewilligungspflicht problematisch ist. Es gäbe zwar durchaus Gründe der Praktikabilität, die für Bewilligungen spricht, dass nämlich die Behörden planen können. Aber dies wäre auch mit einem niederschwelligen Anmeldeverfahren möglich, wie dies der Zürcher Gemeinderat verlangt hat. Mit der Anti-Chaoten-Initiative und dem Gegenvorschlag würde dies der Stadt Zürich verunmöglicht, das sei auch ein Angriff auf die Gemeindeautonomie.  

Sanija Ameti, Co-Präsidentin der Operation Libero und GLP-Gemeinderätin weist darauf hin, dass das Demonstrationsrecht insbesondere auch wichtig sei für Menschen, die ihre demokratischen Rechte nicht an der Urne zum Ausdruck bringen können, weil sie nicht stimmberechtigt sind. So wie dies bei den Frauen vor 1971 der Fall gewesen sei. «Der Zweck einer liberalen Demokratie sei es, möglichst vielen Menschen möglichst viele Freiheiten zu ermöglichen», meint Ameti. Wenn jetzt jede spontane Kundgebung als illegal erklärt würde, komme dies «faktisch einer Kollektivstrafe» gleich. Dies hätte eine abschreckende Wirkung. Auch die Kostenübernahme könne abschreckend wirken, da die Veranstalter:innen die Verantwortung übernehmen müssten für Dinge, die sie nicht unbedingt kontrollieren können. «Das führt dazu, dass sich Menschen nicht mehr trauen, an Demonstrationen teilzunehmen», sagt Ameti. 

Jugendbewegungen seien seit jeher Treiber von gesellschaftlichem Wandel, sagt Florian Hebeisen, als Vertreter der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände SAJV. «Demonstrationen sind wichtige Partizipationsrechte für Jugendliche», sagt Hebeisen. Denn sie würden es ermöglichen, einfach an Politik teilhaben zu können. Gerade die Kosten seien für Jugendliche ein Problem, da diese häufig nur über beschränkte eigene Mittel verfügen. Iris Menn von Greenpeace erinnerte an verschiedene Proteste und Formen von zivilem Ungehorsam, die dann eine Auswirkung auf die Politik hatten, wie beispielsweise die Anti-Atomkraftbewegungen in den 1970er- und 1980er-Jahren: «Demonstrationen sind vielleicht unbequem, aber sie sind ein Mittel, um die offizielle Politik auf Anliegen aufmerksam zu machen.» 

Zum Abschluss meint Patrick Walder, Kampagnenleiter von Amnesty International noch, dass das Problem sei, dass Demonstrationen in Verruf geraten seien. Es werde ein Bild von Chaoten und Extremist:innen gezeigt. Das sei auch ein Problem der Medien, die fast nur berichten, wenn eine Demonstration gewalttätig werde. Aber er sei überzeugt davon, dass diese Initiative und auch der Gegenvorschlag völkerrechtswidrig seien: «Das Recht ist auf unserer Seite».  Walder kündigt an, dass dass man auch gegebenfalls rechtlich vorgehen würde, wenn die Initiative oder der Gegenvorschlag so umgesetzt würden.

 

Worum geht es bei der Abstimmung?

Die «Anti-Chaoten-Initiative» fordert eine grundsätzliche Bewilligungspflicht für Demonstrationen. Bei illegalen Demonstrationen sollen die Kosten für Polizeieinsätze und Sachbeschädigungen den Veranstaltenden und Teilnehmenden verrechnet werden können. Dies gilt auch für die Räumung von besetzten Liegenschaften. Der Gegenvorschlag sieht dies ebenfalls vor, will aber die Verrechnung von ausserordentlichen Polizeieinsätzen nur bei vorsätzlichem Handeln. Der Regierungsrat hat in seinem ursprünglichen Vorschlag für einen Gegenvorschlag von einer umfassenden Bewilligungspflicht abgesehen. Der Kantonsrat hat dies aber verschärft. Initiative und Gegenvorschlag werden abgelehnt von SP, Grünen, AL und der GLP der Stadt Zürich. Die kantonale GLP sagt Ja zum Gegenvorschlag, ebenso wie Mitte, EVP und FDP.  

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