«Die erhöhte Nachfrage nach Hochhäusern ist schlicht eine Tatsache»

Werden in der Stadt Zürich zu viele Hochhäuser gebaut? Und rollt die Stadt jenen, die Hochhäuser bauen wollen, gar noch den roten Teppich aus? Keineswegs, erklärt Hochbauvorsteher André Odermatt im Gespräch mit Nicole Soland: Der Bau von Hochhäusern werde in seinem Departement nicht speziell gefördert.

 

Seit einigen Jahren entsteht gefühlt an jeder Ecke ein neues Hochhaus: Man könnte glatt meinen, Städtebau sei heute nur noch mit Hochhäusern möglich.

André Odermatt: Städtebau geht selbstverständlich auch ohne Hochhäuser, davon kann man sich in Zürich in der Altstadt ebenso überzeugen wie anhand der vielen Blockrandüberbauungen in den Kreisen 3, 4 und 5. Doch je nach Ort können Hochhäuser tatsächlich eine bessere Anordnung der Bebauung ermöglichen.

 

Inwiefern eine «bessere Anordnung»?

Man kann die benötigten Volumina besser verteilen, wenn man höher baut, und dadurch Freiflächen freispielen. Die Planung an der Thurgauerstrasse ist ein gutes Beispiel dafür: Der alternative Vorschlag von Professor Sulzer hätte bei gleicher Dichte merklich weniger Freifläche gelassen als unser Vorschlag mit den Hochhäusern. Die Freiräume wären zudem schlechter belichtet gewesen. Sulzer ging vom Grundsatz des Blockrands aus, die Dichte wäre bei ihm, vereinfacht erklärt, anders gestapelt worden. Mit unserem Vorschlag, den knapp 60 Prozent der Stimmenden am 29. November 2020 gutgeheissen haben, ist der Gestaltungsspielraum grösser. Aber natürlich ist unser Vorschlag eine von mehreren Optionen. Es gibt nie nur eine mögliche Lösung.

 

Aber die Stadt ist schon sehr dafür, dass Hochhäuser gebaut werden?

Nein, wir pushen den Bau von Hochhäusern nicht. Seit dem Jahr 2001 sind die Hochhausrichtlinien in Kraft gesetzt und die erhöhte Nachfrage nach Hochhäusern bei Privaten wie auch bei Genossenschaften ist schlicht eine Tatsache. Damit der Bau von Hochhäusern bewilligt werden kann, müssen sie besonders gut gestaltet sein, und sie müssen ins Quartier und ins Ortsbild passen. Gut gestaltete Hochhäuser am richtigen Ort schärfen die Stadtsilhouette und tragen zur Orientierung bei. Der Prime-Tower ist ein gutes Beispiel dafür: Dank ihm ist von weither sichtbar, wo Zürich-West liegt. Auch das Lochergut hat etwas von einer Landmarke, es hilft einem, sich in der Stadt zu orientieren.

 

Hochhäuser werden demnach nicht gefördert, aber durchgewinkt – teils auch ausserhalb der gemäss Hochhausplan definierten Gebiete.

Auch dieser Eindruck ist falsch: Wir winken kein Hochhaus durch. Vielmehr kommt es durchaus vor, dass wir Vorschläge für Hochhausbauten ablehnen. Soll ein Hochhaus ausserhalb der dafür definierten Gebiete entstehen oder höher werden, als die im Hochhausgebiet vorgesehene maximale Höhe, braucht es einen Gestaltungsplan, über den der Gemeinderat oder sogar die Stimmbevölkerung befindet. Spontan kommen mir zu diesem Thema der Kornspeicher der Swissmill oder die geplanten Hochhäuser beim neuen Stadion in den Sinn. Beide Vorhaben wurden von den Stimmberechtigten gutgeheissen.

 

Ansonsten ist alles im grünen Bereich?

Aktuell sind an der ETH Hönggerberg und auf dem Campus Irchel Hochhäuser geplant, die sich ausserhalb eines Hochhausgebiets befinden werden. In diesen beiden Gebäuden wird jedoch nicht gewohnt. Etwas anderes sind Wohnhochhäuser aus den 1960er-Jahren: Damals gab es noch keinen Hochhausplan. Von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre war es in Zürich sogar verboten, Hochhäuser zu bauen. In dieser Zeit passierte baulich nicht viel, es gab keine dynamische Stadtentwicklung, es war die Zeit der Stadtflucht. Seit der Bau- und Zonenordnung (BZO) 99 und dem Hochhausplan darf man wieder Hochhäuser bauen, und das Hochhaus prosperiert. Aber wie gesagt: Die Stadt propagiert keine Hochhausbauten.

 

Einige neuere Hochhäuser wie etwa der Mobimo-Tower führen kaum zu einer Verdichtung, und die sehr teuren Wohnungen sind oft nicht einmal bewohnt, sondern dienen bloss der Geldanlage.

Es gibt auch sehr teure Wohnungen, die sich nicht in Hochhäusern befinden und die lediglich der Geldanlage dienen. Geht es um neu zu bauende Hochhäuser, stehen für uns die Qualität, der Gewinn fürs Quartier und die Bezahlbarkeit der Wohnungen im Vordergrund. Neben dem Mobimo-Tower gibt es beispielsweise auch das Zoelly, das zwar keine preisgünstigen Wohnungen bietet, aber solche, nach denen beim Mittelstand durchaus eine Nachfrage besteht.

 

Und bei neuen städtischen Wohnhochhäusern besteht umgekehrt keine Gefahr, dass dort jene Menschen ‹versorgt› werden, die wenig verdienen und es sich nicht aussuchen können, wo sie wohnen wollen?

In den städtischen Wohnhochhäusern in der Hardau und im Lochergut sind die Wohnungen preisgünstig – und sehr begehrt. Gerade das Lochergut ist an einem Ort gelegen, der sich im Herzen eines boomenden Quartiers befindet. An solchen Orten funktionieren Wohnhochhäuser städtebaulich sehr gut, ob sie nun teuren oder günstigen Wohnraum bieten. 

 

Die Baukosten von Wohnhochhäusern sind höher als jene von klassischen Blockrandbebauungen oder Wohnblöcken mit vier bis sechs Stockwerken. Allzu viele günstige Wohnungen entstehen so kaum.

Die Stadt und die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich ABZ verfolgen zurzeit je ein zukunftsweisendes Wohnhochhausprojekt, wir auf dem Areal Letzibach, die ABZ auf dem Koch-Areal. Die Erstellungskosten sind tatsächlich zehn bis zwanzig Prozent höher als bei Wohnblöcken mit maximal sieben Stockwerken, unter anderem wegen strengeren Brandschutznormen. Die Herausforderung liegt nun genau darin, dennoch Wohnungen zu erstellen, die den Vorgaben der Wohnbauförderung entsprechen. Und das gelingt in beiden Projekten auch. Das bedeutet, dass wir sogar subventionierte Wohnungen anbieten können.

 

Sie sind demnach zuversichtlich, dass es kein Problem sein wird, MieterInnen für all die neuen Wohnhochhäuser zu finden?

Schauen wir kurz zurück in die 1960er-Jahre: Damals war das Wohnen im Hochhaus der Inbegriff des ‹modernen› Wohnens. Familien schätzten den unkomplizierten Kontakt zu anderen Familien, und das ist gemäss neueren Studien heute noch so. Kinder, aber auch ältere Menschen freuen sich über den grünen Aussenbereich, und alle schätzen die Aussicht. Und ja, schaut man sich Wohnhochhäuser lediglich von aussen an, dann denken einige Menschen, «wie schrecklich, so möchte ich nie wohnen müssen». Sie sollten sich vielleicht einfach mal hineinwagen. In den städtischen Hochhäusern wohnen jedenfalls sehr viele zufriedene Mieterinnen und Mieter, und die Fluktuation ist niedrig.

 

Alles nur eine Frage der Perspektive?

Für die Qualität eines Hochhauses entscheidend ist der Standort, egal, ob die Wohnungen teuer oder günstig sind: Ist es gut eingebunden ins Quartier wie etwa das Lochergut, funktioniert es bestens. Steht ein Wohnhochhaus jedoch in der Agglomeration fernab des Zentrums, der Läden und Arbeitsplätze, sind obendrein die nächsten Freiräume nur mühsam erreichbar, sieht es anders aus. Weiter spielt es eine Rolle, ob ein Wohnhochhaus gut verwaltet und gepflegt wird oder ob die BesitzerInnen es verlottern lassen. Diese Merkmale sind übrigens nicht nur für Wohnhochhäuser zentral, sondern auch für Blockrandüberbauungen – die zudem vor nicht allzu langer Zeit noch als «Horte der Verwahrlosung» galten … Kurz: Ob es sich in einem Haus gut wohnt, hängt nicht allein davon ab, wie viele Stockwerke es hat. Auch in der Reiheneinfamilienhaussiedlung kann es schwierig werden.

 

Aus einer Wohnung im fünften Stock können kleine Kinder selbstständig ins Freie gelangen und mit ihren Gspänli spielen. Wer in einem Hochhaus wohnt und zu klein ist, um den Liftknopf zu erreichen, schafft es hingegen kaum, 20 Stockwerke zu Fuss hoch- und runterzusteigen. Was nützt der hübsche Spielplatz im Innenhof, wenn die Kinder darauf angewiesen sind, dass ein Erwachsener Zeit hat, sie dorthin zu begleiten?

Entscheidend ist erneut nicht einfach die Höhe eines Hauses, sondern ob die Wohnungen kindergerecht geplant und gebaut worden sind. In der neuen Wohnsiedlung Letzi­bach wird es ebenso Wohnungen für kinderreiche Familien geben wie ‹gewöhnliche› Familienwohnungen oder hindernisfreie, altersgerechte kleinere Wohnungen. Eine Loggia als geschützter privater Aussenraum gehört überall dazu, und auch wer im Rollstuhl sitzt, muss den Liftknopf erreichen können. Der öffentliche Aussenraum wird gut und kindergerecht gestaltet, und es sind Gemeinschaftsräume geplant, in denen man sich treffen kann. Umgekehrt gelangt man auch aus dem fünften Stock eines Blockrands nicht direkt ins Freie. Diese Möglichkeit bieten nur Einfamilienhäuser. Zeit ohne Aufsicht durch Erwachsene verbringen zu können, ist aber tatsächlich wichtig für die kindliche Entwicklung, und deshalb gehen die Kinder in Zürich zu Fuss in die Schule. Auf dem Schulweg entdecken sie jeden Tag etwas Neues und treffen ihre Gspänli. Wer zwar vom Einfamilienhaus aus direkt in den Garten spazieren kann, aber dafür nur dort spielen darf und obendrein mit dem Auto zur Schule gefahren wird, kommt um dieses Erlebnis und diese Erfahrungen herum.

 

Hochhäuser zu bauen ist teuer – und wie sieht es eigentlich aus, wenn sie in die Jahre kommen? Einige kleinere Wohnblöcke aus den 1960er-Jahren werden bereits abgerissen, weil es sich nicht rechne, sie 2000-Watt-tauglich zu machen. Müssen die Hardautürme und das Lochergut auch bald Neubauten weichen?

Nein, sicher nicht. Bei der Hardau steht in näherer Zukunft eine Fassadensanierung an, aber sowohl die Hardau wie auch das Lochergut können sogar Netto-Null-tauglich gemacht werden. Ein Vorteil des Hochhauses ist sein kompaktes Volumen. Das unterscheidet es nicht nur vom Reiheneinfamilienhaus, sondern führt auch zu einem verhältnismässig geringeren Energieverbrauch. Die Hardau verfügt bereits über eine Energiezentrale und auch für das Lochergut braucht es eine zukunftsfähige Lösung mit erneuerbarer Energie. Dabei gilt nicht nur «weg von der fossilen Energie», sondern es geht gleichzeitig auch darum, den Energiebedarf weiter zu senken. Da wegen der CO2-Abgabe fossile Energie immer teurer wird, geht eine solche Sanierung auch nicht übermässig ins Geld.

 

Zusammengefasst: Wir werden uns daran gewöhnen müssen, in Zürich Hochhausschluchten zu durchqueren und lediglich mit in den Nacken gelegtem Kopf noch ein bisschen Himmelsblau zu erspähen?

Dieses Schreckgespenst sehe ich nicht. Wer zu Fuss durch die Stadt spaziert, den oder die interessiert vor allem, was es ‹vor der Nase› zu sehen gibt, also im Erdgeschoss. Sind die Erdgeschosse gut gestaltet und möglichst öffentlich zugänglich, entsteht kaum der Eindruck des Wanderns in einer Schlucht. Von oben und aus der Ferne gesehen sind Hochhäuser markante Punkte, wirken aber kaum bedrohlich. Was man zudem nicht vergessen sollte: In Zürich werden in den kommenden paar Jahren keineswegs zackbumm alle Hochhäuser hingestellt, die man gemäss Hochhausrichtlinien bauen könnte. Sie entstehen nach und nach, und es kann sein, dass sich wie in Altstetten an der Hohlstrasse langsam Cluster bilden. Natürlich sind die Geschmäcker verschieden, aber von Hochhäusern ‹überfahren› wird Zürich auch in Zukunft nicht. Kommt hinzu, dass längst nicht überall die maximal mögliche Höhe ausgeschöpft wird. Umgekehrt sind manche Hochhäuser auch insofern ein Gewinn, als sie ein Zentrum nicht nur ästhetisch, sondern auch sozial durchaus beleben; nehmen wir als Beispiel das Zentrum von Oerlikon, wo das Erdgeschoss des zurzeit geschlossenen Swiss­ôtels sehr gut gelungen ist.

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