Demokratisches Dilemma

Zwei Tage vor den slowakischen Wahlen am 30. September wurde auf Facebook ein Eintrag publiziert mit einer Tonaufnahme, in der der Kandidat Michal Šimečka, der Vorsitzende der progressiven Partei Slowakiens mit der Journalistin Monika Tódová darüber spricht, wie man die Wahlen manipulieren könnte. Unter anderem mit Stimmenkauf bei der Minderheit der Roma. Dieses Gespräch hat allerdings nie stattgefunden. Es handelte sich um eine mittels künstlicher Intelligenz hergestellten Fälschung. Bereits vorher hatte eine gefälschte Audioaufnahme von Šimečka die Runde in gewissen sozialen Medien gemacht, in dem der Kandidat angeblich plante, nach erfolgreicher Wahl die Bierpreise zu erhöhen. Das Problem: In der Slowakei ist es Usus, dass 48 Stunden vor dem Urnengang keine Medienberichte mehr zu den Wahlen erscheinen. Das machte es schwieriger, die Fälschung zu widerlegen. Šimečka verlor die Wahl. 

Im August war der Digital Services Act der EU in Kraft getreten. Dieser sieht unter anderem einen besseren Schutz vor Falschinformationen vor, indem die Plattformen verpflichtet werden, mehr in die Erkennung von Falschinformationen zu investieren. Tatsächlich hat Facebook hier auch mehr investiert. Das Problem: Facebook konzen-trierte sich dabei vor allem auf Videos. Eine reine Tonaufnahme ging daher unter dem Radar durch. 

Am vergangenen Sonntag erhielten einige Demokrat:innen in New Hampshire einen Anruf von Joe Biden. Dieser teilte ihnen mit, dass sie doch nicht an den republikanischen Vorwahlen vom Dienstag teilnehmen und sich ihre Stimme für den November aufsparen sollen. Dort standen Dienstag Donald Trump und Nikki Haley zur Auswahl. Der Anruf sollte wohl dazu dienen, dass keine Demokrat:innen ihre Stimme für Nikki Haley abgeben. Im Telefonat wird suggeriert, man würde seine Stimme im November nicht mehr abgeben können, wenn man sich jetzt an den Vorwahlen beteiligt. Das ist nicht korrekt. Und: Es war nicht Joe Biden, der hier am Telefon war, sondern eine durch künstliche Intelligenz generierte Stimme. Wer für die Aktion verantwortlich ist, ist unbekannt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt.  

Auch in der Schweiz machten Fälschungen im Wahlkampf Schlagzeilen. Zum einen verwendete die FDP ein durch KI generiertes Bild mit Klima-kleber:innen, die eine Ambulanz blockieren. Und Andreas Glarner veröffentlichte ein Deep-Fake-Video, in dem die grüne Nationalrätin Sibel Arslan dazu aufrief, alle kriminellen Türken auszuschaffen und SVP zu wählen. In beiden Fällen war allerdings deklariert, dass es sich hierbei nicht um echte Bilder oder Videos handelte. Sibel Arslan ging zivilrechtlich gegen Glarner vor, dieser wurde zur Zahlung der Verfahrens- und Anwaltskosten verurteilt. Auf Anfrage meinte Glarner: «Das war mir der Spass wert.» 

Diese Fälle – und es gibt auch weitere – hatten vermutlich keine Auswirkungen auf den Wahlausgang, teilweise waren sie auch relativ einfach als Fälschungen erkennbar. Ob dies aber auch noch so sein wird, wenn die Technologie weiter fortschreitet, bleibt offen. Nun sind Fälschungen, Manipulationen und Falschinformationen nichts Neues. Und schon gar nicht in der Politik. Die Frage ist allerdings, ob die künstliche Intelligenz dieses Problem noch akzentuieren wird. 

Vertrauen ist wichtig für das Funktionieren einer Gemeinschaft und darum auch für die Demokratie. Wir Menschen sind keine Einsiedler, sondern gesellschaftliche Wesen, von Geburt auf angewiesen auf andere. Wer eine Gesellschaft schwächen will, versucht das Vertrauen zu schwächen. 

Wenn wir also immer mehr mit Informationen konfrontiert werden, denen wir nicht trauen können, wenn wir selbst unseren eigenen Augen und Ohren nicht mehr vertrauen können, dann ist das potenziell gefährlich. Nicht nur, weil wie in den oben genannten Beispielen Politiker:innen das Opfer von Manipulation werden können. Sondern auch, weil es auch Politiker:innen geben könnte, die eine wahre Information über sie ganz einfach als Falschinformation abtun können. 2017 stolperte der damalige Vizekanzler Österreichs, FPÖ-Chef Karl-Heinz Strache über ein Video, das ihn und seinen politischen Ziehsohn im Gespräch mit einer vermeintlich superreichen Russin zeigt. Darin geht es um illegale Parteispenden und fragwürdige Deals und um die Beeinflussung der Medien. Heute könnte Strache wohl einfach behaupten, das Opfer eines Deepfakes gewesen zu sein und seine Anhänger:innen würden ihm wohl glauben.   

Das Untergraben des Vertrauens geschieht aber eben oft nicht nur technologisch, sodass die reine Regulierung von künstlicher Intelligenz, wenn auch nötig, nicht alle Probleme lösen wird. Alt-Bundesrat Ueli Maurer gefällt sich momentan als Unruhestifter im Unruhestand. Wie die ‹NZZ am Sonntag› berichtete, geht er auf klare Distanz zur Corona-Politik des Bundesrats. In einem (echten) Videointerview mit dem Internetsender Hoch2.tv sprach er von der Pandemie als «Hysterie» und «Massenhypnose», die geschürt worden sei. Die Impfstoffe seien nur «heisse Luft» gewesen. Bei dieser Massenhysterie, so Maurer, sei «die Pharmaindustrie dahinter gewesen». Die Medien hätten alles unkritisch begleitet. Maurer trifft sich auch mit AfD-Chefin Alice Weidel, mit dem chinesischen Vizeministerpräsidenten Liu He und sitzt bei Viktor Orban in der ersten Reihe. Demokratiegefährdend sind aber andere, wie Maurer in der ‹Weltwoche› ausführt: «Wenn etwas demokratiegefährlich ist, dann sind es unsere staatlichen Medien.» Doch auch die anderen «Mainstream-Medien» sind bei Maurer nicht hoch im Kurs. 

Die Aargauer SP-Grossrätin Mia Jenni verlangte aufgrund der Äusserungen von Ueli Maurer auf X/Twitter, dass dieser von den Demokratietagen in Aarau ausgeladen werde. Das wirft ein durchaus schwieriges Dilemma auf: Wie geht man mit Menschen um, die fragwürdige und demokratiefeindliche Äusserungen machen? Ignoriert man sie, um ihnen keine Plattform zu geben oder muss man als Demokratin aushalten können, dass Leute auch eine krude und vielleicht auch objektiv falsche Meinung vertreten. Ich tendiere eigentlich im Zweifelsfall immer zum Letzteren. Doch ob dies letztlich den Diskurs stärkt, ist fraglich. Denn eine demokratische Diskussion auch mit ganz unterschiedlichen Meinungen gelingt letztlich nur, wenn ein gemeinsames demokratisches Fundament vorhanden ist. Oder man mindestens seinem Gesprächspartner das Vertrauen entgegenbringen kann, dass seine Absichten gut sind. Wichtiger aber scheint mir, dass das Grundvertrauen in der Bevölkerung – das in der Schweiz noch vorhanden ist – gestärkt wird. Indem Demokratie keine Leerformel ist, sondern auch klar gelebt wird. Was halt auch nicht einfach ist. Aber was bleibt uns sonst?

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