«Nur weil wir rappen und Brüste haben, sind wir nicht automatisch Feministinnen»

Big Zis und Cachita: Zwei Generationen, ein Genre. Warum es heute einfacher ist, in der Hip-Hop-Szene Fuss zu fassen und warum sie es satthaben, auf ihr Frausein reduziert zu werden, erzählen sie im Gespräch mit Noëmi Laux.

P.S.: Big Zis, du hast dein erstes Album 2001 veröffentlicht, während Cachita rund 20 Jahre später ihr Debütalbum herausbrachte. Habt ihr euch schon mal persönlich getroffen?

Cachita: Nein. Aber natürlich kenne ich dich, Big Zis. Du gehörst zur Urgeneration, hast die Schweizer Hip-Hop-Szene mitgeprägt. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich mir alte Videoclips von dir aus den 2000er-Jahren angeschaut. Ich mag deine Musik. 

Big Zis: Dein Name machte ziemlich schnell die Runde, nachdem du angefangen hast, Musik zu machen. Ich selbst habe dich auch noch nie live gesehen, aber immer wieder von verschiedenen Seiten gehört, dass diese Cachita der neue aufstrebende Musikstar in der Schweiz sei. Ich habe mir dann auch ein paar Songs von dir angehört und da ist mir aufgefallen, dass du ja vor allem singst.

C: Stimmt, meine Musik ist ziemlich vielseitig. Ich mache viel Reggaeton, Rap, ein bisschen Pop. Ich probiere einfach gerne aus und will mich gar nicht auf eine Richtung festlegen, werde aber oft als Rapperin bezeichnet, vor allem von den Medien. Das liegt hauptsächlich daran, dass weibliche MCs immer noch etwas sehr Exotisches sind. Nicht, dass es mir nicht gefällt. Ich bin gerne Rapperin, aber eben nicht nur.

Z: Ich finde es mega frisch, dass du dich für so viele Sachen interessierst und vor allem nicht davor zurückschreckst, Dinge auszuprobieren. Das war bei mir auch so und ich bin eher damit angeeckt, weil die Leute mich nie so richtig einordnen konnten.

Ist das der Grund, weshalb ihr euch nicht als klassische Hip-Hop-Künstlerinnen seht?

C: Ich probiere gerne aus und höre auch viel andere Musik, die mich beeinflusst. Meine Schwester ist neun Jahre älter als ich. Als ich drei oder vier Jahre alt war, liefen bei uns zu Hause alle MTV-Hits der 2000er. Meine Wurzeln sind kubanisch, deshalb höre ich auch viel Latin. Aber ich kann auch zu jedem Song von Sido rappen. Wenn man Musik macht, saugt man alles auf wie ein Schwamm. 

Z: Ich glaube auch, dass sich meine Musik aus ganz verschiedenen Einflüssen zusammensetzt, nicht nur von der Musik, die ich höre. Auch wie du aufwächst, was du siehst und erlebst, beeinflusst letztendlich deine Kunst.

Ihr kopiert also einfach das, was euch gefällt?

Z: Im Grunde ja. Ich finde es ziemlich überheblich, wenn Künstler:innen sagen, sie hätten etwas ganz Eigenes und Neues geschaffen. Ich habe nicht Musik studiert oder eine andere musikalische Ausbildung. Rappen habe ich durch Nachahmen gelernt. Und dann fängt man irgendwann an, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Insofern finde ich die Forderung nach Originalität total absurd. 

C: Ich glaube aber schon, dass es heutzutage einfacher ist, auch ohne ein grosses Label im Nacken erfolgreich zu sein. Man kann viel einfacher selber Musik releasen und auch als Independent-Künstler:in auf den Streaming-Plattformen erfolgreich sein. Das war zu deinen Anfängen ja noch ganz anders.

Z: Ja, das stimmt. Durch Streamingplattformen und Social Media ist man heute viel weniger von den klassischen Medien abhängig. Wenn sich das Feuilleton nicht für dich interessiert, kannst du trotzdem erfolgreich sein und deine Musik auf Instagram promoten. Im Gegenzug wird man zur Sklavin des Algorithmus. Das kotzt mich massiv an. Ich mache seit ein paar Monaten gar nichts mehr auf Social Media und bin froh, dass ich mir das herausnehmen kann. 

Für dich wäre das sicher schwieriger, Cachita. Wie gehst du mit dem Druck um, neben der Musik ständig auf sozialen Netzwerken aktiv sein zu müssen?

C: Ich struggle schon oft damit. Gerade durch Instagram und TikTok habe ich ständig das Gefühl, präsent sein zu müssen, zu performen. Das kann enorm kräftezehrend sein, wodurch auch viel Kreativität verloren geht. Letztes Jahr hatte ich so viel los, war ständig unterwegs, habe richtig viele Konzerte gegeben und meine ersten Festivals gespielt. Das war eh schon anstrengend, und dann habe ich das ja auch noch alles auf Social Media begleitet. Wenn ich es dann zwischendurch mal ins Studio geschafft habe, habe ich mich oft richtig leer und ausgelaugt gefühlt.

Z: Das kann ich mir vorstellen. Es ist extrem anstrengend, in der Öffentlichkeit zu stehen, ganz egal, wie bekannt du bist. Du wirst automatisch zur Zielscheibe. Als ich angefangen habe, sind gerade diese Chatrooms aufgekommen, in denen man erstmals anonym seinen Senf im Internet verbreiten konnte. Einmal habe ich da reingeschaut und danach nie mehr. 

Warum?

Z: Was ich da über mich lesen musste, war wirklich schlimm. Heute ist man dem Hass und den Meinungen anderer viel mehr ausgeliefert. Was ich aber extrem gemerkt habe, dass mit dem Exotenstatus als Frau im Hip-Hop viel eher über mich geschrieben wurde. 

Merkst du das auch, Cachita? 

C: Nachdem ich das erste Mal am Cypher gerappt habe, war das extrem. Plötzlich wurde ich zu Interviews eingeladen, die Leute haben begonnen, sich für mich zu interessieren. Das war überwältigend für mich, und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass es oft in erster Linie gar nicht um meine Musik, sondern um mein Frausein in einer männlich dominierten Szene, dem Hip-Hop gegangen ist. Diesen struggle kennst du bestimmt auch. 

Z: Auf jeden Fall. Mir werden diese Fragen seit 20 Jahren gestellt. Früher hatte ich eine enorme Abwehrhaltung gegen alle Fragen, die irgendwie im Zusammenhang mit Hip-Hop und meinem Geschlecht gestellt wurden. Und zwar nicht, weil mich diese Thematik nicht interessiert hat, aber man fühlt sich dann schon ein Stück weit reduziert aufs Frausein. Eine Weile lang bin ich jedes Mal ausgewichen, wenn es in Interviews um diese Themen ging. Gleichzeitig denke ich, der ganze Rap-Zirkus ist super männlich und oft auch super toxisch. Es ist wichtig, darüber zu sprechen.

Dabei stellt sich auch die Frage, welche Verantwortung Künstler:innen für ihre Musik tragen. Nach dem Cypher im Jahr 2022, an dem ihr beide teilgenommen habt, kam Kritik auf, dass Songtexte von einigen Rappern homophob und sexistisch waren.

Z: Ich finde es skandalös, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender solche Inhalte sendet, ohne hinterher einen Raum zu schaffen, wo man sich ernsthaft mit dem auseinandersetzt, was da zum Teil gesagt wurde. Diese Diskussion muss breit geführt werden. Denn letztlich geht es um die Frage, wofür wir stehen und was wir repräsentieren wollen. Hip-Hop ist auch Bildung, es geht darum, Menschen weiterzubringen. Das war schon immer so. 

C: Ich finde es gut, dass es die medialen Reaktionen gegeben hat. Und so wie ich das erlebt habe, hat es auch einen Ruck gegeben. Ich glaube, dass vielen wirklich nicht bewusst war oder sie haben sich einfach noch nie Gedanken darüber gemacht, dass sie mit ihrer Musik andere verletzen können und Bilder und Werte reproduzieren, die sie vielleicht gar nicht wollen. Aber ich finde die Aufregung oft auch ein bisschen übertrieben.

Z: Ja, total. Hip-Hop ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn jemand sexistisch rappt, gucken alle und zeigen mit dem Finger. Dabei sind das keine Probleme, die nur in der Musikszene auftreten, sondern es spiegelt einfach das wider, was in anderen Lebensbereichen genauso vorkommt, nur eben meist viel subtiler. 

Seid ihr automatisch Feministinnen, weil ihr als Frauen in der männerdominierten Hip-Hop-Szene mit Stereotypen brecht?

C: Nur weil wir Frauen sind? Sicher nicht. Man kann Brüste haben und rappen und trotzdem eine total reaktionäre Haltung haben und Stereotype reproduzieren. 

Z: Für mich eröffnet sich eine neue Diskussion darüber, wie unterschiedlich Feminismus sein kann. 

Wie meinst du das?

Z: Wenn Künstlerinnen wie Beyoncé öffentlich sagen, dass sie Feministinnen sind, dann erreichen sie damit Millionen junger Frauen, die sonst vielleicht gar nicht mit diesen Themen in Berührung gekommen wären. Aber ich wage zu behaupten, dass dieser Feminismus bei der Gleichberechtigung aufhört. Natürlich kann man es feministisch nennen, wenn man macht, was man will. Aber eine Beyoncé ist trotzdem eine Kapitalistin und sie spiegelt ein Frauenbild wider, das von Männern geschaffen wurde. 

C: Das ist immer eine Gratwanderung, vor allem als weibliche Künstlerin. Ich spiele auch gerne mit meiner Sexualität. Dabei muss ich mir immer wieder die Frage stellen, wie viel von meiner Performance wirklich selbstbestimmt ist und was ich gerade mache, weil ich weiss, dass es funktioniert. Ich glaube schon, dass wir Frauen da mehr Angriffsfläche bieten.

Inwiefern?

C: Wenn du sexy bist, dann bist du zu sexy und unpolitisch. Bist du offen feministisch, bist du eine Emanze. Egal, was du machst, irgendjemand hat immer etwas an dir auszusetzen. Das verunsichert manchmal. Auf Konzerten wird das besonders deutlich. 

Weil das Publikum andere Erwartungen hat?

C: Die Jungs kommen zum Gig, chillen erst mal, rauchen einen Joint und steppen dann im Trainingsanzug auf die Bühne, rappen ihr Programm runter und gehen wieder. Wir Frauen schauen viel mehr darauf, nice Visuals zu haben, eine gute Bühnenshow abzuliefern, mit Tänzer:innen und einem guten Storytelling. 

Z: Ich will jetzt nichts unterstellen, aber ich glaube schon, dass ihr euch diesen Druck zum Teil auch selbst macht. Das ist aber auch klar. Gerade weil wir Frauen so unterrepräsentiert sind, fällt jeder weibliche MC auf, der nicht liefert. In der Gesamtheit hat das ein ganz anderes Gewicht, als wenn ein männlicher MC mal eine Show versaut. Dann ist es einfach einer, der nicht geliefert hat. Und bei uns ist es so, du sitzt da und denkst mit Fieber, hoffentlich macht sie es mega gut. Stell dir vor, sie kackt jetzt. Das ist ein massiver Druck.

C: Auf jeden Fall. Und trotzdem empfinde ich es als massives Privileg, dass wir machen können, worauf wir Lust haben.

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