Das erwartete Resultat

Aller Aufgeregtheit der Medien und vieler Wichtigtuer:innen zum Trotz spielten sich die Bundesratswahlen in der erwarteten Ruhe ab. Die sechs Bisherigen wurden mit anständigen bis guten Resultaten bestätigt. Der neue Bundesrat heisst Beat Jans, kommt aus Basel und ist in der SP. Bei dieser Wahl gab es zwei kleine Überraschungen: Das relativ schlechte Abschneiden von Jon Pult und die knapp 70 Stimmen für Daniel Jositsch. Das Letzte war eine Demonstration der rechtsbürgerlichen Abteilung, die nicht nur aus den Mitgliedern der SVP bestehen konnte. Vertreter der SVP hatten im Vorfeld einerseits ihr Einstehen für die Konkordanz betont, die nicht nur in ihren Augen darin besteht, dass die drei stärksten Parteien zwei Sitze im Bundesrat und die Viertstärkste einen Sitz innehat. Trage die SP die Wiederwahl von Ignazio Cassis nicht mit, würden sie sich nicht mehr ans Ticket der SP halten. Die SP erfüllte den ‹Befehl›, wählte mehrheitlich Ignazio Cassis, obwohl sicher alle den Grünen Gerhard Andrey bevorzugten. Trotzdem trötzelten die Rechten nicht nur wie vor einem Jahr symbolisch im ersten Wahlgang, sondern zogen die Kandidatur von Daniel Jositsch bis zum Ende durch, wobei dieser dagegen nicht einschritt. Was seinen Sympathiewert in der SP sicher nicht erhöht, was ihn aber zumindest derzeit auch aus nachvollziehbaren, aber nur sehr bedingt entschuldbaren Gründen nicht sehr interessieren dürfte. Die Stimmen für Daniel Jositsch beeinflussten den Ausgang der Wahl höchstens marginal. Ohne dieses Dreinfunken wäre der Abstand zwischen Beat Jans und Jon Pult vermutlich kleiner gewesen, wären kaum fast alle Stimmen der Grünen und auch einen Teil der SP im zweiten und dritten Wahlgang zu Beat Jans gegangen. Das hätte nichts daran geändert, dass eine Mehrheit ihn derzeit bevorzugt. Jon Pult wurde dank dem Jositsch-Manöver unter Wert geschlagen, aber das wird ihm für die Zukunft kaum schaden. 

Der Grüne Gerhard Andrey schnitt mit 59 Stimmen anständig, aber doch deutlich schlechter als möglich ab. Dass die SP-Fraktion ihn nicht geschlossen unterstützte, dürfte das Klima zwischen den beiden Fraktionen sicher leicht verschlechtern und die Grünen sicher ermuntern, bei nächster Gelegenheit auch einen Sitz im Bundesrat auf Kosten der SP anzustreben. Ich finde es auch etwas enttäuschend, dass die SP-Fraktion sich derart unter Druck setzen liess und darauf verzichtete, wenigstens im ersten Wahlgang klar zu zeigen, dass sie die FDP für übervertreten hält und dass die Grünen in den Bundesrat gehören. Erst noch mit einem interessanten Kandidaten. Anderseits kann ich nachvollziehen, dass die SP-Fraktion nur sehr bedingt Lust hatte, den eigenen Sitz für ein aussichtsloses Unterfangen aufs Spiel zu setzen. Die Grünen haben derzeit nur eine Chance, auf Kosten der SP in den Bundesrat zu kommen. Dass die SP wie alle anderen kein Interesse daran haben kann, Macht abzugeben, liegt in der Natur der Sache, respektive der Politik.

Die Grünen scheitern mit ihrem Streben nach einem Bundesratssitz nicht an der Unterstützung der SP und auch nicht an der Mathematik oder Gerechtigkeit, sondern weil ihre Eingebundenheit in den Bundesrat nur im Interesse der SP liegt, sofern es nicht auf deren Kosten geht. FDP und SVP und wohl auch die Mitte werden auch in vier Jahren kaum freiwillig einen Sitz abtreten. Sie haben einfach zu wenig Angst vor den Grünen, ein Einzug der Grünen in den Bundesrat bringt ihnen keinen Mehrwert.

Die Zauberformel verdeckt ganz einfach ein politisches Arrangement aus den 1950er-Jahren. Die SP konnte damals ausserhalb des Bundesrats vor allem mit Referenden, die sie gewinnen konnte, den bürgerlichen Parteien soviel Ärger oder Widerstand bieten, dass es sich lohnte, sie einzubinden. So kam es zur politischen Formel der Vierparteienregierung und einer damals zutreffenden arithmetischen Verteilung der Sitze. In den 1990er-Jahren wuchs die SVP enorm und vor allem war sie in der Lage, Volksabstimmungen gegen den Rest der Welt zu gewinnen. Der Versuch, sie mit einem zweiten Bundesrat etwas zu zähmen, lag zumindest auch im Interesse der beiden anderen bürgerlichen Parteien.

Diese Konstellation existiert heute nur bedingt. Die Grünen konnten sich zwar als Partei etablieren, aber es gelingt ihnen noch nicht, mit Referenden oder Initiativen wirkliche Erfolge und damit Macht zu erringen. Im Gegensatz zur SP, die, auch wenn ihr das nicht wahnsinnig viel für ihre zentralen Anliegen bringt, in der Lage ist, den Bürgerlichen vor allem bei den Steuern und den Finanzen erfolgreich in die Suppe zu spucken. Dies ist, wenn auch etwas direkt und unhöflich formuliert, der geforderte Preis zur Teilnahme am Bundesratstisch. Oder mit Verbündeten zusammen eine Mehrheit in den Räten zu erringen. Gerechte Arithmetik ist schön und gut, so wertvoll wie eine Sonntagspredigt …

Eine Nebenbemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Ignazio Cassis profitierte zum zweiten Mal von einem Angriff der Grünen auf ihn. Auch wenn ich die steten personellen Angriffe und Schuldzuweisungen auf einzelne Bundesrät:innen für eine Unsitte und für ein billiges Mittel der wechselnden Parteispitzen halte (Cassis ist nicht für die EU zuständig, Guy Parmelin nicht für die Wohnungsmisere, Elisabeth Baume-Schneider nicht für das nichtvorhandene Asylchaos, sondern der Gesamtbundesrat, meist unter Mitwirkung des Parlaments), ist es schon ein Phänomen, dass – obwohl kaum jemand (ausser in Sendungen am Abend vor der Wahl) Ignazio Cassis für einen fähigen Bundesrat hält – eine Abwahl (das könnte auch ein nahegelegter Verzicht sein) nicht infrage kommt, weil sonst der Freisinn einen Bundesrat verlieren könnte. Natürlich nennt man das nicht so, sondern Erhalt der Stabilität in Krisenzeiten. Nur, warum um Himmelswillen muss sich ein bisheriger Bundesrat alle vier Jahre einer Wiederwahl stellen, wenn eine Nichtwahl die Stabilität gefährdet? Eine letzte Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Obwohl Gerhard Pfister und andere Vertreter der Mitte bereits am Wahlabend deutsch und deutlich erklärten, dass für sie eine Änderung der Bundesratszusammensetzung nicht infrage komme und damit alle Spekulationen eigentlich gestorben waren, labten sich die Medien daran. Statt über Politik zu schreiben und sie allenfalls zu kommentieren, agierten sie, wie etwa die TA-Chefredaktorin Raphaela Birrer. Auch das Schweizer Fernsehen kam eher dem Unterhaltungs- als dem Informationsbedürfnis nach. 

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