Bumm!

Der letzte Stemann feiert die Biegsamkeit der bürgerlichen Moral formal grandios und inhaltlich aufgesetzt aufsässig.

Nichts darf man mehr sagen und jeglicher Humor wird einem auch konstant abgesprochen. Das wiederholt «Biedermann und die Brandstifter» in der Regie von Nicolas Stemann so lange, bis der formale Trick einen Grad der Befähigung erreicht, das Publikum zweizuteilen: In jene, die in ein persönliches Beleidigtsein verfallen und jene, die sich vom Slapstick dahinter belustigt fühlen. An der Première  dominiert zweiteres den Pfauensaal, der hier zuletzt ganz dem ursprünglichen Wunsch der aktuellen Intendanz (und der Stadtpräsidentin) entsprechend, symbolhaft dem Erdboden gleichgemacht wird, um Platz für Neues zu ermöglichen. Das Bühnenbild von Karin Nottrodt ist die Doublette des Pfaueninterieurs, worin sich Patrycia Ziólkowska als Biedermann zeitgleich so körperlich elastisch wie Olivia als auch so dumb toxischmännlich wie Bluto aus der Popeye-Reihe zeigt, dass sie Max Frischs «Lehrstück ohne Lehre» ein vollkommen übertriebenes Abziehbild als leidlich verhöhnende Komponente entgegenstellt. Der kernige Doppelmeter Niels Bormann gibt sowohl als Zofe Anna wie auch als Brandstifter Schmitz unmissverständlich zu verstehen, mit welch simpelster Schmeichelei ein jeder Bürger sich in seinem grenzenlosen Opportunismus bestärkt fühlen und darum umso leichter übers Ohr gehauen werden kann. Derweil tippelt Kay Kysela als Babette und als Brandstifter Eisenring seinem jeweiligen Mastermind folgsam hinterher, sodass mit diesem fulminanten Trio tatsächlich sämtliche verhandelten Abgründe versammelt auf der Bühne stehen. Die Musiker Thomas Kürstner und Sebastian Vogel schicken sich in ihre Beigemüserolle – bis zum Kollaps. Drei Witwen (Anina Steiner, Ann-Kathrin Stengel und Hannah Weiss) verleihen diesem Abgesang eine würdige Umrahmung von Klageweibern und die beiden Feuerwehrleute Daniel Lommatzsch und Sebastian Rudolph schälen sich als adrette Anzugsträger aus ihren Schutzanzügen, just als die Chose in Flammen aufgegangen ist, sie also versagt haben und jagen dieser Schmach ätzend zynische Altklugheit hinterher, nur um – wie die titelgebende Figur – ihr eigenes vorangegangenes Scheitern zu verwedeln. Bis Nicolas Stemann die eigene Moralkeule zückt, was mit gutem Willen als Verheutigung der Nulllehre angesehen werden könnte, aber halt auch ein wenig kleingeistig wirkt, ist der Abend ungeheuer spassig. Die extradick aufgetragene Wiederbetonung des Ewiggleichen bis das aktive Weghören verlockend(er) erscheint, ist wohl pädagogisch begründet.

«Biedermann und die Brandstifter», bis 5.5., Schauspielhaus, Zürich.

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