Ausflugsziele in der Stadt

Der Zürcher Gemeinderat zügelt nicht sofort zurück ins Rathaus und nimmt fünf Gastrobetriebe am Seebecken in den Regionalen Richtplan Landschaft auf.

 

Manchmal geben im Zürcher Gemeinderat Geschäfte viel zu reden, von denen man im Vorfeld denken würde, sie müssten eigentlich glatt durchgehen. An der Sitzung vom Mittwochabend war das zum Beispiel beim Traktandum «Beschlussantrag» der Fall. Eingereicht hatten diesen die FDP-, SVP-, GLP- und AL-Fraktion und die Parlamentarische Gruppe EVP, und zwar am vergangenen 19. März: Sie verlangten damit ganz einfach die Rückkehr des Gemeinderats in das Rathaus. Aber so einfach war es natürlich nicht: Es sei nur schon «befremdlich», dass dafür überhaupt ein Beschlussantrag und eine Debatte nötig seien, befand der Fraktionspräsident der FDP, Michael Schmid. Aber in der Geschäftsleitung habe eine knappe Mehrheit «nicht das beschlossen, was in dieser Situation eigentlich selbstverständlich sein müsste» … Im Rathaus herrsche eine ganz andere Atmosphäre für die parlamentarische Debatte als in der Halle 9, und es sei ein Austausch mit der Bevölkerung möglich. Ja mehr noch: Dass der Rat weiterhin unter Ausschluss des Publikums debattiere, sei ein «widerrechtlicher Zustand», den man «unverzüglich korrigieren» müsse. Man sei nach Oerlikon ausgewichen, weil es aus rechtlichen und epidemiologischen Gründen nötig gewesen sei. Doch unterdessen seien alle Massnahmen aufgehoben, und damit fehle auch die sachliche wie rechtliche Grundlage, weiterhin dort zu tagen.

 

Das sahen die Grünen anders: Monika Bätschmann erklärte, das ‹Gstürm› um die «temporäre» Rückkehr sei «unverständlich». In der Halle 9 seien die Arbeitsbedingungen viel angenehmer als im Rathaus, wo «schon fast Käfighaltung» herrsche. Zudem lehne auch die Geschäftsleitung des Kantonsrats eine Rückkehr ab. Die Kosten würden ebenfalls nicht offengelegt, aber die Miete für die Halle würde weiterlaufen, und falls man im Herbst das Rathaus pandemiebedingt wieder verlassen müsste, kämen weitere Kosten dazu. Die Öffentlichkeit sei überdies keineswegs ausgeschlossen, sondern habe via Live-Stream die RednerInnen viel besser im Blick. Auch der Fraktionspräsident der SP, Davy Graf, verstand nicht, weshalb man «ohne Not» ein funktionierendes Setting verlassen sollte, zumal die Pandemie keineswegs beendet sei, nur weil per 1. April die «besondere Lage» aufgehoben worden sei. Noch vier weitere RednerInnen traten ans Pult, bis man zur Abstimmung schreiten konnte: Mit 56:53 Stimmen lehnte der Rat den Beschlussantrag ab.

 

Tagesschule mit Grummeln

Ungewöhnlich gestaltete sich danach auch die Behandlung des Traktandums «Definitive Einführung der Tagesschule gemäss dem Modell der Stadt Zürich»: Es handelte sich um die Redaktionslesung. Normalerweise hätte der Präsident der Redaktionskommission, Mark Richli, erläutert, wo seine Kommission in der fertig ausgearbeiteten Verordnung unsaubere Nummerierungen berichtigt und fehlende Kommas ergänzt hatte, und danach hätte man abgestimmt. Dieses Mal jedoch gab es, nachdem Mark Richli seines Amtes gewaltet hatte, noch eine längere Debatte: Die FDP gab bekannt, dass sie zwar im Grundsatz für die Einführung der Tagesschule, aber gegen die konkrete Verordnung sei. FDP und SVP wollten offensichtlich die inhaltliche Debatte der Vorlage, die am 9. März bis kurz nach Mitternacht ausgiebig geführt worden war (P.S. vom 11. März), nochmals aufnehmen. Auch Schulvorsteher Filippo Leutenegger betonte ein weiteres Mal, wie viel teurer die Vorlage durch die Änderungen geworden sei, welche die rot-grüne Ratsseite hinzugefügt habe, und RednerInnen von SVP und FDP erinnerten daran, was sie lieber anders gehabt hätten. Doch um wirklich noch etwas zu ändern, hätten sie einen Rückkommensantrag stellen müssen, was aber niemand machte. Dafür kündigte die FDP an, sich weitere Schritte vorzubehalten: Sie denkt über ein Behörden- oder ein Volksreferendum nach, wie Michael Schmid dem P.S. am Rande der Sitzung bestätigte. Ein Behördenreferendum dürfte allerdings schwierig werden: FDP und SVP kommen auf 38 Stimmen, nötig wären 42. Wie erwartet, hiess der Rat die definitive Einführung der Tagesschule schliesslich im Grundsatz gut (hier war nur die SVP dagegen) und nahm auch die Verordnung an (gegen die Stimmen von SVP und FDP). 

 

Ebenfalls viel zu reden gab wieder einmal das Seeufer, beziehungsweise die Frage, wie mit fünf ganzjährig betriebenen Restaurants umzugehen sei. Das ‹Fischers Fritz›, die ‹Seerose›, das ‹Samigo›, der Kiosk Riesbach und die Fischerstube haben nämlich eines gemeinsam: Sie sind dort, wo sie teils seit vielen Jahren stehen, eigentlich nicht zulässig, denn die Gebäude befinden sich in der Freihaltezone, also ausserhalb der Bauzone. Gleichzeitig besteht aber ein öffentliches Interesse daran, dass sie bestehen bleiben und auch künftig das ganze Jahr hindurch Gäste empfangen dürfen. Deshalb sollten sie nun im Rahmen einer Teilrevision in den Regionalen Richtplan Landschaft der Stadt Zürich aufgenommen werden, wie Kommissionssprecherin Ann-Catherine Nabholz (GLP) ausführte. Konkret werden sie neu als «Ausflugsziele» definiert. Die Gastrobetriebe sollen in ihrer heutigen Grösse erhalten und wo nötig erneuert werden können. Sie sollen sich jedoch nicht weiter ausdehnen. Mit dem Richtplan wird deshalb die maximal zulässige Anzahl Innen- und Aussensitzplätze festgelegt. 

 

Die Ablehnung der Grünen begründete Jürg Rauser: Mit dieser Vorlage mache man einen weiteren Schritt in Richtung einer noch stärkeren Kommerzialisierung rund ums Seebecken, und das fänden die Grünen «problematisch». Zudem sei die Kategorie Ausflugsziele für Gegenden wie das Tösstal geschaffen worden, um Beizen in der Landschaft zu ermöglichen. In der Stadt Ausflugsziele zu definieren, sei jedoch eine «systemfremde» Anpassung. Die SVP wiederum war aus einem anderen Grund dagegen: Jean-Marc Jung fand einerseits, man müsste die Restaurants häufiger zur Pacht ausschreiben und den gleichen Pächter nur eine bestimmte Anzahl Jahre wirten lassen. Andererseits erklärte er, es sei nicht zeitgemäss, die Grösse der Betriebe und die jeweils zulässige Zahl Sitzplätze zu begrenzen. Das sei nicht bedarfsgerecht, denn es wollten immer mehr Menschen an den See: «Uns fehlt ein städtisches, wirtschaftsfreundliches Gesamtkonzept für das Seebecken.» Sabine Koch (FDP) erklärte, ihre Fraktion tue sich ebenfalls schwer mit der Vorlage: Aus unternehmerischer Sicht sei es der falsche Weg, die Anzahl Sitzplätze als Richtgrösse zu nehmen. Deshalb werde sich die FDP in der Schlussabstimmung enthalten. Sven Sobernheim (GLP) entgegnete ihnen, Sitzplätze zu zählen sei nun mal die einfachste Art, die Grösse eines Restaurants zu bestimmen; er wüsste jedenfalls nicht, wie man es sonst machen sollte. Mit 56:38 Stimmen (von SVP, Grünen und AL) bei 16 Enthaltungen der FDP hiess der Rat die Vorlage gut.

 

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