«Auch einnahmenseitig muss etwas passieren»

Geht es nach den Bürgerlichen, droht dem Kanton Zürich, verteilt auf drei Jahre, ein Sparpaket über 1,8 Milliarden Franken. Warum es mit Sparen allein nicht getan ist, erklärt Martin Sarbach, SP-Kantonsrat und Mitglied der Finanzkommission, im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Die Bürgerlichen betonen seit Jahren bei jeder Gelegenheit, der Kanton müsse sparen: Wie ernst ist die Lage tatsächlich?

Martin Sarbach: Dass sich die finanzielle Situation des Kantons Zürich in den nächsten Jahren verschlechtern wird, ist kein Geheimnis. Wir müssen mit einem substanziellen Budgetfehlbetrag rechnen.

 

Wie konnte es dazu kommen? Es heisst zwar, die Linken pflegten das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster zu werfen, aber im Kantonsrat sind sie bekanntlich seit Jahrzehnten in der Minderheit…

Das drohende Defizit ist die bewusst angestrebte Folge der bürgerlichen Politik der leeren Kassen: Die satte bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat sorgt erst für schmale Einnahmen und schlussfolgert sodann, dass sich nur dann ein ausgeglichenes Budget erreichen lässt, wenn man die Ausgaben zusammenkürzt.

 

Wie lassen sich die Einnahmen angesichts der stetig wachsenden Bevölkerung tief halten? Mehr Menschen zahlen doch auch mehr Steuern.

Man muss nur ununterbrochen daran arbeiten… Konkret: In den letzten 16 Jahren hat die bürgerliche Mehrheit im Kanton Zürich Steuererleichterungen von rund einer Milliarde Franken pro Jahr beschlossen, also fast das Doppelte der rund 600 Millionen Franken, die nun jährlich eingespart werden sollen.

 

Wie setzt sich diese Summe zusammen?

Erst verlor der Kanton wegen der Teilabschaffung der Erbschaftssteuer rund 235 Millionen Franken pro Jahr, dann entzogen ihm je eine Steuerfusssenkung um fünf bzw. drei Prozentpunkte jährlich rund 320 bis 480 Millionen Franken. Als nächstes wurde der Kapitalgewinnsteuersatz halbiert, was ein Minus von 130 Millionen Franken pro Jahr ergibt. Die Abschaffung der Handänderungssteuer entzog zusätzlich den Gemeinden dringend benötigte Mittel, und der Ausgleich der Kalten Progression in den Jahren 2006 und 2012 brachte nochmals ein Minus von 300 Millionen Franken jährlich. Macht total mindestens 985 Millionen Franken – und es hätte noch schlimmer kommen können.

 

Inwiefern?

Gegen den einen oder andern Vorschlag aus der bürgerlichen Sparabteilung haben wir uns mittels Referenden erfolgreich gewehrt. So haben die Stimmberechtigten beispielsweise die Abschaffung der höchsten Progressionsstufe, des sogenannten Dreizehners, abgelehnt. Für die Abstimmung vom 28. Februar hoffe ich darauf, dass sich viele ans Sprichwort «Auch Kleinvieh macht Mist» erinnern und die Reduktion der Notariatsgebühren ablehnen. Denn die 14 Millionen Franken, die dem Kanton bei einem Ja entzogen würden, sind ein Betrag, dessen Entzug nicht verantwortbar ist. Dies umso mehr, als diese Gemengsteuer ja jene zu bezahlen haben, die sich Immobilien leisten können. Ausgerechnet sie zu verschonen, wäre höchst unlogisch und ungerecht. Auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Kantonshaushalt haben wir nun zwei Möglichkeiten: Entweder die Ausgaben zurückfahren oder die erwähnten Steuererleichterungen wieder rückgängig machen.

 

Letzteres tönt wenig wahrscheinlich.

Ja, in den Augen der Bürgerlichen ist es ein leider noch nicht denkbar, bei den Einnahmen anzusetzen. Unsere Fraktion hingegen ist der Meinung, wir müssten erst überlegen, welche Leistungen wir wollen und was diese kosten, und dann die nötigen Mittel bereitstellen.

 

Das versuchen die Linken seit Jahrzehnten, ohne Erfolg: Wie erklären Sie sich die Sturheit der Bürgerlichen in diesem Punkt?

Die Mehrheit im Kantonsrat betreibt in dieser Frage Denkverweigerung. Stattdessen erklären ihre VertreterInnen bei jeder Gelegenheit, wir müssten nun endlich sparen und obendrein so viel wie möglich – aber wo genau sie sparen wollen, das sagen sie nicht. Sie verstecken sich lieber hinter dem Regierungsrat, in dem bekanntlich eine Mehrheit von fünf Bürgerlichen zwei Linken gegenübersteht, und delegieren das Sparen an ihn.

 

Oder sie lassen es gleich ganz sein, wie jüngst, als es um die Gelder für den öV ging…

Genau: Erst stimmte die bürgerliche Mehrheit dafür, dass der öV pauschal 134 Millionen Franken sparen müsse. Dies, weil die Ausgaben für den öV im Zeitraum 2015 bis 2019 um 134 Millionen steigen, primär weil der Kanton neu in den Topf für Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (Fabi) des Bundes einzahlen muss. Natürlich handelt es sich bei diesem Betrag auch um Geld für den öV. Aber es ist nicht einzusehen, weshalb ausgerechnet der ZVV darunter leiden soll, dass die Stimmberechtigten Fabi zugestimmt haben. Wie auch immer: Bloss zwei Monate später haben die Bürgerlichen ihre Sparpläne offenbar bereits wieder vergessen – und den 711-Millionen-Franken-Kredit für den ZVV ungekürzt gutgeheissen.

 

So sieht also die «verantwortungsvolle Politik der Bürgerlichen» aus, mit der sie in Wahlkämpfen zu werben pflegen?

Es handelt sich tatsächlich um ein frappantes Beispiel, und ich kann meinen Fraktionskollegen Ruedi Lais gut verstehen, der sich in jener Kantonsratssitzung über die «heuchlerische Politik» der Bürgerlichen aufregte. Das Beispiel zeigt aber auch exemplarisch, wie die Debatte über die konsolidierte Entwicklungs- und Finanzplanung (KEF) abgelaufen ist: Die Bürgerlichen brachten ihre Anträge durch, dass ab sofort pauschal in jenen zehn Leistungsgruppen gespart werden müsse, in denen bis 2019 der grösste Kostenanstieg zu erwarten ist, was ohne Gesetzesänderungen gar nicht geht. Zudem ist damit noch kein einziger konkreter Sparvorschlag gemacht, und überdies hat es die die Bürgerlichen, wie gesagt, nicht daran gehindert, den eigenen Vorschlag mit dem Ja zum ZVV-Kredit postwendend wieder aufzuheben.

 

Umgekehrt lässt das ja hoffen, dass nicht nur der ZVV ungeschoren davonkommt…

Dieser Fall war insofern speziell, als es sich um einen Rahmenkredit handelte. Geht es dereinst zum Beispiel um die Spitäler, wird sich zeigen, was die Bürgerlichen tatsächlich unter ‹Sparen› verstehen. Fest steht bis jetzt nur, dass sie sich zurückzuhalten pflegen, wenn ihre eigene Klientel betroffen wäre.

 

Zum Beispiel?

Als es letztes Jahr darum ging, den Beitrag an die Zurich Greater Area zu erneuern, waren die Bürgerlichen sofort dazu bereit. Kein Wunder: In der jüngsten Ausgabe der mit Steuergeldern mitfinanzierten Publikation dieser Vereinigung war beispielsweise zu lesen, wegen der Unternehmenssteuerreform III müsse der Kanton Zürich die Unternehmenssteuern senken. Das kann man natürlich so sehen – aber es ist kein Fakt, sondern eine politische Einschätzung der mit dieser Vereinigung verbandelten Bürgerlichen.

 

Wo wird der Regierungsrat das Messer ansetzen, wenn die Resultate der «Leistungsüberprüfung 2016» vorliegen?

Fest steht bisher lediglich, dass die Bürgerlichen das Wahlversprechen abgegeben haben, die ‹Sanierung› ohne Steuererhöhung durchzuziehen. Das ist aber ohne massiven Leistungsabbau nicht zu haben, und zwar selbst dann, wenn man die Unternehmenssteuerreform III völlig ausklammert, die allein einen zusätzlichen Ausfall in der Grössenordnung von 300 Millionen Franken verursachen dürfte. Die Bürgerlichen lassen sich davon bisher allerdings nicht beirren und streben wohl die Senkung der Unternehmenssteuern an, auch wenn das in der aktuellen Finanzsituation des Kantons völlig schief in der Landschaft liegen würde. Sollten sie diesen Weg einschlagen, fehlte anderswo noch mehr Geld, beispielsweise im Sozialbereich. Sie sind aber offensichtlich überzeugt, dass ihre Klientel davon nicht betroffen und das Ganze darum auch kein Problem wäre.

 

Vielleicht haben sie ja recht.

Mag – was ihre Klientel angeht – sein, aber das ändert nichts daran, dass sie völlig ausblenden, dass die Unternehmen unverzichtbar vom Staat profitieren, insbesondere davon, dass dieser den Unternehmen und ihren MitarbeiterInnen die Infrastruktur zur Verfügung stellt, worauf diese, wie wir alle, angewiesen sind.

 

Auch die Infrastruktur lässt sich mit weniger Mitteln im Schuss halten, sagen sie.

Ich bin überhaupt nicht der Meinung, der Staatshaushalt sei unantastbar. Bürokratie hat keine Parteifarbe, und Doppelspurigkeiten bringen nichts. Es steht auch nirgends geschrieben, dass der Staat eine Aufgabe stets mit unverhältnismässigem Aufwand lösen muss. Wenn es darum geht, solches zu eliminieren, habe ich nichts dagegen. Aber ich wehre mich gegen Leistungsabbau und dagegen, beim Staatspersonal zu sparen.

 

Die Bürgerlichen sagen, das Staatspersonal profitiere nur schon wegen seiner «Jobs auf Lebenszeit» von viel besseren Bedingungen als die Angestellten in der Privatwirtschaft.

Die wenigsten bleiben in Zukunft dem Kanton so lang treu – unter anderem, weil der Kanton als Arbeitgeber insbesondere beim Thema Lohnentwicklung gegenüber der Privatwirtschaft ins Hintertreffen gerät. Damit mangelt es auch an Anreizen, das Wissen der Mitarbeitenden beim Kanton zu halten, was sich wiederum auf die Qualität auswirken kann. Zudem vergessen die Bürgerlichen gern, dass die Kantonsangestellten nicht nur Geld kosten, sondern auch Steuern zahlen.

 

Der Kanton ist als Arbeitgeber bloss Durchschnitt?

Er sollte sich öfter mit der Privatwirtschaft vergleichen: Was verdient jemand mit einer bestimmten Ausbildung beim Kanton, was in der Privatwirtschaft? Dieser Vergleich würde aufdecken, dass gerade die besser gebildeten ArbeitnehmerInnen beim Kanton schlechter fahren als in der Privatwirtschaft. Zudem kommen aufs Zürcher Personal sowieso schon unschöne Zeiten zu, Stichwort BVK. Im Rahmen der Leistungsüberprüfung auch die Löhne ins Visier zu nehmen, ist deshalb gar keine gute Idee.

 

In welche Richtung soll sich denn der klamme Kanton Zürich Ihrer Meinung nach entwickeln?

Das Ziel muss ein starker Kanton Zürich sein, ein Kanton, in dem die beschränkten Mittel effizient eingesetzt werden.

 

Mit Verlaub: Das könnte auch ein FDP-ler sagen.

Von einem starken Kanton würde er kaum reden…

 

… aber es sagt auch keiner, er wolle die Mittel ineffizient einsetzen: Was würden Sie konkret machen, um die Effizienz zu verbessern?

Wenn man beispielsweise zusätzliche Angebote schafft wie die Möglichkeit, dass auch juristische Personen die Formulare für die Steuererklärung online beziehen und ausfüllen können, dann braucht man ihnen nicht den ganzen Papierkram auch noch per Post zu schicken und die Übung dadurch künstlich zu verteuern. Kurz: Wird etwas Neues eingeführt, kann man dafür etwas Altes streichen. Kritisch zu hinterfragen ist zudem der künstliche Wettbewerb, der uns vor allem viel Geld kostet. Wenn man beispielsweise von den Regionalspitälern verlangt, sich gegenseitig zu konkurrenzieren, muss man sich nicht wundern, wenn jedes dieser Spitäler sein eigenes teures MRI-Gerät anschafft und es dann auch amortisieren will.

 

Ein bisschen weniger Papierkram schenkt kaum ein: Wo würden Sie sonst noch sparen?

Bei der Landwirtschaft beispielsweise engagiert sich der Bund schon sehr stark. Da könnte sich der Kanton zurücknehmen.

 

Auch unter den Linken und Grünen hat es Bauern: Was halten die von dieser Idee?

Sie befürchten, dann könnte es den ökologischen Ausgleichszahlungen an den Kragen gehen, und sind darum nicht erfreut. Doch wir müssen überall genau hinschauen. Vor allem aber muss auch einnahmenseitig etwas passieren, sonst kann die Rechnung nicht aufgehen.

 

Wie geht es nun weiter – was sind die nächsten Schritte?

Die Leistungsüberprüfung im Frühling wird zuerst die zehn Leistungsgruppen betreffen, in denen die Kosten am stärksten ansteigen, aber es ist jetzt schon klar, dass die Massnahmen, die der Regierungsrat dort treffen wird, nicht ausreichen werden – das sagt er in seinem Budgetentwurf ja selbst. Aber darüber, wo genau beispielsweise die in der Bildung einzusparenden 49 Millionen Franken abgezwackt werden sollen, darüber will zurzeit niemand reden; alle schleichen wie die sprichwörtliche Katze um den heissen Brei herum. Fest steht, dass einige mögliche Sparmassnahmen gesetzliche Änderungen nötig machen würden, und es ist keineswegs sicher, dass die Stimmberechtigten sie gutheissen. Stehen beispielsweise in den Schulen weniger Fächer oder grössere Klassen zur Diskussion oder generelle Sparmassnahmen beim Personal, ist offen, ob dies an der Urne goutiert wird, umso weniger, wenn gleichzeitig die Unternehmenssteuern gesenkt würden.

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