Nehmt das!
Der Eidgenosse geht um. Er ist zwar gemäss Duden die Bezeichnung für einen Staatsbürger der Schweiz, aber der, der umgeht, der meint etwas Anderes, nämlich das Gegenstück zu all jenen, die nicht belegen können, dass nichts als reinstes Schweizer Blut durch ihre Adern fliesst. «Ich bin Eidgenosse, nicht Schweizer. Denn Schweizer kann jeder werden», singt es aus rechtsnationalen Kehlen. Wäre er dort geblieben, weit rechts der Mitte, man könnte ihn getrost lassen und ignorieren. Aber er hat sich etwas unschön ausgebreitet und ging, so kann ich es mindestens in einem Fall beweisen, sogar über die Grenze, was ja an sich schon bemerkenswert ist. In meinen Ferien im Ausland sass er wie wir in einem Restaurant in einem sehr vergessenen Dorf. Er sass dort in Form eines heruntergekommenen Ehepaars, das ich zuerst als Auswanderer einstufte. Was mich durchaus betrübte, weil ich ja selber Auswanderungsfantasien pflege, in denen ich mich eher mit frischem Teint und einem Glas Weisswein am Meer sitzend sehe und weniger mit aschgrauem Gesicht kettenrauchend über zwei Bieren hängend. Wie auch immer, die beiden sprachen uns an, auf Schweizerdeutsch, und ich sagte: «Ah, Sie sind auch Schweizer.» «Nein», meinte der Mann, «wir sind Eidgenossen». Keine Papierlischweizer, sie seien richtige Schweizer. Heil dir Helvetia, dachte ich, wenn das die richtigen Schweizer sind, dann müsste man das mit dem Auswandern allenfalls beschleunigen.
Die SVP spricht gerne von der Eidgenossenschaft, nicht von der Schweiz, und die PNOS ist die Partei der Eidgenossen, versteht sich. Vor drei Jahren schrieb die NZZ über das Aufkommen dieses Begriffs. Sie hielt fest, er werde hauptsächlich im rechtsextremen und nationalistischen Kontext verwendet. Aber das ist vorbei, scheint mir. Letzte Woche im Radio, es ging um Arbeit statt Sozialhilfe für Flüchtlinge, meldete sich eine Hörerin, die sich sorgte, dass die Eidgenossen so aufs Sozialamt geschickt würden. In der ‹Arena› sass er auf der Zuschauerbank, er sagt Ja zur DSI, weil der Eidgenosse sonst in noch grösserer Unsicherheit leben müsse. Er ist angekommen in unseren Stuben. Er gedieh etwas zu gut auf dem braunen Acker unseres Landes, und da ist er nun, gedüngt von zahlreichen Abstimmungen über und vor allem gegen das Fremde. Er versteckt sich nicht mehr unter leicht minderbemittelten Glatzen, sondern schwellt stolz die Brust all jener, die sich ‹echte› Schweizer nennen und so tun, als hätte diese Bezeichnung einen rechtlichen Status und nicht nur die Funktion, Minderwertigkeitsgefühle zu übertünchen.
Aber item. Ich habe nämlich eine schlechte Nachricht für euch. Für euch, die ihr Sympathisantinnen und Sympathisanten oder Mitglieder der SVP oder einer anderen rechten Partei seid, die ihr jemals Ja gesagt habt zu einer dieser fremdenfeindlichen Initiativen oder auch einfach mal nur ein Zeichen setzen wolltet oder im Begriff seid, dies in Zukunft einmal noch zu tun. Hört her, sage ich euch, denn hier spricht eine Eidgenossin. Oder besser euer eidgenössischer Albtraum. Ich bin eine Mischung aus Emmental und Innerschweiz. Ein pensionierter Verwandter machte sich einmal die Mühe, stieg in die Archive und fand: nichts. Nichts als Schweiz. Und zu allem Übel wurde ich vor 40 Jahren an einem 1. August geboren, und das muss mir dann einer von euch erst mal nachmachen.
Wenn ihr also künftig am Nationalfeiertag eine Rakete zündet und der Cervelat auf dem Grill in eurem Gärtli zischt, dann denkt an mich. An mich und meinesgleichen, denn was uns zusammenhält, ist nicht ein krankes Blut-und-Boden-Konstrukt, sondern eine Bande, die stärker ist als jeder Stammbaum. Es ist die Überzeugung, dass unser Land nicht aus ‹Eidgenossen›, sondern aus Menschen bestehen muss, ganz egal woher sie kommen und was ihr Status ist. Aus Menschen, die keine Zweiklassengesellschaft wollen und keine Abschottung. Sondern ein Land, das seine Geschichte fortschreibt durch Menschlichkeit und Grosszügigkeit. Ich und meinesgleichen, das sind mehr als ihr. Nehmt das!