Antisäkularer Obskurantismus

Die katholische Kirche hat ein Problem. Gewisse Privatschulen haben ein Problem. Im Dunkel ihrer undurchdringlich gehaltenen Strukturen beuten sie ihre Schützlinge unter dem Deckmantel der Hege und Pflege sexuell aus oder unterwerfen sie demütigenden Züchtigungen. Praktiken kommen ans Licht, die man in unserer Gesellschaft mit ihrem säkularen und aufgeklärten Selbstverständnis für lange ausgerottet hielt – sofern man nicht selbst davon betroffen war. Dank einer Studie von beherzten und unerschrockenen Menschen, die sich nicht scheuten, im modrigen Sumpf zu stochern und die Dinge beim Namen zu nennen, zeigt sich nun das beträchtliche Ausmass dieses Elends.

Es mag zutreffen, dass die betreffenden Privatschulen von den zuständigen kantonalen Kontrollorganen ungenügend beaufsichtigt wurden. Man möchte auf Marxens «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» zurückgreifen. Das mag im Falle von Privatschulen mit ihrer beschränkten Zahl funktionieren. Aber in der katholischen Kirche? Und in den Köpfen all jener Menschen, die immer noch oder neuerdings wieder ihren Glauben oder ihr quasireligiöses Weltbild über die Menschenrechte stellen? Man fühlt sich hierzulande ja gerne erhaben über den fundamentalistischen «Islamischen Staat», den man als primitiv verlacht. Dass unser Staat von der Kirche getrennt ist, bedeutet leider noch lange nicht, dass die Menschen im Grunde ihres Herzens säkular denken und fühlen.

Fast möchte man angesichts der ‹Weltwoche› meinen, man sei endgültig im postfaktischen Zeitalter angekommen. Meint der Köppel das ernst, wenn er sich ebenso heldenhaft wie larmoyant in die Bresche wirft und nun die katholische Kirche verteidigt, oder ist das nur zynische Effekthascherei? Er setzt die katholische Kirche mit dem Christentum gleich und nennt sie die «älteste, grösste und erfolgreichste Organisation der Welt», als hätte es Judentum (tausend Jahre älter), Inquisition und Reformation oder die Vereinten Nationen (7,5 Mia. Mitglieder) nie gegeben. Er stellt Pädophilie mit Homosexualität gleich und dichtet ausgerechnet die katholische Kirche mit ihrer elementaren Verquickung von religiöser und staatlicher Macht als Bollwerk für die «Freiheit von Staat» um. Er stellt «Missbrauch des Missbrauchs» fest, nennt die Vorwürfe «teils faktenfrei», erkennt einen «Kulturkampf gegen die katholische Kirche» und «die Konservativen» im Allgemeinen, der von einer «Woke-Pseudoreligion» ausgehe, die der ganzen Welt das Korsett ihrer Ideologie aufzwinge.

Ich zweifle, ob ich jemals einen derberen antisäkularen, ahistorischen, obskurantistischen und «faktenfreien» Quatsch gelesen habe – der sich auch noch Journalismus schimpft. Wie sagte noch Kant, Vordenker der Aufklärung: «Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit Publizität verträgt, sind unrecht.» Und vor allem, mit seinem kategorischen Imperativ: «Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.» Und ausgerechnet ein Publizist möchte vertuschtes Verbrechen an Schutzbefohlenen lieber unbenannt lassen! Neben wirksameren Kontrollen in den Privatschulen wünsche ich mir in der Volksschule weniger utilitaristische Konformität mit bürgerlichem Wirtschaftsdenken, dafür aber mehr Mut zur Ethik und vertieftes historisches Bewusstsein.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.