Am Arsch

Der Rumäne Radu Jude ist kein Unterhaltungsfilmer, sondern eine regelrechte Nervensäge, die den Finger auf die Wunde hält.

Angela (Ilinca Manolache) kämpft sich als unabhängige junge Frau im heutigen Bukarest durchs Leben. Sie ist zeitgleich Uber-Chauffeurin, Castingscout für eine lokale Filmproduktionsfirma und jederzeit verfügbares Laufmädel für alle sonst noch anfallenden Arbeiten und Botengänge, die durch die Just-in-Time-Planung alias Chaos der deutschen Muttergesellschaft des Auftraggebers «Forbidden Planet» immer wieder überfallartig nötig werden. Zum Ausgleich dreht sie als Bruder Bobita ätzend vulgäre, sexistische, rassistische und menschenverachtende Instagramstories, in denen die sichtlich computergenerierte männliche Maske ihrer Figur ein omnipotentes Alphadasein vorexerziert. Insgeheim ist sie vor allem eins: wütend. «Do not expect too much from the end of the world» ist ein Abgesang auf jede Hoffnung. In weichgezeichnetem 1970er-Jahre-Filmstil schneidet Radu Jude eine nachgerade idyllisch wirkende Tageshandlung einer Taxifahrerin in der ach so glorifzierbaren Ceaucescu-Diktatur zum Kontrast mit in die Wiedergabe des heutigen Daseins seiner Figur. Angela abgebrüht zu nennen, wäre eine kolossale Untertreibung. Sie ist längst zynisch geworden und hat als einziges Überlebensmotto nach oben buckeln und nach unten treten verinnerlicht, selbst wenn sie dieses mit reichlich Sarkasmusaufstrich serviert. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, Probeaufnahmen von verunglückten Arbeiter:innen der deutschen Firma zu drehen und sie zur finalen Aussage einer Mahnung zu motivieren, die Arbeiter:innen sollten die Schutzvorkehrungen befolgen, um nicht wie das sich vor der Kamera abmühende abschreckende Beispiel im Rollstuhl zu enden. Kurz vor dem imaginierten Feierabend ihres überlangen Tages findet sie noch kurze Minuten für einen Quickie im Auto, bevor sie die Delegierte aus Deutschland, eine natürlich vom Dichter abstammende Doris Goethe (Nina Hoss) auch noch quer durch die Stadt bis zum Nobelhotel kutschieren darf. Augenscheinlich ist alles an diesem Film krass überspitzt und zeitgleich im Tonfall von einem ungeheuren Ernst. Was sich bei Angela hinter dem dicken Panzer ihrer Kaltschnäuzigkeit wirklich abspielt, bleibt im Verborgenen, was es ungemein erschwert, sie einseitig als entweder Opfer oder dann (Mit-)Täterin in ein emotionales Koordinatensystem einreihen zu wollen. Klar indes wird eindeutig, hier einem Rädchen im System beim Drehen beizuwohnen, das Schmerz wegsteckt, als wärs nix und das Denken ausgeschaltet hat, weils nur hinderlich wäre.

«Do not expect too much from the end of the world» spielt im Filmpodium und im Kino Cameo, Winterthur.

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