«Als Finanzvorstand muss ich immer bellen, wenn jemand Geld will»

Eigentlich könnte er sich mit gutem Gewissen zur Ruhe setzen, doch Regierungspräsident und Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP), Jahrgang 1955, ist gern Regierungsrat und stellt sich für eine weitere Amtszeit zur Verfügung.

 

Hat Regierungspräsident Ernst Stocker schlicht «kä Luscht», endlich mal freie Zeit zu geniessen und mit den Enkeln zu spielen? «Im Gegenteil, das mache ich bereits, und ich helfe auch gern meinem Sohn auf dem Hof», stellt der Meisterlandwirt klar. Aber manchmal «kommt es anders, als man denkt»: Seine Partei habe ihn gebeten, nochmals anzutreten, und er sagte zu, nach «intensiver Besprechung» mit seiner Frau und seiner Familie. Reiner Gehorsam gegenüber der Partei, sonst nichts? «Ich bin grundsätzlich gern Regierungsrat, und ich darf eine gute Direktion mit sehr guten Leuten führen», stellt Ernst Stocker klar. Als Präsident der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz und Vizepräsident der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) habe er zudem ein gutes Netzwerk.

 

Macht es ihm keine Sorgen, dass es in der SVP des Kantons Zürich offenbar niemanden gibt, der oder die Regierungsrat beziehungsweise Regierungsrätin werden möchte? Es habe durchaus InteressentInnen gegeben, mit denen er auch Gespräche geführt habe: «Ich wollte nicht, dass es plötzlich heisst, ich würde den Jungen vor der Sonne stehen. Doch sie baten mich, noch zu bleiben.»

 

Steuern rauf oder runter?

Immer mal wieder ist, insbesondere bei der FDP, zu hören, im Kanton Zürich würden «Steuern auf Vorrat» erhoben. Ja mehr noch: Der Finanzdirektor sträube sich gegen eine zehnprozentige Steuersenkung, obwohl sie aus Sicht der FDP offenbar ebenso problemlos möglich wäre wie geringere Steuern für GutverdienerInnen – frei nach dem Motto, tiefere Steuern für Reiche gleich unterm Strich mehr Steuergelder. Ernst Stocker schüttelt den Kopf: «Ich weiss nicht, auf welche Eckwerte sich die VerfechterInnen einer solchen Steuersenkung stützen. Aufgrund meiner Zahlen ist sie zurzeit kein Thema.» Im Gespräch mit P.S., das vor der Beratung des Budgets 2023 stattfand, erinnert er sich an die letztjährige Debatte: «Alle haben dem Budget 2022 zugestimmt. Dabei hiess es damals, es sei wegen Corona zu optimistisch.» Er erinnert sich gut daran, woran das lag: «Vor zweieinhalb Jahren ging es der Gastrobranche wegen der Pandemie mies, viele Angestellte wurden entlassen, Lehrlinge standen plötzlich ohne Lehrbetrieb da. Heute haben wir eine rekordtiefe Arbeitslosigkeit von 1,6 Prozent, und es geht uns viel besser.» Dafür habe es während der Corona-Krise umfangreiche Massnahmen gebraucht, insbesondere die Kurzarbeit. Aber auch die Tatsache, dass die Nationalbank sechs Milliarden Franken an Bund und Kantone ausschüttete, habe dem Kanton und seinem Haushalt geholfen. Über die letzten Jahre hinweg sei der Abschluss stets besser gewesen als das Budget, fügt er an, alles zusammengenommen wurden Überschüsse von über drei Milliarden Franken geschrieben. Die jüngste Phase hoher Investitionen habe der Kanton gemeistert, ohne sich verschulden zu müssen. Gleichzeitig sei es auch noch gelungen, eine Milliarde Franken Schulden abzubauen.

 

Kurz, hat Ernst Stocker die Kasse zu gut im Griff? Budgetiert er gar absichtlich zu zurückhaltend, damit es so aussieht, als reiche das Geld nicht für linke Anliegen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie beim Umweltschutz? Diesen Vorwurf machte ihm jedenfalls die linke Ratsseite bei der Beratung des Budgets 2023 (siehe auch P.S. vom 16. Dezember). Darauf angesprochen, schickt Selma L’Orange Seigo, Kantonsrätin und Co-Präsidentin der Grünen Kanton Zürich, voraus, Ernst Stocker mache «grundsätzlich einen guten Job» und sei «ein angenehmer Mensch». Doch er sei eben auch ein «notorischer Schwarzmaler», der in den letzten Jahren stets sehr konservativ budgetiert und damit allfälligen Wünschen im Sozial- oder Umweltbereich quasi präventiv den Wind aus den Segeln genommen habe: «Er stellt es jeweils so dar, als wären wir so knapp bei Kasse, dass es für keine weiteren Ausgaben reicht. Gleichzeitig hat der Kantonsrat aber letzte Woche im Finanzplan für 2024 eine Steuersenkung eingeplant. Das kann es doch nicht sein!», stellt sie klar.

 

«Alle sind neidisch auf uns»

Ernst Stocker sei das «Alphatier» in der Regierung, aber nicht machtbewusst, heisst es. Steckt dahinter die «natürliche Erdung» des Meisterlandwirts? Oder ist er zu sehr auf Harmonie bedacht, um sich in den Vordergrund zu spielen? «Ich habe im Regierungsrat eine Stimme, genau wie alle anderen», stellt er klar, «und auch als Amtsältester bin ich letztlich einer von sieben Regierungsrät­Innen.» Natürlich gebe es Ausmarchungen, jede und jeder habe eine politische Meinung, mal gewännen die einen und mal die anderen, «aber es geht stets um die Sache». In einem zerstrittenen Gremium könne man nicht arbeiten, man müsse sich zusammenraufen, unterschiedliche Meinungen hin oder her, ist er überzeugt.

 

Wie alle Exekutivmitglieder ist Ernst Stocker bisweilen im Konflikt mit ‹seiner› Fraktion. Damit hat er kein Problem: «Ich gehe immer an die Fraktionssitzung. Dass ich als Exekutivmitglied eine andere Rolle habe, wird akzeptiert.» Also doch harmoniesüchtig? «Als Finanzvorstand muss ich immer bellen, wenn jemand Geld will, wie ein Hofhund», sagt er. «Aber statt Streit anzufangen, diskutiere ich die Sache lieber aus mit jenen, die Geld wollen.» Anders als gewisse Exponent­Innen des bürgerlichen Lagers scheint Ernst Stocker auch keinen Hass auf die Stadt Zürich zu haben. Dafür gebe es schlicht keinen Grund, findet er: «Zürich ist eine wunderbare Stadt, auf die ich stolz bin.» Das hindert ihn allerdings nicht daran, sich bisweilen zu fragen, ob der Zürcher Gemeinderat «wirklich abbildet, was die Bevölkerung bewegt».

 

Er selber möchte in der kommenden Legislatur die Finanzen des Kantons in eine gute Richtung lenken und generell die Geschicke des «wunderbaren» Kantons Zürich mitgestalten: «Wir sind uns dessen vielleicht zu wenig bewusst, aber alle sind ein bisschen neidisch auf uns.» Da muss einer wie Ernst Stocker natürlich weitermachen…

 

Regierungsratswahlen 2023

Mit dieser Porträtreihe stellen wir bis Anfang Februar die bisherigen und die neuantretenden RegierungsratskandidatInnen vor: diese Woche Ernst Stocker (SVP, bisher). Erschienen im P.S. vom 23.12.2022.

 

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