Keine Sackgasse, aber viele Fragen

Der Zürcher Gemeinderat hat die Abgangsentschädigungen für unter anderen Stadträte und Schulpräsidentinnen stark gekürzt. Den Vertrag für das geplante Grossprojekt der SBB mit 375 Wohnungen an der Neugasse nahm der Rat nach heftiger Debatte zur Kenntnis.

 

Gross war die Empörung, als letztes Jahr bekannt wurde, dass der zurücktretende Schulpräsident Roberto Rodriguez (SP) eine Abgangsentschädigung von 650 000 Franken erhalte, obwohl er bereits einen neuen Job hatte. Was damals etwas unterging: Das Geld stand Roberto Rodriguez zu, weil es in der entsprechenden Verordnung so geregelt war – und das Parlament hätte diese längst ändern können, wenn es ihm denn wichtig genug gewesen wäre. An seiner Sitzung vom Mittwoch beriet der Gemeinderat nun über eine Teilrevision der Verordnung über Abgangsleistungen für Behördenmitglieder. Sie gilt aktuell unter anderem für die Mitglieder des Stadtrats, für Ombudsmann/frau, Stadtamtsfrauen und -männer oder FriedensrichterInnen, total 36 Personen.

 

Nur für StadträtInnen

Wie Kommissionssprecher Luca Maggi (Grüne) ausführte, sollen die Entschädigungen die Risiken einer Abwahl abfedern. Deren Höhe ist abhängig vom Alter: Bis 50 sei eine berufliche Neuorientierung «zumutbar», weshalb die Entschädigung dann geringer ist. Am meisten erhalten jene, die mit 54 bis 56 Jahren nicht wiedergewählt werden: Bei unfreiwilligem Abgang nach vier und mehr, aber weniger als acht Amtsjahren sind es neu 1,5 Jahresbruttolöhne, nach acht und mehr Amtsjahren 1,8 Jahresbruttolöhne (gemäss aktueller Verordnung sind es maximal 4 bzw. 4,8 Jahresbruttolöhne, gemäss Vorlage des Stadtrats wären es neu 2,5 bzw. 2,8 gewesen. Nun als Sprecher der Grünen fügte Luca Maggi an, seine Fraktion unterstütze die Vorlage und natürlich auch die Begleitmotion, mit dem er und sein Fraktionskollege Roland Hurschler verlangten, dass die Verordnung nur noch für die Mitglieder des Stadtrats gelten solle.

 

Martin Götzl (SVP) begründete die Ablehnung seiner Fraktion insbesondere mit der hängigen Volksinitiative seiner Partei, mit der sie verlangt, dass nur StadträtInnen und nur bei unfreiwilligem Abgang eine Entschädigung von maximal zwölf Monatsgehältern erhalten sollen. In der Debatte sprach Isabel Garcia (GLP) von einem «sehr guten Kompromiss», während Hans Dellenbach (FDP) der SVP nahelegte, ihre Initiative zurückzuziehen, da sie erfüllt sei. Dass es gar keine Entschädigung mehr geben soll, wenn jemand freiwillig mit vier und mehr, aber weniger als acht Amtsjahren ausscheidet, ging Ernst Danner (EVP) zu weit: Man brauche nicht «kleinlich» zu sein, befand er, sei man doch von den «goldenen Fallschirmen der Wirtschaft so oder so weit entfernt». Dem schloss sich die AL an, auch wenn sie ansonsten die Vorlage und die Motion unterstütze, wie Patrik Maillard ausführte. Die beiden ‹Kleinen› unterlagen jedoch mit 12:105 Stimmen bei einer Enthaltung, während die künftige Gültigkeit nur noch für StadträtInnen mangels Gegenantrags stillschweigend durchkam. Die bereinigte Vorlage geht nun an die Redaktionskommission, die Schlussabstimmung erfolgt in ein paar Wochen.

 

Für Volksinitiative und Vertrag

Das Hauptgeschäft des Abends war die Vorlage zur Neugasse: Zur Debatte stand einerseits die Volksinitiative «Eine Europaallee ist genung – jetzt Areal Neugasse kaufen», die der Stadtrat für ungültig erklärt haben wollte. Andererseits beantragte der Stadtrat dem Gemeinderat, den Vertrag zwischen Stadtrat und SBB für das auf dem Neugasse-Areal geplante Grossprojekt mit 375 Wohnungen (vgl. P.S. vom 21. Januar) «zustimmend zur Kenntnis» zu nehmen. Gross war auch der Aufwand, den die AL betrieb, indem sie vor der Halle 9 eine riesige, aufblasbare Krake installierte, quasi als Symbol für das Verhalten der SBB an der Europaallee, wo es bekanntlich keine gemeinnützigen Wohnungen gibt, sondern solche, die man sich mit normalen Löhnen nicht leisten kann.

 

Kommissionssprecher Hans Dellenbach (FDP) erinnerte daran, dass die Volksinitiative bereits 2018 in Form einer allgemeinen Anregung eingereicht worden sei und der Stadtrat daraufhin bei den SBB angefragt habe, ob sie etwas verkaufen bzw. im Baurecht überlassen wolle. Die SBB hätten geantwortet, für sie komme weder ein vollständiger Verkauf noch eine vollständige Abgabe im Baurecht infrage, doch sie wären bereit, die Hälfte des Arealteils in der Industriezone an Genossenschaften und die Stadt im Baurecht abzugeben sowie selber einen Drittel gemeinnütziger Wohnungen sowie zusätzlich die Hälfte preislich limitierte Wohnungen zu bauen. Daraufhin beantragte der Stadtrat dem Gemeinderat, die Volksinitiative für ungültig zu erklären. Im April 2019 wies der Gemeinderat dies jedoch zurück und verlangte die Gültigerklärung sowie eine Umsetzungsvorlage mit mindestens 50 Prozent gemeinnützigen Wohnungen, und zwar «mit einer glasklaren Mehrheit von 70:37», wie Luca Maggi (Grüne) betonte. Diese «deutliche Entscheidung» scheine der Stadtrat nicht zu akzeptieren, was «unverständlich» sei. Jetzt für die Minderheit hielt Hans Dellenbach entgegen, die Initiative sei nun mal ungültig, und zwar ganz einfach deswegen, weil sie «offensichtlich undurchführbar» sei, sprich, sich schlicht nicht umsetzen lasse. Man könne die SBB nicht zwingen, zu verkaufen.

 

Als Sprecher des Initiativkomitees trat sodann mit dem ehemaligen AL-Gemeinderat Niggi Scherr ein alter Bekannter ans Rednerpult. Er führte aus, seit dem Jahr 2000 seien in Zürich zehn Überbauungen auf SBB-Arealen erfolgt, und auf acht davon seien die Mieten «im obersten Segment». Dieses «Missverhältnis» wolle die Initiative korrigieren, und würde sie angenommen, würden die SBB einen Verkauf kaum «kommentarlos ablehnen». Er erklärte weiter, dass die InitiantInnen im Jahr 2020 mehrere Gespräche mit den SBB geführt hätten und deshalb abschätzen könnten, «was möglich ist». Die Bedenken der SP seien «nachvollziehbar», doch mit ihrem Vorschlag für 40 Prozent gemeinnützige Wohnungen riskiere sie den Absturz des Vertrags. Gescheiter wäre es, wenn der Rat Hand böte zum Vertrag als «indirektem Gegenvorschlag», meinte er.

 

Die Bürgerlichen stellten sich, teils mit harscher Kritik an Links-Grün, auf die Seite des Stadtrats, die SP verteidigte ihren 40-Prozent-«Kompromiss». Schliesslich erklärte der Rat die Volksinitiative mit 66:51 Stimmen für gültig, und weil sich niemand für den SP-Kompromiss erwärmen konnte, kam auch die Zustimmunng zum Vertrag zwischen SBB und Stadt zustande. Wie es weitergeht, ist somit offen: Kommt die Volksinitiative an die Urne, müssen sich die Stimmberechtigten zwischen einem Landkauf entscheiden, von dem keineswegs sicher ist, dass er tatsächlich zustande kommt, und einem nicht als solchen deklarierten Gegenvorschlag in Form des Vertrages zwischen Stadt und SBB, der immerhin 375 gemeinnützige bis zahlbare Wohnungen verspricht. Ob sie in dieser Situation tatsächlich lieber die Taube auf dem Dach wählen als den Spatz in der Hand, ist zumindest fraglich.

 

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