Weinende Männer und traktorfahrende Frauen

Mädchen mögen rosa, Jungen nicht. Während Mädchen brav und ruhig sind, kämpfen Jungen lebhaft. Diese und weitere Geschlechterstereotypen beleuchtet und hinterfragt die Ausstellung «Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle» der Stadt Zürich noch bis am 25. November und eröffnet so neue Welten der Geschlechterwahrnehmung.

 

Julian Büchler

 

Vorstellungen, wie Mädchen und Jungen, aber auch Männer und Frauen zu ‹sein› haben, haben sich fest in unseren Köpfen verankert. Unbewusst bewerten wir Aussehen, Verhalten und Vorlieben vor dem Hintergrund des Geschlechts. Unbewusst solange, bis unser Gegenüber nicht mehr ins Schema passt und uns irritiert.

 

Wie reagieren wir beispielsweise auf weinende Männer? Und was ist mit traktorfahrenden Frauen? Was, wenn uns die Einteilung zu Mann oder Frau nicht gelingt? Untypisches lässt unsere Gesellschaft aufwecken. Viele äussern sich zwar wohlwollend oder gar erfreut, trotzdem wird das Untypische zum Thema.

 

Orientierung zulasten von Vorurteilen

Geschlechterstereotypen dienen uns der allgemeinen Orientierung. Durch sie strukturieren und kategorisieren wir unsere vielfältige Gesellschaft, fördern auf der anderen Seite jedoch die Vorurteile. Sehen wir beispielsweise ein Neugeborenes, ist die erste Frage, mit der sich die frisch gebackenen Eltern konfrontiert sehen oft: «Ist es ein Mädchen oder ein Junge?» Mädchen werden anschliessend in den meisten Fällen als «süss», «klein» und «hübsch» bezeichnet, währenddessen der ähnlich aussehende Junge als «kräftig», «gross» und «lebhaft» beschrieben wird.

 

14 Schatztruhen verstecken sich zwischen Bücherreihen und Lesesesseln zurzeit in der Pestalozzi-Bibliothek an der Zähringerstrasse, welche die Kinder auf spielerische Art und Weise dem Thema der Geschlechterstereotypen und Geschlechtsidentität näherbringen sollen. Beim «Berufs-Memory» ergeben jeweils die beiden Kärtchen ein Paar, auf denen der gleiche Beruf einmal von einem Mann und einmal von einer Frau ausgeübt wird. Die Kinder lernen so, dass es durchaus auch Mechanikerinnen und Frisöre gibt.

 

Das Puzzle bei der Schatztruhe «Wem gehört dieser Kopf» zeigt eine Person auf einem schnellen Töff und eine zweite zusammen mit einem winkenden Kind. Die Köpfe, einmal von einem Mann und einmal von einer Frau, haben bewusst die selbe Form, sodass sie ausgetauscht werden können. Mit dem Hinweis, die beiden Puzzleteile zu vertauschen, sollen die Kinder spielerisch lernen, dass auch die Mama mit dem Töff davonbrausen kann, während ihr der Papa mit dem Kind zuwinkt.

 

Ziel der Ausstellung sei es, den BesucherInnen aufzuzeigen, dass Geschlechterstereotypen uns überall im Alltag begleiten und vielfältige Auswirkungen haben, gerade wenn man aus diesen Rollen ausbricht, erklärt Anja Derungs, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich. Dies habe weitreichende Konsequenzen, beispielsweise bei der Berufswahl, bei der Arbeitsteilung und nicht zuletzt auch als Hindernis in der individuellen Entwicklung.

 

Stereotypen bereits als Dreijährige

Kinder bekommen bereits sehr früh ein Gefühl dafür, was ‹männlich› und was ‹weiblich› ist. Im Alter von zwei bis drei Jahren können sie sich und andere Personen dem Geschlecht zuordnen. Gleichzeitig entwickeln sie in diesem Zeitraum Vorlieben für Spielsachen und Aktivitäten. Vom Umfeld lernen sie, welche Verhaltensweisen für ihr Geschlecht von der Gesellschaft als ‹angemessen› empfunden werden. Das Umfeld und die Kinder untereinander schreiben sich aber auch aufgrund der verinnerlichten Geschlechtsstereotypen unterschiedliche Begabungen zu und werden dementsprechend anders gefördert. In unserer Gesellschaft hätten Mädchen und Jungen zwar die gleiche Schulbildung, trotzdem sei die geschlechtsspezifische Berufswahl sehr ausgeprägt. Frauen wählen statistisch gesehen typische Frauenberufe wie soziale Dienstleistungen oder Pflegearbeit, während Männer in typischen Männerberufen tätig sind. «Die Ausstellung ist unserer Erfahrung nach für Kinder der ersten und zweiten Klasse besonders ideal. Bereits in diesem Alter ist jedoch sichtbar, wie sich verschiedene Stereotypen in den Köpfen der Kinder festgesetzt haben, beispielsweise, dass Frauen nicht gut autofahren können oder Jungen besser in Mathematik sind», so die Expertin weiter.

 

«Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle?», bis 25.11., Pestalozzi-Bibliothek, Zährigerstrasse 17, Zürich.

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