Mehr Wien mit Ausrufezeichen

Wien gilt als lebenswerteste Stadt Europas. Ihre historischen Bemühungen um gemeinnützigen Wohnungsbau sind berühmt. Zur Inspiration und Diskussion lud die SP Zürich den Vizebürgermeister der Stadt ein.

 

von Tim Rüdiger

 

«Während sie in den 1980er- und 1990er-Jahren ihre kommunalen Wohnbauten verkauft haben, belächelten die anderen Städte Wien als naiv, retro oder langsam», sagte Michael Ludwig im Eingangsreferat der Veranstaltung «Mehr Wien für Zürich», die die SP Stadt Zürich im Rahmen ihrer Kampagne «Zürich. Offen. Anders» organisiert hatte. Ludwig ist als Vizebürgermeister verantwortlich für den Wohnungsbau in der österreichischen Hauptstadt. «Heute jedoch bereuen sie es bitter und beneiden uns um unsere bewahrte Handlungsfähigkeit.» Über sechzig Prozent der Wohnungen seien im Besitz der Stadt oder von Genossenschaften, und die Politik nehme direkt Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Trotz des grossen Wachstums der 1,8-Millionenstadt seien die Mieten kaum gestiegen und die Akzeptanz der aktiven Subventionspolitik sei in der Stadtbevölkerung gross. «Die hohe Anzahl geförderter Wohnungen wirkten preisdämpfend und marktstabilisierend.» Bis 2025 möchte Wien hunderttausend weitere gemeinnützige Wohneinheiten bauen, jede Woche würden rund 140 zum Bezug freigegeben.

 

Wiener Instrumente

Der kommunale Wohnungsbau in Wien sei die sozialdemokratische Antwort auf die prekäre Wohnsituation zur Zeit des Ersten Weltkriegs sowie später auf die grosse Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. «Es sollten aber nicht nur günstige Wohnungen geschaffen, sondern auch ein gemeinschaftliches Leben der Menschen ermöglicht werden», erklärte Ludwig die Philosophie dahinter. Die Wohnbaupolitik in der österreichischen Hauptstadt habe einige Besonderheiten: Neben dem sehr hohen Anteil sozial gebundener Wohnungen subventioniere Wien auch die Sanierung von privaten günstigen Mietwohnungen und unterstütze sogar sozial gebundene Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser. «Ganz wichtig ist für uns, dass bis in den Mittelstand möglichst viele Menschen Zugang zu den geförderten Wohnungen haben», so Ludwig. Wenn alle StadtbewohnerInnen das Gefühl hätten, profitieren zu können, erhöhe das auch die Akzeptanz. Während die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit durch die Besteuerung von Luxusgütern wie Sekt und Autos finanziert worden seien, kennt ganz Österreich für die Wohnbauförderung heute eine einprozentige Lohnabgabe. Davon erhalte die Hauptstadt jährlich 450 Millionen Euro, auf die sie noch einmal 150 Millionen drauflege.

Eine wichtige Säule der Wiener Wohnbaupolitik sei darüber hinaus eine aktive Grundstücksbevorratung. Die Stadt kauft mittels eines Fonds weit in die Zukunft hinaus noch nicht eingezonte Grundstücke in ihrem Entwicklungsgebiet. Nach der Einzonung gibt sie die Grundstücke meist im Baurecht an gemeinnützige Bauträger ab. «Der Fonds finanziert sich dadurch selbst. Die Stadt besitzt heute rund 2,8 Millionen Quadratmeter Land.»

 

Mehr Geld versus mehr Land

Mit «reinem Neid» blicke er auf Wien, sagte auf dem anschliessenden Podium Peter Schmid, Präsident der grössten Schweizer Baugenossenschaft ABZ. Darin waren sich die TeilnehmerInnen einig – nicht jedoch, worauf sich der Neid am meisten richtet: Thom Schlepfer, städtischer Finanzdepartementssekretär, war der Meinung, es mangle in Zürich an den finanziellen Mitteln für gemeinnützige Wohnungen. Dem widersprach SP-Nationalrätin Jacqueline Badran dezidiert: «Es gibt kein besseres Bankbüchlein als Land – und Land ist das Einzige, was uns fehlt.» Es sei ein Mythos, dass gemeinnütziger Wohnbau koste: «Erstens bleiben die Bodenwertsteigerungen im Volksvermögen. Zweitens spült es Baurechtszinsen in die Stadtkasse. Drittens ist jede Alternative für die Menschen teurer, da sie immer noch Gewinne finanzieren müssen. Auch wenn am Anfang bei gemeinnützigen Neubauten die Mieten teuer sein können, sind sie in einigen Jahren in jedem Fall tiefer als bei gewinnorientierten Wohnungen.»

Peter Schmid pflichtete ihr bei. Allerdings seien schlicht keine Areale mehr vorhanden, die die Stadt aufkaufen könnte. «Ich warte auf die nächste Immobilienkrise. Bei der letzten Ende der 90er Jahre hatten wir leider zu wenig Mut.» Badran wiederum wehrte sich gegen das Tabu, dass die Stadt auch aus dem Bestand kaufen könnte: «Kaufen wir der Mobimo AG das Labitzke-Areal wieder weg!»

Während sie sich dafür aussprach, gemeinnützige Wohnungen grundsätzlich für «ausnahmslos alle» zu öffnen («Einkommensmillionäre nisten sich ohnehin andernorts ein») und die Anforderungen für subventionierte Wohnungen per se in Frage stellte («subventioniert werden die Eigentumswohnungen der Privaten!»), wies Schmid darauf hin, dass es trotzdem wichtig sei, dass diejenigen Zugang zu günstigen Wohnungen hätten, die darauf angewiesen seien. Thom Schlepfer ergänzte, dass für die Subventionsanforderungen leider ohnehin nicht die Stadt, sondern der bürgerliche Kanton zuständig sei. – Lucky Wien: Die österreichische Hauptstadt ist auch eigenes Bundesland.

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