L’elite c’est moi

Wer ist eigentlich diese Elite, von der jetzt dauernd geredet wird? Das kann ich Ihnen einfach beantworten: Ich. Ich bins, l’elite c’est moi. Ich bin die städtische Schickeria, habe Soziologie studiert, bin Feministin, kaufe Biogemüse und mag keine rassistischen Witze. Ich wurde auch schon mit einem Prosecco gesichtet. Ich wohne in Wipkingen. Ich habe für die 2000-Watt-Gesellschaft gestimmt und bin dafür, dass Schwule und Lesben Kinder adoptieren dürfen. Ich bin also diese intellektuelle, städtische, kosmopolitische Elite, die Schuld ist am Aufstieg und Triumph von Donald Trump, Marine Le Pen und Christoph Blocher.

 

Mindestens könnte man es so verstehen, wenn man die Analysen der US-Wahlen verfolgte. Die Wahl sei ein Aufstand gegen das Establishment und die Eliten. Die Rache der Abgehängten und der Zukurzgekommenen. Die vormals demokratische (weisse) Arbeiterklasse, die von den Demokraten enttäuscht und von Trump abgeholt wurde. Um sie dreht sich ein grosser Teil der journalistischen und politischen Selbstgeisselung, die auch in der Schweiz mit Gusto betrieben wird.

Diese Diskussion ist allerdings weder neu noch spezifisch amerikanisch. Es ist tatsächlich so, dass ein Teil der ArbeiterInnen heute SVP wählt und nicht (mehr) die SP, die Republikaner und nicht mehr die Demokraten. Diese Veränderungen der Wählerschaft begannen allerdings schon in den 1960er- Jahren und haben viele Ursachen, die auch im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel liegen. Man muss und darf sich selbstkritisch fragen, warum das passiert ist und wie man das ändern könnte.

 

Leider ist die Diskussion im Moment in erster Linie selbstreferenziell. Ihr seid arrogant! Das werfen die Rechten der Linken vor und die Linken den Linksliberalen. Ihr versteht die Sorgen der (weissen) Arbeiterklasse nicht. Es gab vor und nach den Wahlen etliche Artikel, die genau diese Schicht und diese WählerInnen porträtierte und befragte. Die schwarze Arbeiterklasse kam nie zu dieser Ehre, so wie man in der Schweiz selten über die MigrantInnen schreibt, wenn es um den prototypischen ‹Büezer› geht. Letztlich werden diese WählerInnen aber oft als Projektionsfläche dafür benutzt, was man eigentlich schon immer findet. Die Rechten glauben, es sei eine Auflehnung gegen die politische Korrektheit, die Linken meinen, es ist ein Aufstand gegen das globale Kapital, gegen die Gier von Wall Street.

 

Allerdings bestehen die Wählerinnen und Wähler von Trump nicht nur aus jenen, deren Jobs durch Freihandelsverträge verloren gingen oder die durch die Desindustrialisierung im amerikanischen mittleren Westen betroffen sind. Die Mehrheit der Gutverdienenden und auch die Mehrheit der gut ausgebildeten Männer stimmte für Trump. Also jene, die vom heutigen Wirtschaftssystem profitieren. Nach der Lektüre von vielen Artikeln über Trump-Wähler (die ja letztlich auch herausgepickte Momentaufnahmen sind) fällt mir eine Gemeinsamkeit auf: Es sind Leute, denen es persönlich nicht so schlecht gehen muss, die aber der Meinung sind, dass sie hart arbeiten, aber staatliche Leistungen an jene gehen, die sie nicht verdient haben (Schwarze, Arbeitsscheue etc.) Und ja, es gibt natürlich den Hass auf die Eliten und das Establishment. Dabei ist aber nur eine Sorte von Elite gemeint: Nämlich die kulturelle Elite. Jene, die ich eingangs beschrieben habe. Nur gibt es eben noch eine andere, die wirtschaftliche Elite. Wie Peter Schneider im ‹Tages-Anzeiger› schreibt: «Die ‹kulturelle› Elite ist schlecht, die ökonomische Elite dagegen sorgt für den Wohlstand des einfachen Volks.» Und darum wird wohl die Mehrzahl der Trump-WählerInnen kein Problem damit haben, dass Trump für sein Kabinett Wallstreet-Banker, altgediente republikanische Parlamentarier und Wirtschaftslobbyisten beruft.

 

Es gibt drei Probleme mit dem Anti-Eliten-Diskurs. Die Nöte und Sorgen der schwarzen Arbeiterklasse gilt es ja auch ernst zu nehmen, auch wenn sie nicht Trump gewählt haben. Es ist auch nicht so, dass beispielsweise Homosexualität nur etwas ist, das in den Kreisen der städtischen Schickeria vorkommt. Und darum der Einsatz gegen Diskriminierung oder Gewalt eine elitäre Geschichte ist. Zum zweiten lässt man bei all der Selbstbezichtigung die Wirtschafts­elite doch recht einfach davonkommen. Wer beispielsweise Ueli Mäders Buch «Wie Reiche denken und lenken» gelesen hat oder sich schon mal mit Führungskräften aus der Wirtschaft unterhalten hat, stellt fest: Von den Sorgen und Nöten und Überlegungen normaler Menschen haben diese Leute oft weder Ahnung noch Interesse. Vergleichsweise bin ich ein Ausbund an Volksnähe, der Hit an jedem Buurezmorge. Als drittes: Die Anti-Elitenkritik ist dann ein Problem, wenn sie die demokratischen Institutionen delegitimiert. Wenn alle in Bern korrupt sind und sowieso machen, was sie wollen, dann ist es kein Wunder, wenn man sich nach einem starken Mann sehnt, der da mal mit dem eisernen Besen aufräumt.

 

Was PopulistInnen ausmacht, ist der Anspruch, das Volk zu vertreten. Und zwar als einzige. Die Konsequenz daraus ist, wie Jan-Werner Müller im ‹NZZ-Folio› schreibt, «dass alle, welche die Populisten nicht unterstützen, auf irgendeine Weise gar nicht zum Volk gehören.» Es gibt aber nicht ein wahres Volk und ein falsches. Der Hipster aus dem Kreis 3 gehört genauso zum Volk wie der Bauer aus Stammheim wie die Seconda aus Dübendorf.

Es ist tatsächlich ein Problem für die Linke und auch für Liberale, wenn ein Teil der Menschen dem Staat und den demokratischen Institutionen nicht mehr ver­traut. Wenn sie das Gefühl haben, dass der Staat nicht für sie arbeitet und die Demokratie nicht für sie funktioniert. Und es ist tatsächlich auch ein Problem, wenn es verschiedene Welten gibt, wo man sich nicht mehr begegnet, weder virtuell noch real.

 

Es ist darum wichtig, zuzuhören und ver­ste­hen zu wollen. Das ist aber auch keine Einbahnstrasse. Wir sollten alle mehr versuchen, uns in die Lage von anderen hineinzuversetzen. Das heisst aber auch, dass wir gegen eine Ideologie kämpfen sollten, die jedes Mitgefühl als Gutmenschen-Weicheierei abtut. Denn in einer Welt, in der nur die Stärksten überleben, sind wir vielleicht alle schwach.

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