Das grösste lösbare Problem der Welt anpacken

 

Eine von neun Personen weltweit leidet heute an Hunger, und nach wie vor müssen 66 Millionen Kinder im Primarschulalter mit leeren Bäuchen zum Unterricht. Die Uno sieht im um sich greifenden Welthunger «das grösste lösbare Problem» unserer Zeit. 

 

Fabian Molina*

 

Für Hilal Elver, die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung, hat Hunger nichts mit mangelnder Produktion von Nahrung zu tun. Es gehe vielmehr um den Zugang zu verfügbarer und kulturell akzeptabler Nahrung für alle. In einem Interview mit «The MOON Magazine» sagte sie 2014:  «Wenn wir uns ansehen, wie viel die Welt im Bezug auf Kalorien produziert, stellt die FAO fest, dass wir mehr als genug haben, um alle Menschen zu ernähren. Aber wenn wir uns anschauen, wer Zugang zu diesen Kalorien hat – und zu welchem Preis –, sehen wir, wo das Problem liegt. Zum Beispiel gibt eine durchschnittliche Schweizer Familie sieben Prozent ihres Haushaltsbudgets für Nahrung aus, aber eine Familie in einem Entwicklungsland 70 Prozent. Wir müssen Essen zugänglich, bezahlbar und nachhaltig für alle machen. Das ist der Zugang über die Menschenrechte zu Ernährungssicherheit.»

 

Davon sind wir noch immer weit entfernt. Der Preis für Grundnahrungsmittel entscheidet nach wie vor über das Schicksal von Millionen von Menschen weltweit.

 

So hungerten auf dem Höhepunkt der Nahrungsmittelkrise von 2008/09 rund 100 Millionen Menschen zusätzlich. Enorme Preisspitzen, welche die Preise für die Hauptnahrungsmittel kurzfristig verdreifachten, verunmöglichten ihnen den Zugang zu Nahrung. Gemäss einhelliger Einschätzung von Vereinten Nationen und Weltbank trug die im Nachgang der Immobilienkrise verstärkte Spekulation mit Agrarrohstoffen wesentlich dazu bei. Eine Studie der ETH Zürich beziffert den Einfluss der Spekulation auf die Preisbildung gar auf «mindestens 60 bis 70 Prozent». Dies verwundert kaum, stieg im Zuge der Deregulierung der Finanzmärkte doch der Anteil der Spekulanten an den Terminmärkten von 29,5 Prozent im Jahr 1998 auf 74,9 Prozent im Krisenjahr 2008, was den Druck auf die Preise erheblich erhöhte.

 

Diese enorm gesteigerte Volatilität erschwert den Zugang zu den Grundnahrungsmitteln in den Ländern des Südens zusätzlich. Zahlreiche internationale Organisationen und Staaten haben seither ihre Einschätzung zur Spekulation mit Nahrungsmitteln revidiert und Massnahmen ergriffen. So schrieb die deutsche Bundesregierung 2014: «Spekulationen an unzureichend regulierten Märkten dürfen nicht zu übertriebenen Preisschwankungen führen. Die Bundesregierung setzt sich daher auf europäischer Ebene für ein Regelungssystem ein, das exzessiven Handelsaktivitäten entgegenwirkt.» Während Deutschland auf die europäische Regulierung setzt, hat Frankreich die Spekulation vor drei Jahren bereits verboten.

 

Milliardengeschäft ohne Arbeitsplätze

In der Schweiz ist seither jedoch kaum etwas passiert. Spekulanten treiben nach wie vor ihre Finanzgeschäfte mit Grundnahrungsmitteln und machen damit enorme Profite. Genau hier setzt die Spekulationsstopp-Initiative an, über die wir am 28. Februar abstimmen. Finanzinstituten mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz soll die Finanzspekulation auf Lebensmittelpreise in Zukunft verboten sein. Gemäss Schätzungen von AllianceSud gab es auf dem Schweizer Finanzplatz im Jahr 2013 Fonds im Bereich Aggrarrohstoffe in der Grössenordnung von fast 6,5 Milliarden Franken. Arbeitsplätze schafft diese Spekulation mit Nahrungsmitteln weder in der Schweiz noch im Ausland. Aber sie ist mitverantwortlich für die Ernährungsschwierigkeiten zahlreicher Völker.

 

Dieses Geschäftsgebaren birgt grosse Reputationsrisiken für die Schweiz. Umso mehr, als sich abzeichnet, dass die Schweiz ohne Regulierungen zum geschützten Hafen für das international immer stärker geächtete Geschäft wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Schweizer Politik erst auf internationalen Druck hin Finanzmarktregulierungen erlässt. Immerhin ist dieses Jahr bereits der AHV-Fonds aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln ausgestiegen. Und die meisten Kantonalbanken und Pensionskassen haben sich nie an diesem Geschäft beteiligt.

 

Insgesamt ist die Agrarderivate-Spekulation für die Volkswirtschaft kaum von Bedeutung. Sie sichert ausschliesslich einigen hundert Finanzjongleuren riesige Gewinne. Auch deshalb haben bereits zahlreiche OECD-Staaten Regulierugen erlassen. Diese weisen auch den Weg für eine unbürokratische Umsetzung der Initiative. Hierfür muss zwischen der schädlichen Spekulation und dem volkswirtschaftlich Hedging mit Agrarkontrakten unterschieden werden. Dies praktizieren die USA bereits heute. Auch die EU orientiert sich bei ihrem Regulierungspaket MiFID II an dieser Praxis. Ein Verbot der Nahrungsmittelspekulation wäre also, unter Beibehaltung der preislichen und terminlichen Absicherung, problemlos möglich.

 

Es ist nicht schlüssig, weshalb die Schweiz über die Entwicklungszusammenarbeit und private Spenden von Herrn und Frau Schweizer Jahr für Jahr einen enormen Effort zur Verbesserung der Ernährungssituation in den Ländern des Südens leistet, wenn ein paar wenige Finanzspekulanten diese Bemühungen wieder sabotieren. Der Kampf gegen den Welthunger ist eine Querschnittsaufgabe und muss auch bei der Finanzmarktpolitik gelten. Mit einem Ja zur Spekulationsstopp-Initiative erreichen wir genau das. Dies sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Denn bereits jedes Kind weiss: Mit Essen spielt man nicht!

 

*Fabian Molina ist Präsident JUSO Schweiz

 

Spekulationsstopp-Initiative sichtbar machen: Fahnen zum Aufhängen am Balkon gibts unter www.spekulationsstopp.ch/fahne

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