Lieber das realpolitisch Machbare als gar nichts

Der Kantonsrat hat am Montag die neue Umsetzungsvorlage zur Kulturlandinitiative durchberaten, voraussichtlich im September kommt es nochmals zur Volksabstimmung. Die Präsidentin der Grünen Kanton Zürich, Marionna Schlatter, zieht im Gespräch mit P.S. eine Zwischenbilanz.

 

Die Zürcher Stimmberechtigten haben die Kulturlandinitiative der Grünen am
17. Juni 2012 mit 54,5 Prozent Ja-Stimmen angenommen, doch mit der Umsetzung harzte es von Beginn an: Wie ordnen Sie das ein, was Regierung und Kantonsrat seither mit der Initiative gemacht haben?

Marionna Schlatter: Die vergangenen dreieinhalb Jahre, aber auch die Debatte im Kantonsrat vom letzten Montag haben mir vor allem eines gezeigt: Es braucht uns Grüne noch lange. Die Kulturlandinitiative ist seither zwar in der Gesellschaft angekommen, nicht aber bei den bürgerlichen PolitikerInnen.

 

Und das frustriert Sie?

Es ist ernüchternd, dass sich die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat einem Auftrag des Volkes derart hartnäckig widersetzt – zumal der Kantonsrat wegen seines ursprünglichen Vorhabens, auf die Umsetzungsvorlage des Regierungsrats nicht einmal einzutreten, vom Bundesgericht Prügel bezogen hat.

 

Zwar fanden am Montag im Kantonsrat die Grundsatzdebatte und die Detailberatung statt, doch auf die formelle Schlussabstimmung Ende Februar wird wohl verzichtet. Das tönt nach einer neuerlichen Trickserei…

Die vom Parlament durchberatene Umsetzungsvorlage des Regierungsrats soll nun als Vorschlag des Parlaments zur Umsetzung der Initiative gelten. Dieser Kniff ermöglicht es den Bürgerlichen, die Vorlage des Regierungsrats nicht annehmen zu müssen und dennoch das Referendum ergreifen zu können. Letzteres ist nämlich nur bei Vorlagen möglich, die das Parlament angenommen hat.

 

Immerhin bleibt Ihnen so das Thema noch einige Zeig erhalten.

Das würde es so oder so: Der Umgang mit dem Kulturland ist eines der Kernthemen der Grünen. Insofern ist es tatsächlich schön, dass wir uns noch länger damit profilieren können.

 

Allzu gut gelungen ist das jüngst allerdings nicht: Das Thema war im Nationalratswahlkampf nicht präsent, und die Grünen gehörten zu den Verlierern.

Dass der Bundesgerichtsentscheid zur Kulturlandinitiative kurz vor den Wahlen publik wurde, war ideal. Es war ein grosser Erfolg, und wir wurden von vielen Leuten darauf angesprochen. Uns die Tatsache anzulasten, dass die Politik trotz des grossen Zuspruchs mit der Umsetzung nicht vorwärts gemacht hat, wäre unfair. Und dass wir die Wahlen verloren, hat nichts mit diesem Thema zu tun; der Hauptgrund dafür liegt in der aktuellen politischen Grosswetterlage.

 

Im kommenden Abstimmungskampf müssen sich die Grünen für eine regierungsrätliche Umsetzungsvorlage einsetzen, die ihrer Kulturlandinitiative nur bedingt gerecht wird – ein undankbarer Job.

Das ist die politische Realität, vergleichbar damit, wie man vorgehen muss, wenn nebst einer Volksnitiative auch ein Gegenvorschlag zur Debatte steht. Zudem muss man den Erfolg einer Initiative immer auch daran messen, was sie ausgelöst hat. Unsere Kulturlandinitiative hat einen gesellschaftlichen Wandel angestossen und damit das geschafft, was sich jede Partei wünscht, wenn sie eine Initiative lanciert: Heute ist es im Kanton Zürich praktisch nicht mehr möglich, Kulturland einzuzonen. Versucht es eine Gemeinde trotzdem, erntet sie meist Widerstand aus der Bevölkerung. Wir werden im Abstimmungskampf denn auch in erster Linie darauf hinweisen, dass es jetzt um die Wurst geht – darum nämlich, ob die Stimmberechtigten lieber eine nicht ganz ideale Umsetzungsvorlage haben, oder gar nichts.

 

«Gar nichts» ist doch übertrieben: Der Richtplan würde weiterhin gelten.

Sicher, aber laut Richtplan ist es eben nach wie vor möglich, gutes Kulturland einzuzonen und zu überbauen. Mit der Kulturlandinitiative schlugen wir vor, dass Einzonungen von Kulturland mindestens anderswo zu kompensieren wären. Gemäss aktueller Umsetzungsvorlage soll es aber auch zulässig sein, solche Einzonungen zu kompensieren, indem man Kulturland einer geringeren Wertigkeit ‹verbessert›. Dies geschieht, indem man Humus herankarrt. Wir wollen aber keinen Humustourismus.

 

Am Montag versuchten einige Bürgerliche im Kantonsrat, die Grünen als «Verhinderer» hinzustellen, die vor allem der (Bau)Wirtschaft schaden wollen.

Erstens ist die Bevölkerung dagegen, dass auch noch der letzte Acker überbaut wird. Und zweitens sind die Grünen sicher nicht schuld am Moratorium, das zurzeit Einzonungen verhindert: Das ist das Resultat der Weigerung der Bürgerlichen, die Kulturlandinitiative – und damit den Volkswillen – umzusetzen. Sollten sie versuchen, uns im Abstimmungskampf die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, fände ich das schon sehr dreist.

 

Es hiess am Montag auch, die Grünen wollten den Kanton unter eine Käseglocke stellen, sprich: jegliche künftige Entwicklung verhindern.

Der Kanton Zürich muss sich überlegen, wo und wie er sich entwickeln will. Das Bauen in die grüne Wiese ist noch immer zu einfach. Dass es keinen absoluten Schutz des Kulturlandes geben kann, ist ebenfalls allen klar, auch den Grünen. Wir wollen aber einen langfristigen, restriktiven Schutz.

 

CVP-Kantonsrat Josef Wiederkehr sagte nichtsdestotrotz, es gehe den Grünen nur noch darum, sich im Rampenlicht zu sonnen.

Davon kann keine Rede sein. Wir wollten die Verhältnismässigkeit wahren, indem wir nicht darauf bestanden, dass gutes Kulturland zwingend dort geschützt werden muss, wo es sich befindet. Wir verlangten lediglich, dass die Flächen im Bestand erhalten bleiben. Die Regierung stellte beim Ausarbeiten der Umsetzungsvorlage fest, das werde teuer, und befand deshalb, man könne ja auch Humus zügeln. Genau dies steht nun in der Vorlage. Wir haben am Montag im Kantonsrat versucht, den Humustourismus wieder rauszunehmen, allerdings ohne Erfolg.

Wir wollten ursprünglich eine Bremse gegen die Zersiedelung durch Bauten auf den besten Böden. Jetzt haben wir zwar eine Bremse, aber eine mit Humustourismus. Das ist das zurzeit realpolitisch Machbare.

 

Dennoch wurde im Kantonsrat auch der im ersten Abstimmungskampf oft gehörte Vorwurf erneut gebracht: Mit der Kulturlandinitiative werde die Zersiedelung nicht gestoppt, sondern gefördert, da sie verdichtetes Bauen erschwere oder gar verhindere.

Der Kanton hat sein Raumordnungskonzept verabschiedet und damit entschieden, wo künftig noch gebaut wird und wo nicht. Dieses Konzept sieht beispielsweise keinen Siedlungsschwerpunkt in Marthalen im Zürcher Weinland vor. Nichtsdestotrotz brachte die Sendung ‹Schweiz aktuell› letzte Woche einen Bericht darüber, wie schlimm es für die Gemeinde sei, dass sie keine neue Gewerbezone einrichten könne. Dabei weiss erstens noch niemand, wer überhaupt dort geschäften möchte, und zweitens will der Bauer, auf dessen Land die neue Gewerbezone entstehen soll, gar nicht verkaufen. Für besondere Projekte lässt sich umgekehrt stets eine Lösung finden. Uns geht es nur darum, dass nicht einfach überall ins Grüne hinaus gebaut wird.

 

In jenem Beitrag über Marthalen war die Arbeitsplatzsituation ein Thema: Die Leute sollten in der Gemeinde nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten können und dadurch nicht zuletzt weniger weit pendeln müssen. Wäre das nicht im Sinn der Grünen?

Natürlich ist es sinnvoll, dort zu arbeiten, wo man wohnt, anstatt täglich durch die halbe Schweiz zu pendeln. Das Problem ist jedoch, dass die Gemeinden meist nur ihre eigenen kurzfristigen Interessen im Sinn haben, beispielsweise möglichst viele neue gute SteuerzahlerInnen anzulocken. Hier wäre mehr Weitblick gefragt.

 

Würden Sie angesichts des ‹Knorzes› mit der Kulturlandinitiative überhaupt nochmals eine Volksinitiative in Form der allgemeinen Anregung lancieren?

Wir hätten uns wahrscheinlich besser überlegen sollen, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kantonsrat möglich ist – zumal die Raumplanung dort sowieso einen schweren Stand hat. Doch die Ausgangslage war ja auch speziell.

 

Inwiefern?

Es war bekannt, dass eine Revision der Richtplanung anstand. Den Richtplan kann man jedoch nur beschränkt beeinflussen; er ist nicht referendumsfähig. Also lag es nahe, mittels einer gut getimten Volksinitiative die Richtplanung doch noch zu beeinflussen. So gesehen halte ich unser Vorgehen nach wie vor für richtig, wenn auch ziemlich anstrengend…

 

Die Form der Volksinitiative als allgemeine Anregung gehört nicht abgeschafft?

Früher war in einem solchen Fall eine Volksabstimmung zwingend. Das wurde im Zuge der Reform abgeschafft, die der ehemalige Justizdirektor Markus Notter leitete. Ich gehe davon aus, dass dieser Teil der Reform in absehbarer Zeit wieder rückgängig gemacht wird. Zuerst beschäftigen wir uns aber mit der Abstimmung zur Umsetzungsvorlage, die voraussichtlich im September stattfindet.

 

Wie wollen Sie diese gewinnen?

Das Motto lautet «David gegen Goliath»… (lacht). Im Ernst: SP, AL und GLP sind nach heutigem Stand der Dinge auf unserer Seite. Wir werden daran erinnern, dass die bürgerliche Mehrheit sich mit ihrem Nein dagegen sträubt, den Volkswillen umzusetzen; insbesondere der SVP sollte dies eigentlich zu denken geben. Meine Hoffnung ruht zudem auf den Bauern: Einzelne Bauern haben uns bereits in der ersten Abstimmung unterstützt. Gelingt es uns, die Mehrheit der Bauern davon zu überzeugen, dass sie mit einem Ja lediglich zu einer abgeschwächten Vorlage ihres eigenen Regierungsrats Ja sagen würden, sieht es gut aus. Übers Ganze gesehen dürfte der Abstimmungskampf ähnlich ausfallen wie vor vier Jahren.

 

Der Sieg von damals könnte sich somit wiederholen lassen?

Die Chancen, nochmals zu gewinnen, sind intakt, denn das Thema ist in den Augen der Bevölkerung seither nicht unwichtiger geworden, sondern eher im Gegenteil: Die Leute sind besser aufgeklärt, und ihr Feedback ist gut. Möglicherweise ist es sogar ein Vorteil, dass die Umsetzungsvorlage ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung kommt, wenn auch höchstwahrscheinlich mit ablehnender Empfehlung nicht nur des Regierungsrats, sondern auch der Mehrheit des Kantonsrats: Gibt es an der Urne ein Nein, dann können wir auf keinen Plan B zurückgreifen, dann ist die Sache gelaufen.

Wir können den Leuten gut erklären, dass wir als Grüne stets mehr verlangen müssen, als dann realpolitisch rauskommt, und uns deshalb auch mal für die zweitbeste Lösung einsetzen müssen. Und dass diese besser ist als gar nichts, das verstehen die Stimmberechtigten garantiert. Die grosse Herausforderung dieser Abstimmung ist eine andere.

 

Welche?

Wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, den Leuten zu erklären, warum sie nochmals abstimmen gehen müssen. Manch einer fragt sich doch: Ich habe mich bereits zum Schutz des Kulturlands geäussert, warum soll ich jetzt über eine abgeschwächte Vorlage zum selben Thema nochmal abstimmen gehen? Zudem besteht die Gefahr, dass unsere GegnerInnen den Leuten zum Beispiel einreden, die Grünen wollen den Humustourismus… Natürlich wäre das oberdreist, aber ausschliessen lässt es sich nicht. In einem solchen Fall wäre es an uns, den Leuten zu erklären, worum es genau geht – und dass wir nicht zuletzt deshalb nochmals abstimmen müssen, weil Parteien wie die SVP sich selbst dann noch weigern, den Volkswillen umzusetzen, wenn das Bundesgericht sie dazu verknurrt hat.

 

Und was machen Sie, wenn es trotz allem nicht klappt?

Dann müssten wir uns erst die Mehrheitsverhältnisse anschauen und analysieren, wo wir seit dem letzten Mal Leute verloren haben. Die ländliche Unterstützung war letztes Mal sehr wichtig. So oder so haben wir aber mit der Kulturlandinitiative schon sehr viel erreicht.

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