- Gemeinderat
Wo ist «durchs Quartier»?
An seiner Sitzung vom Mittwochabend lieferte sich der Zürcher Gemeinderat zum Einstieg eine «persönliche-Erklärungen-Debatte» als Reaktion auf eine Fraktionserklärung der Grünen. Unter dem Titel «Klimaschutz ist ein Menschenrecht» sprach Dominik Waser von einem «historischen Urteil» und einem «Sieg, der Signalwirkung haben muss und wird» – Gemeint war natürlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Klimasenior:innen (siehe den Artikel auf Seite 10 dieser Ausgabe). Dominik Waser hielt unter anderem fest, «die Zeiten, in denen ‹kein Klimaschutz› eine Option ist, sind vorbei». Michael Schmid (FDP) hingegen zeigte sich in seiner persönlichen Erklärung «erschüttert»: Das Gericht habe «Elementares des Sachverhalts nicht richtig festgestellt». Johann Widmer (SVP) sagte, er anerkenne «so ein ausländisches Gericht» sowieso nicht. Sophie Blaser (AL) erinnerte die SVP daran, dass sie Teil der parlamentarischen Vertretung im Europarat sei, und fragte sich, warum sie in diesem «fremden Rat» sitze.
David Garcia Nuñez (AL) wiederum sprach davon, man habe am letzten Freitag gesehen, was passiere, wenn man in Sachen Spitäler «wie die Lemminge» dem folge, was die anderen machten: Nach dem Kinderspital müsse wohl bald auch das Unispital gerettet werden. Martina Zürcher (FDP) entgegnete, sie habe ihm zwar zugehört, verstehe jedoch nicht, «was die Organisationsform mit dem Defizit zu tun hat», denn ein solches habe auch das Stadtspital.
Später in die Schule
Dann stand die Schule im Fokus: Der Rat hatte über eine parlamentarische Initiative der SP-, Grüne- und AL-Fraktion zu befinden, die für die Tagesschulen der städtischen Volksschulen eine Anpassung des Unterrichtsbeginns am Morgen forderte sowie eine Bestimmung «über die Dauer der gebundenen Mittage». Zudem galt es über die Einzelinitiative von Annick Hess zu befinden: Sie forderte die «Späterlegung des Unterrichts am Morgen an den Volksschulen der Stadt Zürich». Bei der parlamentarischen Intitiative ging es lediglich darum, ob der Rat sie vorläufig unterstützen wollte oder nicht.
Christina Horisberger stellte die Initiative vor: Jugendliche in der Pubertät seien früh am Morgen müde und könnten sich schlecht konzentrieren, das habe die Schlafforschung festgestellt. Würde die Schule statt um halb acht Uhr nur schon 20 Minuten später anfangen, wäre das sinnvoll. Dieser positive Effekt sei denn auch in der Kommission unbestritten gewesen. Doch da bei den Tagesschulen eine Mittagszeit von 80 bis 100 Minuten gelte, könnten sich am Nachmittag Engpässe ergeben. Die Kommission habe sich erst ein Pilotprojekt an fünf Schulen mit gebundenem Mittag auf der Sekundarstufe gewünscht. Denn wenn die Jugendlichen am Nachmittag einfach länger Schule hätten, würde das die Aufmerksamkeit auch nicht befördern. Doch ein Pilot seit nicht möglich gewesen, deshalb habe man sich für die parlamentarische Initiative entschieden. Mit 64 Ja-Stimmen kam die vorläufige Unterstützung zusammen.
Späterer Schulbeginnschafft neue Probleme
Zur Einzelinitiative von Annick Hess erklärte Balz Bürgisser (Grüne), in der Primarschule fange man heute schon um 8.20 Uhr an, lediglich einmal pro Woche könne der Unterricht schon um halb acht beginnen. Die Initiative hätte somit hauptsächlich Auswirkungen auf die Sekundarschule, wo der Unterricht an vier Tagen pro Woche um halb acht beginne.
Zur Begründung verwies er auf den Initiativtext, in dem ebenfalls auf die biologischen und entwicklungspolitischen Gründe verwiesen wird, die dazu führten, dass die Konzentrationsfähigkeit um halb acht Uhr «stark eingeschränkt» sei. Bürgisser zitierte: «In der Praxis sind in dieser Stunde die Schülerinnen und Schüler mit Aufwachen beschäftigt und nehmen vom Unterricht nur wenig wahr.» Er teilte weiter mit, dass der Stadtrat wie auch die Zentrale Schulpflege (ZSP) die in Form einer allgemeinen Anregung gehaltene Initiative für gültig hielten. Das Problem sei jedoch, dass ein späterer Schulbeginn bei gleich langer Mittagszeit und der daraus folgenden Verschiebung in den späteren Nachmittag hinein nicht nur «schlecht für die Schüler:innen» wäre, sondern auch für die fakultativen Angebote, die heute nach SchulschluSss stattfinden, sowie für die Sportvereine, die dann Turnhallen nutzen.
Würde man dem begegnen, indem man für Unter- und Oberstufe unterschiedlich lange Mittagszeiten festlegte, wäre das ungünstig für Familien mit mehreren Kindern, schob er nach. Für die Minderheit führte Stefan Urech (SVP) aus, er sei als Lehrer ebenfalls immer froh, wenn er erst ab der zweiten Lektion unterrichten müsse, und auch seine Schüler:innen fingen lieber später an. Doch das Vorhaben sei nicht umsetzbar, weder die Stundenplangestaltung noch die Turnhallenbelegung liesse sich vernünftig organisieren. Zudem hätten die Linken in der Tagesschulvorlage, über die 2022 abgestimmt wurde, die längeren Mittagszeiten durchgesetzt. Diesen wichtigen Punkt könne man so kurz nach der Volksabstimmung nicht schon wieder ändern. Mit 110:0 Stimmen lehnte der Rat die Einzelinitiative ab.
«Vermeintliche Freiheit»
Viel zu reden gab später in der gut fünfstündigen Sitzung noch die Volksinitiative «Kein Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen» der SVP. Kommissionssprecher Reis Luzhnica (SP) sagte, die Initiative sei am 17. Mai 2022 eingereicht worden, und die Hauptforderung laute «generell 50». Die Initiative sei gültig, der Stadtrat lehne sie jedoch ab. Die Mehrheit schliesse sich dieser Einschätzung an. Nun für die SP fügte er an, die Rechten würden sich gegen Verkehrssicherheit und Lärmschutz wenden und sich für ihre «vermeintliche Freiheit» einsetzen. Luzhnica erinnerte auch daran, dass jene, die Tempo 50 forderten, meist in ruhigen 30er-Zonen wohnten. Stephan Iten entgegnete ihm, es gehe um Hauptverkehrsstrassen, und die Menschen an der Langstrasse hätten auch keine Ruhe, nur sei dort der Partylärm schuld. Zudem stehe generell 50 jetzt schon im Gesetz, da könne der Stadtrat nicht einfach «generell Tempo 30 einführen», sonst verstosse er «einmal mehr gegen übergeordnetes Recht». Zudem würden lärmarme Beläge mehr bringen als Tempo 30, und so würde das Gewerbe, aber auch der öV erst noch weniger ausgebremst. Letzteres würde «den Steuerzahler» zudem Millionen kosten.
Markus Knauss (Grüne) erinnerte ihn daran, dass der Begriff «Hauptverkehrsachsen» im Richtplan gar nicht vorkomme. Michael Schmid (AL) bemerkte an die Adresse jener, die den Verkehr «nicht im Quartier» haben wollten, auch der Verkehr auf Strassen wie etwa der Badener- oder der Rosengartenstrasse führe «mitten durchs Quartier». Nach ausgiebiger Debatte lehnte der Rat die Initiative gegen die Stimmen von SVP, FDP und Mitte-/EVP ab. Das letzte Wort haben die Stimmberechtigten an der Urne.