«Wir brauchen eine konsequente Linke mit Visionen»

Luca Dahinden ist seit zweieinhalb Jahren Co-Präsident der Juso Kanton Zürich. Er ist 24 Jahre alt und studiert Politologie und Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. Zusammen mit Co-Präsidentin Nadia Kuhn (geboren 1997) setzt er sich für die von der JUSO eingereichte Entlastungsinitiative ein, über die am 9. Februar abgestimmt wird. Thomas Loosli hat mit Luca Dahinden gesprochen.

 

Luca Dahinden, was war Ihre Motivation, um Co-Präsident der JUSO zu werden? 

 

Seit ich mich erinnern kann, haben mich Ungerechtigkeiten gestört. Schon im Jahr 2003 demonstrierte ich gegen den Irak-Krieg. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich etwas gegen die Ungerechtigkeit machen will und deshalb ging ich zu den Jungsozialist*innen. Ich merkte bald, dass ich Lust hatte politisch etwas zu bewirken und mich mehr zu engagieren. Als mein Vorgänger zurücktrat, entschied ich mich, für das Co-Präsidium zu kandidieren.

 

Was ist Ihr wichtigstes politisches Anliegen?

 

Das ist schwer zu sagen. Ich will nicht politische Anliegen gegeneinander ausspielen. Für mich persönlich ist es der Feminismus und speziell der Queer-Feminismus, also eine Verbindung des Kampfs für Frauenanliegen mit dem Kampf für marginalisierte Minderheiten. Allerdings sind die Themen Klimakrise, Gleichberechtigung und ökonomische Ungleichheiten miteinander verknüpft und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

 

Welche politischen Ziele verfolgen Sie persönlich?

 

Prinzipiell würde es mich reizen im Gemeinde- oder Kantonsrat zu politisieren. Ob ich kandidiere, hängt aber von meiner persönlichen Situation vor den nächsten Wahlen ab. Nach meinem Abtreten als Co-Präsident werde ich aber sicher nicht einfach von der politischen Bildfläche verschwinden.

 

Kommen wir zu den Abstimmungen vom 9. Februar 2020. Die Entlastungsinitiative «Für die Entlastung der unteren und mittleren Einkommen» soll tiefe und mittlere Einkommen bis 100 000 Franken pro Jahr (bei Einzelpersonen) steuerlich entlasten. Die höheren Einkommen würden dafür stärker belastet werden. Dazu wird die Steuerprogression von 13 auf 17 Prozent verschärft (bei Einkommen über 200 000 Franken). Wie sehen Sie die Chance eines Abstimmungserfolgs?

 

Ich möchte präzisieren, dass es erst ab einem Einkommen von etwa 120 000 Franken zu einer Erhöhung der Steuern kommt, weil Steuern anhand des steuerbaren Einkommens berechnet werden, also nach allen Abzügen. Ich sehe eine Chance für die Initiative, vor allem wenn man sieht, wie überzogen die Wirtschaftsverbände auf die Initiative reagieren. Die Wirtschaftslobby schaltet beispielsweise Inserate mit der Überschrift: «Umverteilung mit Gewalt.» Das zeigt, dass sie die Initiative ernst nimmt. Wir wollen mit der Entlastungsinitiative einen neuen Aspekt angehen. Bei den vorangehenden Initiativen ging es meistens um eine Erhöhung der Steuern, zum Beispiel bei der «Bonzensteuerinitiative» oder der Erbschaftssteuerinitiative. Dieses Mal geht es vor allem um eine Steuerentlastung, die für 90 Prozent der Bevölkerung zur Geltung kommen würde. Immer mehr Menschen im Kanton Zürich haben mit steigenden Mieten und Krankenkassenprämien zu kämpfen. Deshalb ist die Initiative nötig.

 

Laut Kanton würde die Initiative bei Menschen mit hohen Einkommen zu Mehrbelastungen bei der Einkommenssteuer von bis zu rund 30 Prozent führen. Ziehen dann nicht einfach alle Reichen aus dem Kanton Zürich fort?

 

Das ist das klassische Totschlag-Argument. Es stimmt aber nicht. Die Abschaffung der Pauschalbesteuerung im Kanton Zürich beispielsweise hat nicht dazu geführt, dass viele Reiche weggezogen sind. Seit deren Abschaffung hat der Kanton Zürich einen Mehrertrag vorzuweisen. Viele Studien beweisen, dass längst nicht nur der Steuersatz über den Wohnort entscheidet. Das Kulturangebot und die Infrastruktur sind entscheidender. Gerade Familien werden nicht einfach wegen hohen Steuern ihren Wohnort verlassen. Das Argument der «Steuerflüchtlinge» ist zudem antidemokratisch, weil es dem Stimmvolk die Legitimität wegnimmt, selber über die Steuern zu bestimmen.

 

Die Gegner der Initiative warnen auch davor, dass der Wirtschaftsstandort Zürich leiden würde, weil gutverdienende Menschen nicht mehr in den Kanton Zürich ziehen würden.

 

Reiche Leute per se machen nicht den Wirtschaftsstandort eines Kantons aus. Es stimmt zwar, dass wohlhabende Menschen im Kanton Zürich 35 Prozent unserer Steuerlast zahlen, aber gleichzeitig sollte man nicht vergessen, dass die Einkommensschere im Kanton Zürich immer weiter aufgeht. Die Reichen werden immer reicher. Das ist problematisch. Unsere Initiative will nicht in erster Linie mehr Steuern reinholen, sondern Normalverdienende entlasten. Trotzdem hätte der Kanton Zürich bei Annahme unserer Initiative bis zu 200 Millionen Franken Mehreinnahmen. Dieser ist auch als Puffer eingeplant. Wir können es uns leisten, wenn ein paar Besserverdienende wegziehen. Zudem lehnen wir als progressive Linke den interkantonalen Steuerwettbewerb ab.

 

Gleichzeitig kommt die Mittelstandsinitiative der Jungfreisinnigen vors Volk. Diese hat zum Ziel alle Steuerzahler*innen zu entlasten, auch die Reichen, indem sie die höchste Steuer-Progressionsstufe von 13 Prozent abschaffen will. Was sagen Sie zu dieser Initiative?

 

Die Jungfreisinnigen wollen die höchste Progressionsstufe abschaffen, was laut Regierungsrat zu Steuerverlusten von 750 Millionen Franken führen würde. Wir wissen aus Erfahrung aus anderen Kantonen: Wenn der Staat zu wenig Geld hat, trifft es immer die weniger gut Verdienenden. Es werden zum Beispiel Prämienverbilligungen gestrichen. Die Zürcher*innen würden bei Annahme dieser Initiative zwar weniger Steuern zahlen, hätten aber gleichzeitig weniger Leistungen vom Staat. Am Schluss stünde eine Mehrheit der Menschen mit weniger Geld da. Mit der Initiative der Jungfreisinnigen würden die Reichen entlastet, während der Rest noch ein paar Brotkrümel abbekommt.

 

Die Initianten sagen aber, dass nur etwa ein Zehntel der total 750 Millionen Franken (an eingesparten Steuern) Steuerpflichtigen zugute kommt, die mehr als eine halbe Million Franken pro Jahr verdienen. Zusätzlich würden die reichen Steuerzahler in Zürich bleiben. Kein guter Deal?

 

Die Reichen von Steuern zu entlasten halte ich nicht für richtig. Die indirekten Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, direkten Steuern und die Krankenkassenprämien kosten alle Einkommensschichten etwa 35-40 Prozent des Lohnes. Unser System der Progression basiert darauf, dass Gutverdienende sich stärker an der Finanzierung der öffentlichen Hand beteiligen. Die indirekten Gebühren und Sozialversicherungsbeiträge sind für die unteren Einkommensschichten aber viel höher als für die Reichen. Das ist eine Ungleichheit, die nicht akzeptabel ist. Genau darum brauchen wir ein progressiv ausgestaltetes Steuersystem, welches die Reichen in die Pflicht nimmt.

 

Reden wir ein wenig über die JUSO. Wieviele aktive JUSO-Mitglieder gibt es im Kanton Zürich?

 

Um die 100, die Zahl ist aber schwankend. Im harten Kern sind es etwa 30-40 Personen.

 

Oft wird den JUSO fehlender Realismus vorgeworfen. Was sagen Sie dazu? 

 

Ohne Visionen kann man keine konsequent linke Politik machen. Die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratien hat gelitten. Damit die Sozialdemokratie eine Chance haben kann, müssen wir aufzeigen, dass wir eine gerechte, ökologische und feministische Welt wollen. Die Leute wollen keine kleinen Kompromisse, sie wünschen sich eine längerfristige Sicht der Zukunft. Wir brechen bewusst mit dem Dogma, dass alles im realpolitischen Rahmen stattfinden muss. Wir finden es wichtig, eine Vision zu haben auf die man hinarbeiten kann.

 

Können Sie die Vision der JUSO etwas genauer beschreiben? 

 

Ich stehe für einen demokratischen Sozialismus ein. Was für mich klar ist: nicht der Profit soll im Zentrum des Lebens stehen sondern der Mensch. Aus einer ökologischen Sicht müssen wir darüber reden, dass unsere Ressourcen endlich sind und unser Wirtschaftssystem sich nicht nur auf Wachstum ausrichten darf. Ganz wichtig ist der JUSO die Beseitigung von Ungleichheiten. Ich spreche hier von Ungleichheiten zwischen Reichen und Armen und Ungleichheiten aufgrund von Geschlecht, Religion oder Sexualität. Unser Ziel ist eine solidarische Gesellschaft, in der sich die Menschen unterstützen und in der sich alle so entfalten können, wie sie wollen. Der Kapitalismus erlaubt diese Entfaltungsmöglichkeiten in der Realität nur den privilegierten Schichten.

 

Wie kann man einen solchen solidarischen Geist erzeugen? Es wird doch immer Menschen geben, die nach Macht streben und von Gier getrieben sind.

 

Wenn ich die Antwort auf diese Frage hätte, dann wären wir wohl schon in dieser Gesellschaft (lacht). Ein Problem unserer Gesellschaft ist sicher, dass uns seit der Kindheit ein Leistungsdenken anerzogen wird. Aus diesem Denken müssen wir ausbrechen, zum Beispiel, indem wir eine Arbeitszeitverkürzung einführen, denn wie soll man sich solidarisch engagieren, wenn man von morgen früh bis abends spät immer arbeitet? Wo bleibt da der Raum, um sich Gedanken über eine Vision von mehr Solidarität zu machen?

Die Jungsozialist*innen fallen mit provokativen Ideen und Aktionen auf. Wollen Sie in Zukunft braver werden oder gar noch provokativer? 

Wichtig ist uns, dass die Provokation mit Inhalten verbunden bleibt. Braver wollen wir nicht werden. 2008 haben wir uns eine Richtlinie gesetzt: Wir provozieren, um Themen zu setzen, die sonst nicht von den Medien wahrgenommen werden. Die Aktion des BH-Verbrennens war beispielsweise extrem medienwirksam, dabei war es eigentlich nichts Neues. Meine Mutter hat damals zu mir gesagt: «Das haben wir vor knapp 30 Jahren an der Bahnhofstrasse gemacht.»

 

Welche Aktion bleibt Ihnen in guter Erinnerung?

 

Wir haben vor den Nationalratswahlen auf dem Lindenhof einen riesigen Tampon gebastelt und ihn oben rot angemalt. Das hat viel Spass gemacht, auch weil uns die Leute wirklich komisch angeschaut haben. Offensichtlich ist ein Tampon auch heute noch ein Tabu-Produkt. Es ging darum auf die hohen Steuern von Tampons aufmerksam zu machen.

 

Die JUSO haben in letzter Zeit viele Initiativen lanciert. Wie entstehen diese eigentlich? Bringen einzelne Personen Vorschläge ein oder erarbeiten Sie die Initiativen zusammen? 

 

Die 99-Prozent-Initiative beispielsweise hat sich in einem langen demokratiepolitischen Verfahren durchgesetzt. In der Stadt Zürich machen wir Brainstorming-Sitzungen, um herauszufinden, was uns unter den Nägeln brennt. Manchmal haben einzelne Personen schon weit fortgeschrittene Ideen, aber das Hauptziel bleibt, dass wir die Initiativen in einem demokratischen Verfahren zusammen entwickeln.

 

Ist es nicht schwierig, immer wieder neue Ideen für Initiativen zu entwickeln? Bisher wurde noch nie eine JUSO-Initiative auf nationaler Ebene angenommen. Das könnte frustrierend wirken…

 

Wir haben leider genug Ideen. (lacht). Ansonsten wäre die Welt ja in Ordnung. Natürlich ist es schade, wenn unsere Initiativen abgelehnt werden, aber wir haben auch schon Erfolge verbuchen können, beispielsweise mit der Topverdienersteuer-Initiative in Basel. Wir haben selten Mehrheiten, aber wir bringen Themen ins Gespräch. Seit der 1:12-Initiative reden wir über Managerlöhne. Unser Ziel ist es, dass wir Themen ansprechen über die man in der Öffentlichkeit normalerweise nicht redet.

 

Was möchte das Co-Präsidium der JUSO Kanton Zürich im nächsten Jahr erreichen?

 

Unser erstes Ziel ist einen erfolgreichen Abstimmungskampf zu führen, in dem wir aufzeigen wollen, dass wir eine starke politische Kraft sind. Unser Ziel für die JUSO ist es, dass wir weiterhin eine Bewegung bleiben, die genau hinschaut und den Finger auf den wunden Punkt legt. Wir sind zufrieden, wenn wir so stark, so kritisch und so visionär bleiben wie bis anhin, denn die SP Kanton Zürich, der Kanton und die Welt brauchen eine konsequente Linke mit Visionen.

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