Time for action

Thomas Loosli

 

Es ist immer so eine Sache mit den UN-Klimakonferenzen. Eigentlich enden diese Klimagipfel (in meiner Erinnerung zumindest) meistens mit einer Enttäuschung und dann muss man sich mit seiner Familie unter dem Weihnachtsbaum über die verpassten Chancen ärgern. Dieses Jahr ist das Resultat (es reichte nur zu einer indirekten Mahnung an alle Staaten, vor dem nächsten Gipfel ambitioniertere nationale Klimaschutzpläne einzureichen) der Klimakonferenz von Madrid besonders enttäuschend, weil die Erwartungen hoch waren. Eigentlich muss man sich über die Ergebnisse aber nicht wundern, wenn Vorstösse für mehr Klimaschutz von Staaten wie den USA, Brasilien, Australien, Japan, Indien oder Saudiarabien blockiert werden. Die EntscheidungsträgerInnen am Klimagipfel sind leider keine WissenschaftlerInnen, sondern PolitikerInnen von teilweise rechtspopulistischen und autoritären Regierungen. In vielen Ländern fehlt es am politischen Willen, die eigene Abhängigkeit von umweltschädlichen Energieträgern aufzugeben. Eine Neuausrichtung der Wirtschaft ist mit finanziellen Mehrausgaben verbunden. Das sieht man in Europa am Beispiel von Polen, das tatsächlich einen enormen Effort betreiben muss, um aus der Abhängigkeit von Kohle wegzukommen. Aber selbst Länder wie die Malediven, die bei einem sehr wahrscheinlichen Anstieg des Meeresspiegels untergehen werden, wehren sich anscheinend gegen Klimaschutzmassnahmen. «Als ich mit dem Umweltminister der Malediven sprach, war ich mir bald nicht mehr sicher, ob dieser Umweltvertreter oder Interessenvertreter der Ölwirtschaft ist», meinte WWF-Klimaschutzexperte Patrick Hofstetter in einem Interview mit Radio RaBe. Solche Erkenntnisse sind desillusionierend.

 

Das Jahr 2019 war aus klimapolitischer Sicht dennoch erfolgreich. In der Schweiz haben die Grünen einen einzigartigen Wahlerfolg erreicht. Die Grünen und Grünliberalen werden (auch ohne grünen Bundesrat) ihre politische Agenda in die Räte einbringen und mit Sicherheit einige Erfolge erzielen, denn ignorieren können die Rechtsparteien die ökologischen Anliegen nicht mehr. Zu klar ist das Votum der StimmbürgerInnen, zu stark auch die Stimme der jungen Menschen, die auf der Strasse ihren Kampf weiterführen werden.

 

Vor einem Jahr habe ich in Zürich eine 1. Sek unterrichtet. In nur wenigen Wochen durfte ich miterleben, wie sich unzählige Jugendliche politisiert haben. Zugegeben, an den Klimastreik (während der Schulzeit) gingen nicht alle aus Überzeugung, aber das ist bei 13-Jährigen nicht verwunderlich. Das Interesse an Fragen des Klimaschutzes nahm jedenfalls deutlich zu. Mich verwunderte diese plötzliche Entwicklung, denn zuvor hatte ich immerhin schon einige Jahre an anderen Schulen unterrichtet und erlebte zwar teils politisch interessierte SchülerInnen, sehr wenige von ihnen waren aber politisch engagiert. Doch die Bewegung, die mit den Fridays for Future-Demonstrationen im letzten Dezember im kleinen Rahmen begann, weitete sich schnell zu einem Phänomen aus. Ende Februar dieses Jahres marschierten bereits Zehntausende Junge und auch Ältere in den Demonstrationszügen für den Klimaschutz durch Zürich. Im Unterschied zu den Demonstrationen, die ich bis anhin kannte, sind die Fridays for Future-Demonstrationen besser organisiert, animiert, fröhlich und laut. Die Parolen «nous sommes plus chauds que le climat» oder «Ufe mit de Klimaziel, abe mit em CO2!» (zu diesem Ruf bewegten sich die Menschen wellenförmig rauf und runter) gingen unter die Haut und liefen mir wie Hitparaden-Ohrwürmer nach. Ein Bild blieb mir besonders. Eine wohl ehemalige Bewegte schaute mit verklärtem Blick in den bunten Demonstrationszug und sagte zu einer Freundin: «Es ist einfach unglaublich schön». Wahrscheinlich fühlte sie sich an die Demos der 1980er Jahre erinnert.

 

Diese Demonstrationen geben Anlass zu Hoffnung, gerade weil es ganz junge Menschen sind, die sie organisieren. Die Demonstrationen der Jungen bewegten viele Menschen dazu, ihre Gewohnheiten zu ändern. Eine befreundete Familie fuhr in den Sommerferien mit dem Zug nach und durch Spanien, andere machten Ferien in der Schweiz oder kündigten an, gar nicht mehr zu fliegen. Eine Person hat besonders viel mit dieser Bewegung zu tun. Es ist die 16jährige Schwedin Greta Thunberg, die dieses Jahr vom Time-Magazin meiner Meinung nach zurecht zur Person des Jahres erklärt wurde. Es brauchte ihr Vorbild, um die Klimaschutzbewegung in Gang zu bringen. Sie kritisierte nicht nur die Untätigkeit der PolitikerInnen in Sachen Klimaschutz, sondern auch zunehmend die globale Ungerechtigkeit. Dass aus dem Schlagwort «climate change» der Ruf nach «system change» folgte, mag auch ein Auslöser für die weltweiten politischen Demonstrationen dieses Jahres gewesen sein.

 

Das Thema Umweltschutz begleitet mich seit meiner Kindheit. Meine Eltern verkauften Ende der 80er Jahre ihr Auto, um mit Umweltschutz ernst zu machen. Als kleiner Junge verstand ich noch nicht ganz, warum wir das Auto verkaufen mussten. Aber mein Bewusstsein für Umweltschutz entwickelte sich im Lauf der Zeit. Die Sensibilität für Umweltfragen ist also auch eine Frage der Erziehung und Bildung. Für viele Menschen aus sogenannten Schwellenländern ist Umweltschutz nicht das erste Anliegen. Andere Probleme sind wichtiger. In Ländern wie Chile, Libanon, Irak und Iran (um nur ein paar zu nennen) sterben Menschen für ihren Traum von Freiheit und für die Aussicht nach einem Leben in mehr Wohlstand. Aber die vielen Konsequenzen der Klimaveränderungen betreffen uns alle. Es braucht griffige, internationale Beschlüsse für den Klimaschutz.

 

«Time for action» war das Motto der diesjährigen Klimakonferenz und diese «Action» wäre nötig gewesen. Die gescheiterte Klimakonferenz macht nachdenklich, es ist aber nicht angezeigt, zynisch zu werden. Wir können uns Zynismus schlicht nicht leisten. Es braucht jetzt Länder, die als Vorbild vorangehen, momentan sind dies im Klimaschutz  Schweden, Finnland und Dänemark. Die EU strebt den «European Green Deal» an, der bis im Jahr 2050 für den Kontinent Europa die Klimaneutralität erreichen will. Auch die Schweiz müsste in eine Vorbildfunktion hineinwachsen. Und wie mit den Ländern verhält es sich mit den Menschen. Wir können etwas tun. Manchmal reicht es schon, ein kleines Zeichen zu setzen und sei es nur mit dem Zug anstatt mit dem Flugzeug in die Ferien zu fahren.

 

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