Früchte des Müssiggangs
Aufrecht gehen allein erfüllt einen nicht lebenslang ausreichend mit Sinn, um sich mit Betrachtungen des eigenen Bauchnabels zu begnügen. Gut, gibts Jens Nielsen, den schrankenlosen Denker und verqueren Fabulierer.
Die Schlagzeilen, die als Anlass für die Episoden im Soloprogramm «Auseinanderfallen» mutmasslich irgendwann irgendwo irgendwie sinnfrei oder -stiftend erschienen sind, drängen sich einem (inklusive Interpunktion) nachgerade auf. Doch das ist bereits eine sämtliche weiteren Möglichkeiten ausschliessende Unterstellung. Also just die Denkfaulheit, der Jens Nielsen in «Auseinanderfallen» entgegenwirkt. Der Perspektivenwechsel muss indes nicht zwingend körperlich vollzogen werden, das demonstriert er zwischen der Götzenstatue, einer Zetteldiagonale und einem nutzlos rumhängenden Toupet. Kann aber. Hoch erhobenen Hauptes, im Stechschritt einer fremdländischen Militärparade, aber eben auf Knien, entert er die Bühne und verkündet, das Rätsel darum, wohin sich die (menschliche) Evolution final entwickle, sei noch immer ungelöst. Zeitgleich gibt er zu bedenken, dass der Ansatz der bisherigen Überlegungen vielleicht zu fokussiert auf ein vorwärts gewählt wurde und stellt die bare Umkehr zur Disposition. Viele der ortsansässigen Probleme verschwänden im Nu. Auch die weithergereisten und die dortgebliebenen. Im Augenblick ists noch nicht soweit. Also bleiben derer viele noch zu lösen, neu zu denken, als Chance wahrzunehmen, wie das der Neudeutschsprech der Beraterlobby so nennt. Ein fliegender Vogel, also das tönerne Abbild, festgezurrt auf einer Balustrade, ist für die Wohnungsbesitzerin ein Sinnbild für Freiheit, für den totalkonsequenten Allesschützer aber eines für deren Beraubung. Also nimmt er das Ding auseinander und befiehlt: Flieg! Ein spinntisiertes Geschichtchen, gewiss. Aber umgemünzt auf beispielsweise die machtpolitische Demokratisierung anderer Staaten eben auch sehr viel mehr. Vergleichbares geschieht in jeder seiner Episoden. Für das Gerede von der Lebensmitte – sein Tonfall und Gesichtsausdruck bei diesem Begriff wirkt vielmehr wie der allerletzte Hauch – verknüpft er den wissenschaftlichen Drang, ein Menschenleben einer Unendlichkeit zu überführen, mit dem Drang, für die Nachwelt bei einem tendenziell wahrscheinlichen Dochableben rest- und lückenlos definiert zu haben. Der Ursprung beider Überlegungen: Sicherheit. Genau diese Motivation aber, für Gedanken wie Handlungen, stellt Jens Nielsen freundlich ausgedrückt infrage. Respektive er findet Varianten dieses Wünschens, die, in eine gelebte Realität überführt, augenblicklich Widerspruch provozierten. Nicht zwingend im Sinne der möglichen Durchführbarkeit, sondern vielmehr der mentalen Gesundheit. Was wiederum die Definition zur Disposition stellt, wer denn hier genau gesellschaftsfähig handle und ob dies zu Recht als das Mass aller Dinge angenommen werde. Schliesslich ist ein Zeitbegriff, zum Beispiel, ein sehr dehnbares Konstrukt. Nimmt man noch jenes der Götter hinzu, entgleitet einem die Fassbarkeit davon restlos. Ähnlich wie eine Handbewegung einer ominösen schönen Frau, also der phantasierten Annahme davon, weil er sie nie zu Gesicht bekam, so sinnfrei scheint, dass etwas Mysteriöses dahinterstecken muss. Schliesslich ist der Mensch ja vernunftbegabt, ergo muss eine Erklärung her. Diese wiederum fusst natürlich auf physikalischen Grundregeln, die mit Glaubensgrundsätzen vermengt, erst die gesamte Palette an Möglichkeiten erschliesst. Meinungen von Fachpersonen sind dafür nur beschränkt dienlich, auch wenn sie technisch unterstützt und gemeinhin als anerkannt gelten. Denn die ultimative Freude eines grenzensprengenden Denkens und – in seinem Falle – überaus wohlfeilen Formulierens, kennt weder Messbarkeit noch stellt sie sich niederen Instinkten wie der Konkurrenz. Sie ist einfach da. Ein Geschenk.
«Auseinanderfallen», 14.12., Theater Winkelwiese, Zürich. www.jens-nielsen.ch