Wer ruft mit Abstand am lautesten in den Wind?

Der Verein Freie Landschaft Zürich macht viel Wind gegen die Windenergie – und spart nicht mit harschen Worten an die Adresse von Baudirektor Martin Neukom. Doch was ist damit gewonnen, kommunale Mindestabstände für Windräder festzulegen, solange im kantonalen Richtplan noch nicht einmal die Eignungsgebiete für Windturbinen bezeichnet sind?

Am 5. Oktober verschickte der Verein Freie Landschaft Zürich eine Medienmitteilung mit dem Titel «Mindestabstandsinitiativen bereits in über 20 Gemeinden». Darin heisst es, der Widerstand der Bevölkerung «gegen die 52 geplanten Windparks im Kanton Zürich» werde immer grösser. Mehrere Gemeinden hätten gegenüber der kantonalen Baudirektion ablehnend Stellung genommen, und es gebe immer mehr Initiativen für einen «angemessenen Mindestabstand» von Windkraftanlagen zu Wohnhäusern. In Hagenbuch und in Wildberg sei über solche Initiativen schon abgestimmt worden und beide seien klar angenommen worden. Weiter heisst es in der Mitteilung, kantonsweit habe bisher nur der Gemeinderat von Bäretswil eine solche Initiative für ungültig erklärt, wogegen die Ini­tianten Stimmrechtsrekurs erhoben hätten: «Die Entscheidung ist undemokratisch, der Gemeinderat macht sich zum Handlanger von Baudirektor Neukom, der den Gemeinden die Entscheidungsmöglichkeit über Windparks ganz entziehen will, um seine überrissenen Windenergie-Ausbaupläne von oben her diktieren zu können.»

Diese Medienmitteilung gibt Rätsel auf: Wenn 52 Windparks geplant sind, warum hat die Öffentlichkeit noch nicht erfahren, wo genau diese Windparks hinkommen, wieviele Windturbinen pro Standort geplant sind und welche Firmen diese Windparks zu bauen gedenken? Und warum heisst es, Baudirektor Neukom wolle den Gemeinden die Entscheidungsmöglichkeit über Windparks ganz entziehen? Wenn solche Parks wirklich schon geplant sind, ist es dafür höchstwahrscheinlich bereits zu spät.

Eignungsgebiete definieren

Ein Blick auf die Webseite der Baudirektion des Kantons Zürich zeigt denn auch ein etwas anderes Bild. Hier ist nachzulesen, dass der Kanton Zürich erst den Eintrag von Eignungsgebieten vorbereitet: «Ausgangspunkt dafür ist der Auftrag des Bundes an die Kantone, Eignungsgebiete für die Windenergienutzung in den kantonalen Richtplänen zu bezeichnen.» In einem ersten Schritt habe der Kanton Zürich eine Modellierung der Windverhältnisse auf 100 Metern über Grund vorgenommen und diese mit Ausschlusskriterien abgeglichen wie etwa ungenügendem Windpotenzial, der Nähe zu bewohnten Gebäuden, dem Flugverkehr, schützenswerter Fauna und Flora, dem Landschafts- und Kulturgüterschutz und so weiter: «Resultat ist eine Karte mit Potenzialgebieten, in denen es möglich sein und es sich lohnen könnte, Windenergie zu nutzen.»

Die Eignung dieser Potenzialgebiete überprüfe die Baudirektion im Moment detailliert in Zusammenarbeit mit den möglichen Standortgemeinden, den Natur- und Landschaftsschutzverbänden sowie der Windenergiebranche, heisst es weiter. Auf dieser Basis nehme sie eine Interessenabwägung vor und definiere die effektiven Eignungsgebiete für den Richtplan. Für diese führt sie sodann eine Anhörung im Rahmen einer öffentlichen Auflage durch: «Anschliessend beantragt der Regierungsrat dem Kantonsrat, Eignungsgebiete in den kantonalen Richtplan einzutragen. Sollte ein Energieversorgungsunternehmen später in einem dieser Eignungsgebiete eine Windenergieanlage bauen wollen, so ist ein Planungs- und Bewilligungsverfahren nötig, bei dem die entsprechenden Rechtsmittel ergriffen werden können.» Die Baudirektion prüfe aber auch die Möglichkeit, das Planungs- und Bewilligungsverfahren für Windenergieanlagen durch eine Revision des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG) zu beschleunigen. Diese Informationen entsprechen dem, was Baudirektor Martin Neukom vor ziemlich genau einem Jahr, am 7. Oktober 2022, an einer Medienorientierung über die Windenergieplanung im Kanton Zürich präsentierte (siehe P.S. vom 14. Oktober 2022). Das Ziel laute, bis 2030 erste Anlagen zu realisieren, sagte der Baudirektor damals.

Was die Gegner:innen der Windenergie am gesetzeskonformen Vorgehen der Baudirektion stört, ist, dass das Richtplanverfahren nicht referendumsfähig ist und dass man in Gemeinden, auf deren Boden ein solches Gebiet eingetragen wird, darüber nicht abstimmen können soll. Das ist allerdings kein neues Phänomen: Auch über den Verlauf von Kantonsstrassen durch Gemeindegebiet oder über Standorte für Kiesgruben oder Deponien gibt es keine Gemeindeabstimmungen. Martin Neukom gab an der Medienkonferenz vom 7. Oktober 2022 in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Unternehmen, die dereinst Windenergieanlagen bauen wollten, erstens immer noch eine Baubewilligung brauchten. Zweitens sei es in Kantonen, in denen die Gemeinden über Windenergieanlagen abstimmen könnten, oft so, dass «die Falschen» abstimmten: Dann zum Beispiel, wenn ein Windrad ausserhalb des Dorfes an den Rand des Gemeindegebiets zu stehen kommt und damit unter Umständen grössere Auswirkungen auf die Bewohner:innen der Nachbargemeinde hat – die aber nicht darüber abstimmen können.

Demokratie und Lärmschutz

Von «geplanten Windparks» kann demnach noch keine Rede sein: Was hat es also mit den geplanten und den bereits erfolgten Abstimmungen über Mindestabstände in diversen Gemeinden auf sich? Worüber genau kann im Zusammenhang mit dem Bau von Windturbinen, für die noch nicht einmal Eignungsgebiete im Richtplan ausgeschieden sind – geschweige denn ein Unternehmen parat steht, das diese Windräder gerne aufstellen möchte –, an Gemeindeversammlungen abgestimmt werden? Die ehrliche Antwort müsste wohl lauten: über gar nichts. Warum ist das so? Weil in unserer direkten Demokratie die drei Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden je spezifische Aufgaben und somit auch unterschiedliche Entscheidbefugnisse haben.

In der Schweiz gibt es bislang für den Abstand zwischen Windenergieanlagen und bewohnten Gebäuden lediglich eine Regelung auf Bundesebene, und zwar in der Lärmschutzverordnung. In seiner Antwort auf eine Motion von SVP-Nationalrat Thomas De Courten (BL) von 2017 schreibt der Bundesrat: «Die massgebliche Beurteilungsgrundlage für den Abstand von Windenergieanlagen zu Siedlungsgebieten in der Schweiz ist Anhang 6 der Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41, Belastungsgrenzwerte für Industrie- und Gewerbelärm).» Und weiter: «Die Einhaltung der dort festgelegten Grenzwerte für hörbaren Schall wird im Rahmen der für Windpärke obligatorischen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) überprüft. Die Grenzwerte sind derart definiert, dass bei Einhaltung der Planungswerte die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung geschützt ist.» In der Praxis müsse der Projektant einer Windenergieanlage zudem ein detailliertes Lärmgutachten vorlegen, das von der kantonalen Fachstelle für Lärmschutz geprüft werde.

Was bedeutet das nun konkret? Ein Gemeindegebiet kann relativ viel Land um das eigentliche Dorf und allfällige Kleinsiedlungen oder aussenliegende Ortsteile herum umfassen. Die Bau- und Zonenordnungen (BZO) der Gemeinden beziehen sich jedoch, wie es der Name schon sagt, nur auf das Gebiet, in dem effektiv gebaut werden kann und wo es deshalb nötig ist, festzulegen, wo, was und wie hoch gebaut werden darf. Wolfgang Bollack, Mediensprecher der Baudirektion, erklärt dazu auf Anfrage: «Anfang Juli haben wir die Zürcher Gemeinden informiert, dass kommunale Vorschriften in ihren Bau- und Zonenordnungen, die Abstände zwischen Windkraftanlagen ausserhalb von Bauzonen und dem Siedlungsgebiet definieren, nicht genehmigt werden können. Dies, weil gemäss Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich (PBG) keine kommunale Kompetenz für zonenübergreifende Abstandsvorschriften sowie für Abstandsvorschriften ausserhalb der Bauzonen besteht.» Zudem würde ein generell vorgeschriebener fixer Mindestabstand eine vorgezogene Interessenabwägung auf kommunaler Stufe bedeuten, fügt Wolfgang Bollack an: «Das ist nicht zulässig und würde eine Abwägung im Einzelfall verhindern.»

«Die schlimmsten Exzesse verhindern»

Das schreckt die Verfasser:innen solcher Anti-Windräder-Initiativen allerdings nicht ab, und auch dass der Anstoss dazu meist von der SVP kommt, scheint kein Zufall zu sein: Auf der Webseite der SVP des Kantons Zürich findet sich ein Artikel vom vergangenen 29. Juni mit dem Titel «Windkraft-Exzesse verhindern». Dort heisst es: «Als gute Demokraten müssen wir die verlorene Volksabstimmung zum Stromfresser-Gesetz akzeptieren. Es gilt jedoch, die schlimmsten Exzesse zu verhindern, was Widerstand gegen riesige Windkrafträder bedeutet.» Nach dem Hinweis auf die bereits eingereichten Initiativen, beispielsweise in Hagenbuch durch SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer oder in Küsnacht, wo Kantonsrätin und Nationalsratskandidatin Nina Fehr Düsel zusammen mit dem örtlichen Vorstand der SVP aktiv wurde, lautet ein Zwischentitel: «Wer möchte sich anschliessen?» Die Anti-Windkraft-Kampagne dient demnach (auch) als Wahlkampfvehikel der SVP.

Im selben Artikel findet sich übrigens ein interessanter Vergleich: «In Bezug auf Covid befand die SVP sich bis Anfang letzten Jahres in einer ähnlichen Situation wie heute beim Klimaschutz. Wir hatten vor anderen erkannt, dass die Covid-Massnahmen teilweise notwendig, aber häufig übertrieben oder unwirksam waren. Schlagartig haben Anfang 2022 jedoch alle anderen Parteien in Bezug auf Covid unseren Standpunkt übernommen. (…) Dabei haben wir bis heute keine einzige Covid-Volksabstimmung gewonnen. Margaret Thatcher stellte einst fest, dass die grössten politischen Siege dann erreicht werden, wenn der politische Gegner den eigenen Willen übernimmt und verinnerlicht.»

Bern ist nicht Zürich

In der kommunalen Volksinitiative der SVP Wetzikon heisst es, einige Kantone und Gemeinden hätten selbst Mindestabstände von Windrädern eingeführt, was vom Bundesgericht als rechtens bezeichnet worden sei. Wolfgang Bollack führt dazu aus, ein im Zusammenhang mit solchen Initiativen oft erwähnter Entscheid des Bundesgerichts (BGer 1C_149/2021 vom 25. August 2022) betreffe eine Gemeinde im Kanton Bern: «Im Unterschied zum Kanton Zürich dürfen Gemeinden im Kanton Bern Abstandsvorschriften für das Nichtbaugebiet sowie Abstände zwischen Zonengrenzen, mithin auch zwischen Siedlungs- und Nichtsiedlungsgebiet erlassen.»

Was bedeutet das nun im Hinblick auf die Initiativen? Hat die SVP die Menschen mit falschen Versprechen an Gemeindeversammlungen gelockt, und stimmen sie dort Initiativen zu, die von vornherein ungültig sind? Wolfgang Bollack präzisiert: «In Absprache mit dem zuständigen Gemeindeamt Kanton Zürich weisen wir hinsichtlich Gültigkeit darauf hin, dass diese Entscheidung dem Gemeinderat zusteht. Ist der Gemeinderat der Meinung, dass die Planungsinitiative sich mit dem übergeordneten Recht in keiner Weise vereinbaren lässt, hat er sie als ungültig zu erklären.» Planungsinitiativen stünden allerdings stets unter dem Vorbehalt, dass bei ihrer Umsetzung inhaltliche Abstriche gemacht werden müssten oder die Umsetzung nicht möglich sei, fügt er an: «Gemäss Rechtsprechung können auch nicht alle Fragen der Rechtmässigkeit einer Planungsinitiative vorweg entschieden werden.» Aber eines ist und bleibt klar, siehe oben: Die Gemeinden im Kanton Zürich haben nicht die Kompetenz, zonenübergreifende Abstandsvorschriften sowie solche ausserhalb der Bauzonen in die BZO zu schreiben. Tun sie es aufgrund einer für gültig erklärten und angenommenen kommunalen Initiative trotzdem, muss die Baudirektion den Rotstift ansetzen.

Ob es der SVP gelingt, die Mehrheit, die am 18. Juni Ja stimmte zum Klima- und Innovationsgesetz, in eine Minderheit zu verwandeln? Und zwar, indem sie die Windkraft verteufelt und den Leuten Angst macht, sie würden bei nächster Gelegenheit von einem Eisbrocken erschlagen, der ihnen vom Flügel einer Windturbine herab auf den Kopf falle? Die Zukunft wird es weisen. Die Hoffnung, dass sich die errregten Gemüter nach dem 22. Oktober wieder etwas beruhigen, stirbt zuletzt.

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